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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2.Sonntag nach Trinitatis, 25.06.2017

Das alternative Ehrenkleid
Predigt zu Matthäus 22:1-14, verfasst von Manfred Mielke

Weißt Du noch, wie überrascht wir waren, ich und Du? Wir hockten trübsinnig auf den ausgetrockneten Blumenkästen. Da kamen die feinen Reporter und stellten Fragen uns zu unserer Armut und Wut. Aber dann outeten sie sich als offizielle Überbringer eines Mega-Loses. Sie luden uns ein zu einem Staatsbankett. Sie drängten uns zu sofortigem Aufbruch. Wir spuckten in die Hände und schoben unsere staubigen Haare zur Seite. Sie blieben auf Armlänge hinter uns, bis wir die breite Treppe des Palastes hochstolperten. Keine Einlasskontrolle wies uns zurück. Auf der Schwelle blieben wir wie angewurzelt stehen, überwältigt vom Pomp und dennoch magisch angezogen vom Geruch der Speisen. Wir schluckten unseren Spott über das Establishment herunter. - Sie nötigten uns bis nach vorne. Und wir konnten nicht fassen, welche Namen wir auf den Platzkarten lasen, bevor sie sie hastig wegnahmen. Sollten wir wirklich die Plätze von Kardinälen, Generälen und Millionären einnehmen? Auch deren Rollen? - Doch schon kamen die gigantischen Ochsen am Spieß, die Schüsseln mit erlesenen Gemüse, die Karaffen voll seltenem Wein. Wir schlemmten wie Gott in Frankreich, wie Bacchus auf dem Olymp. Alles war so himmlisch, dass wir erst, als wir gesättigt waren, zuhören konnten zur Vorgeschichte und der Nachgeschichte, in der Jesus eine Rolle spielt.

 

Liebe Gemeinde,

Sie ahnen, dass ich eine biblische Geschichte als Ich-Geschichte erzähle. Die Original-Reportage dazu steht im 22. Kapitel des Matthäus. Sie lautet: Jesus sprach: Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu laden; doch sie wollten nicht kommen. Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit! Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. Einige aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie. Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an. Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren's nicht wert. Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet. Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll. (Matthäus 22, 1-10)

 

Liebe Gemeinde,

hier breche ich ab und werde einen weiteren Teil der Jesusrede etwas später bedenken. Denn die ersten beiden Einladungen müssen wir noch etwas tiefer empfinden. - Dass Jesus das Himmelreich mit einer „royal wedding“ vergleicht, schmeichelt unserer Neugier, zumal wenn die Braut bürgerlich ist. Wir verzeihen gerne diesen Stilfehler des Thronfolgers, Hauptsache im Kuss sind sie gleichberechtigt. Der Bräutigam soll auch nicht so unterkühlt küssen wie Prinz Charles seine Diana. Besser voller Leidenschaft wie die Schweden-Viktoria ihren bürgerlichen Bodybuilder. Dann sind wir sofort dabei, so soll unsere Ankunft im Himmelreich werden. Jesus darf der Kronprinz sein und wir sind seine bürgerliche Braut! - Doch Jesus erzählt viel krasser vom Hochzeitssaal des Königs, den wir als Lumpengesindel bevölkern dürfen, nachdem das Establishment verhindert war. Wobei er an den Draußengebliebenen Hinrichtungen und Brandschatzungen vollstreckt. Doch dabei gibt es feine Unstimmigkeiten. Denn dass Superreiche alles dem Profit nachordnen, mag ja sein, aber dass das alle gleichzeitig tun, zeigt, dass sie gar nicht wollten.

Lieber weltliche „deals“ abschließen als in Gottes Friedensreich dinieren! Und genau an diesem Punkt sind auch wir gemeint, indem wir das Wichtigste auf die lange Bank schieben, den entscheidenden Punkt versäumen, weil wir endlich auch mal Rückgrat zeigen wollen. Folglich werden wir das Rollenspiel ein zweites Mal erzählen, denn wir sind nicht nur Bettler, die begnadigt im Himmel mitmachen dürfen, wir sind auch Erfolgsmenschen, die Gottes Angebot von vornherein nach hinten einsortieren.

 

Liebe Gemeinde,

Diese Sichtweise müssen wir uns erst einmal gefallen lassen. Sie schreit nach einer besseren Lösung, bei der Arme und Reiche im Finale an einem Tisch sitzen werden, die Saulusse und die Paulusse, die reichen Jünglinge und die Drei-Groschen-Witwen. - Matthäus steckte jedoch in einer anderen Situation, denn kurz zuvor - im Jahre 70 nach Jesu Geburt - geschah eine Katastrophe. Die heidnischen Römer plünderten Jerusalem und ruinierten den Tempel bis auf die Klagemauern. Da hofften Matthäus und seine Mitchristen, dass die jüdischen Glaubensführer nunmehr einen neuen Zugang zum Evangelium des Messias Christus Jesus finden würden. Aber das taten sie nicht; sie blieben ihrem mosaischen Glauben treu. Seine Enttäuschung darüber versteckt Matthäus in einigen Reizwörtern des Jesus-Gleichnis. Zum Beispiel, dass die Boten des Königs verhöhnt und getötet wurden. Zum Beispiel, dass die Botenmörder selbst ermordet wurden und ihre Stadt und Tempel niedergebrannt wurden. Und auch, dass die zuerst auserwählten Gäste „es nicht wert waren“. Hätten wir in Europa nicht viel zu viele Judenpogrome entfesselt, wir könnten diese Zeilen naiver lesen. So aber wissen wir, dass in den verbalen Spitzen des Matthäus schon viel Zunder steckt.

Gott wollte aber seinen vorerst leergebliebenen Himmel nicht akzeptieren. Deswegen schickte er seine Apostel und Jünger hinaus an die Zäune und Hecken. Und nun füllen wir - die Ausgegrenzten und Abgehängten - mit Lärmen und Gerüchen, mit Trinksprüchen und Schadenfreude den himmlischen Bankettsaal, und warten auf den hingebungsvollen Kuss als Auftakt für eine nie endende Glücksnacht. Ach, so wäre doch der Himmel erträglich!

 

Liebe Gemeinde,

anstelle eines Happy-Ends holt Jesus aber zu einem erschreckenden Finale aus. Er sagt: Da ging der König hinein, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte. Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein. (VV. 11-13)

 

Liebe Gemeinde,

das ist natürlich eine Warnung, dass wir zwar im Himmel angekommen sind als begnadigte Sünder und als Anti-Establishment, aber eben nicht als Sieger in eigener Sache. Doch dass der Normalgekleidete gefesselt in den Höllenschlund gestürzt wird, lässt uns Fragen stellen - wohlgemerkt nachdem wir als Heiden einige von den Gottesfürchtigen verschmähte Plätze bereits eingenommen haben. Geht es im Himmelssaal Gottes denn ewig weiter wie auf einem Oktoberfest mit Schlägerei und Rauswurf, mit Würgemalen an Händen und Füßen und eingeschlagenen Zähnen?

Vermutlich konnte Matthäus die Verheißung des großen Völkermahles nicht aufrechterhalten und unterlag einer Untergangsstimmung. Von daher hat er den Auferstandenen eingespannt in eine gnadenlose Kritik seiner Zeit. Mit Jesu Schlußsatz: “Zwar sind viele berufen, aber wenige sind auserwählt.“ (V. 14) meint Matthäus die Judenführung und die Christenkirche damals. Aber werden letztendlich ganze Metropolen vernichtet wegen ein paar „wahnwitziger“1 Millionäre? Muss die Mehrheit zur Hölle fahren, nur weil ein Einziger einen „Garderobenfrevel“2 beging? Und wo ist dann unser Platz? Warum nicht bei den Guten und Bösen im vollbesetzten Himmelreichssaal?

 

Liebe Gemeinde,

vielleicht müssen wir eine Zeitlang ohne solche zornige Visionäre wie Matthäus auskommen. Aber sie haben ja unsere Wahrnehmung geschult, dass wir mehrere Rollen zugleich ausüben. Wir sind Bettler, das ist wahr, wir sind aber auch Königskinder. Wir sind Räuber und Totschläger, aber auch Brautjungfern und Himmelsbürger. Wir sind eine Schafherde, die mit gesenkten Köpfen herumirrt, wir sind aber auch Einzelschafe, die es unter die Wölfe treibt.

Von daher möchte ich eine Bitte äußern an Jesus Christus, der ja als Bräutigam im Gleichnis bisher nicht auftrat. Meine Bitte ist, dass er den Rauswurf des unschicklich Bekleideten durch seinen apokalyptischen Vaterkönig rückgängig macht. Zumindest dass er mit ihm gemeinsam zurückkehrt, bis dieser sagt: „Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel werd eingehn!“3 Liebe Gemeinde, es lohnt sich vermutlich, diesen Vers parat zu haben. Amen

 

1 nach EKK-Kommentar von Ulrich Luz, S. 240, Anm 49, dort Jülicher, Gleichnisreden II 422

2 Walter Klaiber, Das Matthäusevangelium, Bd 2, S. 121

3 eg 350, Vers 1, Leipzig 1638, im eg fehlt der Vers von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: „So will ich, wenn ich zu Ihm komm, nicht denken mehr an gut und fromm, sondern: Da kommt ein Sünder her, der gern für's Lösgeld selig wär!“



Pfarrer Manfred Mielke
51580 Reichshof
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

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