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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 02.07.2017

Bleichgesichter
Predigt zu Lukas 15:1-6.8ff, verfasst von Jochen Riepe

 ‚Freuet euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.‘ – ‚Freuet euch mit mir, denn ich habe die Drachme gefunden, die verloren war‘.

                                                                                  I

Es gibt Geschichten , die gleichen einer Umarmung. Dies sind gleich zwei davon. Sie kommen , ja ‚eilen‘ uns entgegen (Lk 15,20)  und versprechen das Unwahrscheinliche , vielleicht Unmögliche , nämlich den Menschen zu retten , der sich nicht freuen kann. Sie versprechen , das in uns zu lösen , was uns regelrecht zerfressen kann : Die Angst zu kurz zu kommen, den Neid auf die Freude und das Glück des anderen . Lebensneid , ja : ‚Heils-Neid‘ .

Eine andere, eine böse Geschichte erzählt von einem Lehrer. Er war unheilbar erkrankt an Tuberkulose. Er spuckte auf das Brot seiner Schüler .* Er mißgönnte ihnen ihr Leben. ‚Was ich nicht habe, darfst du auch nicht haben‘.

                                                                                 II

Freuet euch mit mir!‘ Jesus erzählt seine Umarmungsgeschichten – und was für eine dritte hat er noch in petto !- den Pharisäern und Schriftgelehrten – jedenfalls stellt Lukas  diese Menschen als  seine Zuhörer vor. Anscheinend haben wir es , wenn diese Gruppe genannt wird, immer auch mit Gesichtern zu tun , deren Blässe etwas verrät, die sprichwörtlich ‚gelb vor Neid‘  sind. Im Text steht : ‚sie murrten‘ , sie nörgelten heißt das. Es sind die Leute , die immer ein Haar in der Suppe finden, die auf der Freude der anderen herum trampeln und mitunter sehr stark wirken. Doch innerlich sind sie eng, arm und ängstlich : ‚Dieser nimmt Sünder an und ißt mit ihnen.‘ 

Was ist so bedrohlich am Glück der anderen ?

                                                                                 III

Ich bin an diesen nörgelnden Pharisäern hängengeblieben . Ich vermute : Ihr Innenleben ist uns näher als uns lieb ist und die sonst so beliebte Pharisäerschelte können wir uns ersparen. Diese Krankheit , diese Lust , auf das Brot des anderen zu spucken , kennen wir ganz gut . ‚Was ist nicht habe, darfst du auch nicht haben‘. Gewiß , wir erschlagen oder vergiften nicht unsere Mitmenschen , aber so mancher hat es an seinem Arbeitsplatz oder auch in einer Kirchengemeinde, ja , mitten unter uns , schon erlebt : Eine buchstäblich vergiftete Atmosphäre, in der nichts Gutes bleibt. Worte , Bemerkungen , Bisse, die das Werk des anderen entwerten und zerstören , denn : ‚Es stammt ja nicht von mir‘  oder ‚Es ist ja nicht wie früher‘.

Es gibt eine schreckliche Lust des Freudlosen , die ihn wohl für manche Entbehrung entschädigt : das Nörgeln , Murren und Beargwöhnen . Er weiß es immer besser. Den schwächsten Punkt heraus suchen und den ganz groß machen.

                                                                              IV

Jesus sagt : ‚Freuet euch mit mir!‘ Gleichsam in freudiger Röte streckt er seinen Zuhörern die Arme entgegen wie es bald der Vater seinem verloren geglaubten Sohn gegenüber tun wird . Er lädt sie ein und erzählt ihnen Geschichten , in dem unwahrscheinlichen Vertrauen , daß auch diese Bleichgesichter gewonnen werden können und in ihnen Platz nehmen . Das ist ja in den Berichten der Evangelien immer wieder betont : Ja, Jesus ist der Freund der Zöllner und Sünder. Er schenkt ihnen Beachtung und Zuwendung , aber er zieht sich nicht mit ihnen in ein Abseits des Wohlgefallens , in einen Raum soz. schwüler, für sich bleibender Freude zurück. Er bleibt bei und spricht auch zu denen, die entsetzt, enttäuscht  oder entrüstet reagieren und unter dem Nörgeln ein eigenes , ihnen selbst fremd gebliebenes Verlangen durchblicken lassen.  Auch kalte , harte Menschen haben ihre eigene Attraktivität.

Anscheinend braucht von Kindertagen an die böse Seite in uns besonderer Zuwendung. ‚Er hat etwas, was ich nicht habe … Mein Bruder liegt an der Brust , die sich mir versagt…‘ Anscheinend braucht gerade dieser Lebensneid das beruhigende , einladende Wort. Damit er gebunden , gleichsam umhüllt und eingesponnen wird. Damit die Klage , ich sei zu kurz gekommen, gerade mir sei das Notwendige vorenthalten worden, besänftigt , vielleicht sogar geheilt wird.

                                                                                 V

Aber nun , Arzt , Therapeut , oder wie immer wir dich nennen sollen, zeige , was du kannst ! Wie willst du das fast Unmögliche schaffen , daß wir dem anderen sein Brot gönnen und uns gar daran freuen , daß er zu essen hat ?

Jesus erzählt seinen Zuhörern zwei , nein : drei, einfache Geschichten , so einfach – und so unwahrscheinlich - wie Umarmungen eben sind. Ein Schaf fehlt in einer Herde. Der Hirte geht dem Verlorenen nach, so lange bis er es findet. Eine Frau hat einen Groschen verloren . Sie macht ein Licht an , durchsucht das ganze Haus, kehrt das Unterste nach oben , bis sie findet . Viel Aufwand um Nichts ? Nein , große Freude , die mitgeteilt und geteilt werden muß mit allen , die erreichbar sind. Das Verlorene ist gefunden.

Damit rechnet soz. die Freude und wie enttäuscht ist sie, wenn sie leer ausgeht : Auch der mürrischste   Zuhörer wird diese einfachen Geschichten verstehen . Wo das Verlorene gefunden ist , wo der Schmerz und die Anspannung (und manchmal auch die Panik!) des Suchens zum Ziel gekommen sind , da ist das Maß übervoll. In solchen Augenblicken strömen  wir über von Dankbarkeit und das Herz braucht einen , den es in den Arm nehmen kann : Freue dich mit mir!

                                                                                VI

Freuet euch mit mir.‘   Kann denn dieser Ruf den Neider heilen ? Wird sich ein ‚Bleichgesicht‘ , das auf Abstand und Grenze hält , umarmen lassen ? Was in ihm könnte antworten auf diesen Freudentaumel ?

Ich will jetzt vorsichtig sein. Ich weiß nicht , ob Jesus bei dieser Gruppe, die ihn nicht anerkannte , aber auch wohl nicht von ihm lassen konnte, irgendeinen Erfolg gehabt hat. Schließlich gehörten auch sie zu denen , die am Ende seinen Kopf forderten. Ich weiß auch nicht , ob überhaupt bei uns , den Erben Kains , Lebensneid und Lebensangst heilbar sind. Ich kann mir aber vorstellen , daß beim Hören dieser einfachen Geschichten , so wir denn wirklich hinhören , etwas passiert . Der , der zuhört, wird ruhig , nachdenklich. Er sieht sich selbst angesprochen : Dieser eine Verlorene könnte ich sein. Vielleicht nicht jetzt , nicht heute , aber morgen schon. Dann ist es gut zu wissen : Gott gibt mich nicht auf. Er sucht mich. Auch für mich ist der Tisch gedeckt. Auch für mich wird ein Fest gegeben  , auch wenn es meinem Bruder nicht paßt.

Diese einfachen Geschichten haben soz. eine zweite Stimme und die appelliert an die Macht einer Erinnerung , die in jedem Menschen wohnt . Daß wir uns , wie einst , wie früher in den Arm nehmen und bergen lassen und die Wärme des anderen alle Kälte vertreibt.

                                                                                VII

Natürlich : Nur langsam wird das den Krampf lösen , die Angst besänftigen und den Neid verwandeln. Schnelle Erfolge darf kein Arzt versprechen. Eine Umarmung ist schön , aber sie verlangt auch ein Stück Selbstaufgabe und dagegen rennen die Dämonen an . Umso mehr will die Angst sich ängstigen, umso mehr will der Neid neiden , sich zu Boden werfen und vor Wut strampeln : ‚Nein, nein, nein, was ich nicht habe , darfst du auch nicht haben‘. Die Medizin , die unser Arzt uns verabreicht , ist bitter. Er nimmt uns in den Arm , stärkt uns den Rücken , er hält uns, aber er lenkt unseren Blick beharrlich auf den anderen : ‚Sieh hin , ein Mensch wie du , mit Stärken und mit Schwächen, mit Sorgen und Freuden. Sieh hin , und lerne : Dich zu freuen an seiner Freude. Laß dich anstecken und du wirst reich werden‘.

Nicht wahr , das ist einfach und heroisch zugleich. Selbstüberwindung und ein ‚Schritt- für –Schritt- Hineinwachsen‘ in jenes Vertrauen , das sich die Umarmung gefallen läßt. Auch für dich ist gesorgt und was der andere bekommt, ist kein Raub an dir : ‚Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden‘ (Lk 15,32).

Freuet euch mit mir!‘ In einem ängstlichen Land , in dem jeder argwöhnt , man wolle ihm etwas , man nähme ihm etwas , gerade er käme zu kurz , ist der Ruf zur Mit-Freude , mit Gott  und den Menschen , ein Ruf ins Leben , schlechterdings ein ‚Heils-Ruf‘.

 

 

*erzählt bei K. Horney, Unsere inneren Konflikte , 4. Auflage 1984, S. 174



Pfarrer i.R. Jochen Riepe
Dortmund
E-Mail: Jochen. Riepe@gmx.net

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