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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 02.07.2017

Predigt zu Lukas 15:1-10(dänische Perikopenordnung), verfasst von Rasmus Nøjgaard

Ein dänischer Dichter schreibt in einer Homiletik mit dem provozierenden Titel „Die Standdardpredigt“, dass der Predigtschluss, der ihm am meisten imponiert hat, dieser ist: „Du bist nicht gut genug, so wie du bist, aber komm trotzdem“.

Ich weiß nicht, auf welchen Text sich diese Predigt bezieht, das erfahren wir nicht, aber es macht einen guten Sinn in Bezug auf den Lukastext dieses Sonntags, nicht zuletzt da dieser Satz als eine Pointe der Erzählung vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme gesehen werden kann. Es handelt sich um eine klassische biblische Einsicht, dass der Mensch seit dem Sündenfall verloren ist als der, der sich für alle Ewigkeit von Gott abgewandt hat. Leute, die sich so verirrt haben, dass sie sich noch nicht einmal selbst finden können. Und wenn wir als Menschen nicht treu sind gegenüber anderen, dann können wir es erst recht nicht uns selbst gegenüber sein. Wir sind ratlos. Wir können keinen Unterschied zwischen Gut und Böse sehen. Wenn Paulus schreibt: Das Gute, das wir wollen, das tun wir nicht, dann ist dies eine optimistische Auslegung der Zeit nach dem Sündenfall, wo der Mensch eben nicht das Gute will und die Lüge als Wahrheit ausgibt. Wir haben nicht nur vor uns selbst Angst, sondern auch vor allem, was uns umgibt. Wir laufen so schnell, wie wir können, aber wir geraten nur außer Atem und befinden uns am Ende des Tages an genau derselben Stelle, wo wir uns morgens aufmachten. Wir sagen, Reisen heißt Leben und das Leben ist eine Reise, aber das ist nur eine verborgene Metapher, die nur entschuldigen soll, dass wir uns nie dort aufhalten, wo wir sind, und das Leben mit denen teilen, denen wir begegnen. Wir haben nicht den Mut, uns mit anderen zu vergleichen, aus Angst, uns dabei selbst zu verlieren. Wir grenzen uns ab, setzen unsere Menschlichkeit aufs Spiel und suchen Bestätigung in der Spiegelung, auch wenn wir wissen, dass das Spiegelbild nur eine Fatamorgana ist. Das haben wir trotz allem aus der Geschichte gelernt. Aber wie Lemminge auf der Flucht ist das Gefühl stärker als die Erfahrung. Die Pflicht geht als erste unter. Bald schwanken wir vor dem Wind ohne Steuermann, folgen dem einen oder anderen Wind, treiben hin und her. Es fällt nicht schwer, das Bild vom verlorenen Schaf wiederzuerkennen. Auch wenn kaum jemand von uns sich gern mit eine Schafherde vergleichen lässt, die von einem Hirten gerufen wird, das erinnert uns allzu sehr an etwas, was wir schon gesehen haben. Denn wann wissen wir, dass wir dem rechten Hirten folgen? Auf welches Zeichen sollen wir warten?

Vielleicht sollen wir auf eine Überraschung warten, auf das Unbequeme? Denn da ist nicht eine Spur von Vernunft im Handeln des Hirten, wenn er 99 Schafe verlässt, um das eine zu finden. Aber das ist Liebe. Da ist keine wirtschaftliche Vernunft im Verhalten der Frau, wenn sie überschwänglich eine verlorene Drachme findet und zu einem Fest einlädt, um ihre widergefundene Münze zu feiern – und dabei vermutlich alles oder noch mehr wieder verliert. Aber da ist eine gemeinsame Freude.

In Miltons „Paradise Lost“ ist das schönste Thema, dass Adam sehr wohl weiß, welchem Schicksal er entgegengeht, wenn er von dem Apfel isst, aber dennoch beißt er zu, um sein Schicksal mit Eva zu teilen. Das Buch endet damit, dass sie aus dem Paradies vertrieben werden. Aber sie haben die Liebe in einer Schicksalsgemeinschaft gewonnen.

„Freue dich mit mir, denn ich habe das Verlorenen wiedergefunden“, gesagt mitten im Fall hinab in einen Abgrund der Verlorenheit. Wer kennt nicht diese Erfahrung: Wenn es wirklich gilt, müssen wir alles einsetzen, auch wenn wir damit alles riskieren. Bei Lukas ist der Pharisäer jemand, der meint, sich durch das Gesetz schätzen zu können, aber der Buchstabenglaube bringt ihn noch schlimmer zu Fall als die Verwandlung des Glaubens, den Fall in die Gottlosigkeit. Wir können wir sonst den Tod Gottes selbst in Jesus Christus verstehen? Wenn nicht als den Untergang des alten göttlichen Gesetzes, und einen neuen Anfang in sich immer verändernder Hingabe an den anderen! Wie kann die Auferstehung anders verstanden werden als dass Gott sich mit dem Geschlecht der Verlorenen vereint und ihm gleich wird! Wie der Sohn dem Vater gleicht, gleicht der Vater dem Sohn, und im Sohn sollen Menschen wiedererkannt und aufgerichtet werden!

„So, sage ich Euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut“. Die Frage ist nur, worin diese Umkehr besteht. Denn das ganze Gleichnis hat ja dargestellt, dass wir uns nicht selbst erlösen können, sondern allein darauf hoffen müssen, gefunden zu werden. Ich kann gut verstehen, dass Augustin daran festgehalten hat, dass Gott den Gang der Welt und das Leben der Menschen schon im Voraus kennt. Und deshalb kam es zu einem Streit zwischen Erasmus und Luther über die Bedeutung des freien Willens. Ich meine noch immer, dass Luther hier Recht hatte, auch wenn es nicht angenehm ist, seiner Freiheit beraubt zu werden.

Da ist ein Glaube daran, dass die Liebe Gottes auch die verlorenen umfasst, und dass die Häuser des Glaubens eben auch Platz haben für alle die, die umkehren und hineinkommen. Vielleicht ist dies die Umkehr? Sein eigenes Unvermögen erkennen, und dennoch in dieser demütigen und gehorsamen Position auf den Ruf reagieren, der an uns ergeht. Ja nicht weil der Ruf allen von hier drinnen ergeht. Vielmehr ist die Welt draußen so voller Laute und Bewegung, dass es schwer sein kann, etwas so langsames zu hören, dass das Wort Zeit findet, Wurzeln zu schlagen. Zuhören in offener Zeit, das ist nicht etwas, was wir vermögen, aber es kann dennoch über uns kommen wie ein Durst und einen Hunger, die wir spüren. Eine Hoffnung darauf, dass des Verlorene, Missglückte und Misslungene von der Liebe Gottes umfasst ist. Das ist der Glaube, dem wir in Jesus begegnen, der die widersprüchlichen und unvollkommenen Bedingungen unseres Menschenlebens auf sich nahm und in den tiefsten Abgrund hinabstieg, um uns herauszuholen. Wir können die Ohren öffnen und zuhören, darum bittet uns Jesus. Das können wir: Aufmerksam schweigen und zuhören. Auch wenn das heute keine populäre Disziplin ist und wohl auch nie gewesen ist.

Denke an den Bekehrten, über den sich die Engel mit Gott freuen! Wer ist das? Ist das einer der sich mit dem rechten Glauben brüstet und der sich den Weg zu neuer Einsicht erkämpft hat? Nein, denke ich, würde Jesus antworten. Gott freut sich darüber, den wiederzufinden, den er aus den Augen verloren hatte. Ist es unser Verdienst, gefunden zu werden? Das Schaf und die Drachme haben nichts getan. Fand das Schaf selbst zurück zu seinem Hirten? Oder machte die Münze auf sich selbst aufmerksam? Nein, sie taten nichts. Nichts anderes als gefunden zu werden. Gott freut sich über alle die, die er findet! Denn es geht hier nicht darum zu suchen und zu finden, sondern darum gefunden zu werden.

Das ist ein schrecklicher Gedanke für alle uns, die wir uns gerne in jeder Hinsicht selbst sichern wollen. Denn weder das Schaf noch die Münze passen gut in die Rolle des bußfertigen Sünders, der sich durch persönliche Bemühung und Opferbereitschaft zum gekreuzigt en Christus bekehrt.

Keiner von beiden trägt etwas bei. Gott ist der handelnde. Dann geht diese Predigt uns vielleicht nichts an? Wenn es an Gott liegt, dann sollen wir wohl nur unser Leben leben und auf das beste hoffen? Ja und nein. Denn du bist hier. Du sitzt hier und hörst zu. Du bist gekommen. Du bist wiedergefunden, zurück in die Gemeinschaft gebracht. Das ist nicht das Verdienst der Kirche, aber doch die Möglichkeit der Kirche, die Tür offenzuhalten und das Evangelium zu verkündigen – den Ruf hörbar zu machen. Vielleicht glaubst du, dass du daran selbst einen Anteil hast? Ja, wenn Gott dich gefunden hat in deinem Versteck, kannst du auf seinen Ruf antworten und akzeptieren, dass du gerufen bist, denn in dem Ruf ist nicht notwendigerweise Sinn und Sicherheit gegeben, das Leben ist weitervoller Brüche und Wiedersprüche. Du bist gerufen wie Adam zu einer Gemeinschaft von der Wiege bis zum Grabe in der Zeit des Verlorenseins?

Warum soll sich Schönheit und Göttlichkeit nicht in den Bruchflächen finden? Vielleicht verbirgt sich die Auferstehung des Christenlebens darin, dass wir uns der Welt hingeben und mit der Unruhe und der Verschiedenheit leben können.

Wenn dies das Evangelium ist, musst du dich damit begnügen, gefunden zu sein, oder wie der deutsch-amerikanische Theologe Paul Tillich es formuliert hat: „Akzeptiere, dass du akzeptiert bist – auch wenn du selbst inakzeptabel bist“. Amen.



Pastor Rasmus Nøjgaard
DK-2100 København Ø
E-Mail: rn@km.dk

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