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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 02.07.2017

Du bist wichtig
Predigt zu Lukas 15:1-7, verfasst von Andreas Schwarz

1 Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören.

2 Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.

3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:

4 Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet?

5 Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude.

6 Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.

7 Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

(Lukas 15,1-7 – Luther2017)

 

Wenn Du Menschen zuhause besuchst, in ihrem Haus, in ihrer Wohnung, dann erfährst Du etwas über sie.

Mehr, als wenn Du sie nur hier in den kirchlichen Räumen erlebst.

Zuhause siehst Du, wie sie sich einrichten.

Und daran kannst Du auch erkennen, was ihnen guttut, was sie mögen, worüber sie sich freuen.

Und vielleicht sogar, wonach sie sich sehnen.

In manchen Wohnungen älterer Menschen hängt ein großes Bild.

Es zeigt Jesus in einer hügeligen Wiesenlandschaft mit einem Schaf auf den Schultern.

 

Das ist so etwas wie ein Glaubensbekenntnis:

Der Herr ist mein Hirte.

So glaube ich Jesus Christus.

Dass er dem einen, dem verloren gegangenen Schaf nachgeht, dass er merkt, es fehlt,

und er gibt nicht auf, bis er weiß wo es abgeblieben ist.

Dass er es findet, auf seine Schultern nimmt und zu den anderen zurückträgt.

So ist er, mein Heiland Jesus Christus.

Und darum glaube ich auch an ihn, sehr gern sogar.

 

Und dann ist es so etwas wie eine bildlich gewordene Sehnsucht.

Ich hoffe, dass er mit mir so umgeht.

Dass er mich sucht, wenn ich verloren gehen sollte,

dass er dann nicht aufgibt, bis er mich gefunden hat,

dass er mich zurückträgt zu den anderen.

Denn es kann so leicht passieren, dass ich verlorengehe, dass ich mich verliere,

dass ich das nicht lebe, was mir wichtig ist,

dass mir nicht gelingt, was ich mir vornehme.

Ich hoffe, dass er so mit meinen Kindern umgeht, mit meinen Enkeln,

die ihre eigenen Wege gehen,

oft gar nicht auf kirchlichen.

Aber ich vertraue darauf, dass Jesus, der gute Hirte, sie nie abschreibt, sondern sie im Auge behält und ihnen nachgeht.

 

Vertrauen strahlt das Bild auf die aus, die es sich in die Wohnung hängen, Ruhe und Gelassenheit.

Es tut gut, zu dem gehören, der so mit seinen Menschen umgeht.

 

Dabei ist der Anlass ganz und gar nicht vom Vertrauen geprägt, und auch nicht von Ruhe und Gelassenheit.

Eher von Unsicherheit und Widerstand.

Das darf nicht sein.

Mein Gottesbild ist ein ganz anderes.

Ich brauche keinen Gott, der mich sucht.

Ich bin ja da, zuverlässig und treu.

Mein Glaubensleben habe ich gut unter Kontrolle.

Das ist sehr in Ordnung, relativ auf jeden Fall.

Ich brauche keinen Gott, der mich trägt.

Ich kann selber laufen und tue das auch.

Ich finde schon die Wege, die wichtig und richtig sind.

Und vor allem weiß ich, mit welcher Sorte Menschen man als Frommer und Gesetzestreuer keinen Umgang pflegt.

 

Dieser nimmt die Sünde an und isst mit ihnen.

 

Gott sei Dank – denken die Einen. Und freuen sich. Mit denen, die Jesus annimmt. Für sich selbst, weil sie sehr genau spüren, das ist ihre einzige Chance zu glauben, zu lieben und zu hoffen.

 

Wie kann er nur – denken die Anderen. Gemeinsam isst man nur mit Menschen, die es wert sind. Wo kämen wir denn da hin, wenn jede und jeder dazugehörte? Wenn es egal wäre, wie gut jemand mit dem Gesetz zurechtkommt, wie gut es ihm gelingt, so zu leben, wie Gott es will.

Gemeinschaft und Nähe für die, die es verdienen.

Nicht, dass andere noch die Sitten und Gebräuche verderben.

Klare Trennung ist nötig.

Da die einen, dort die andern.

Säuberlich voneinander geschieden, damit es zu keiner Vermischung und keiner Annäherung kommt.

Zäune und Mauern sind gut.

 

Dieser nimmt die Sünde an und isst mit ihnen.

 

Die Gründe, verloren zu gehen, können dabei ja sehr unterschiedlich sein.

Vielleicht wurde das Schaf von einem anderen geschubst oder von einem saftigen Grasbüschel verdrängt.

Vielleicht war es auch nur ein bissiger Kommentar – aber nun ist das Schaf beleidigt und wendet sich von der Herde ab, dreht ihm den Rücken zu und schon ist es passiert. Oder es hat geträumt, war ganz in Gedanken nur bei sich – ganz weit weg – und hat gar nicht gemerkt, wie sich die Herde wieder in Bewegung gesetzt hat.

Oder es war der festen Überzeugung, die Herde geht in die

falsche Richtung – alle irren sich, nur es selber weiß den richtigen Weg, und ist plötzlich allein.

Oder es ist verunglückt, abgestürzt und kann sich allein nicht mehr retten.

Die Gründe können sehr unterschiedlich sein.

Jesus macht keinen Unterschied – verloren ist verloren, ob schuldig oder unschuldig, ob absichtlich oder versehentlich. Das Schaf ist weg und das will der Hirte nicht. Er sucht es. Und findet es wieder.

 

Das Bild hängt in der Wohnung. Es zeigt Jesus, den guten Hirten, der dem einen verlorenen Schaf nachgeht.

Das Bild ist ein weiteres Bekenntnis.

Dass ich ihm wichtig bin;

dass ihm die wichtig sind, die mir am Herzen liegen,

dass der Einzelne, die Einzelne wertvoll ist.

Nicht als Teil einer großen Masse, sondern persönlich, namentlich, unverwechselbar.

Jeder Mensch ist so wichtig, dass Jesus sich für ihn einsetzt.

 

Wo es um Macht und Einfluss geht, wird der Einzelne unwichtig.

Spaßeshalber sagen wir: ‚Auf Einzelschicksale kann keine Rücksicht genommen werden‘.

Und erleben es grausam, wenn Bomben geworfen werden und es wieder Unbeteiligte getroffen hat.

Bedauerlich – ja, aber im Blick aufs Ganze unvermeidlich.

Heißt es dann.

Wer das Große im Blick hat, kann den Kleinen nicht anschauen.

Aufmärsche in Nordkorea oder die Paraden in China verraten viel über das dortige Menschenbild, in dem der Einzelne von der Masse verschluckt und gleichgeschaltet wird. Der Einzelne zählt nicht, ist nicht wichtig, kann vernachlässigt werden.

 

Da wirkt die Botschaft Jesu wie aus einer anderen Welt; und sie ist es auch: in Gottes Augen ist jeder Einzelne es wert, gesucht zu werden. Kein Aufwand ist zu groß, keine Mühe

wird gescheut, um jedem Menschen deutlich zu machen: „Du bist wichtig! Gott kennt dich bei deinem Namen. Er will, dass du in seiner Nähe sicher leben kannst!"

Und wie atmen sie auf, die Zöllner, die Sünder, die Prostituierten, die Gescheiterten an fremden und eigenen Ansprüchen.

Endlich einer, der nicht über uns redet, der sich nicht von uns abwendet, der uns nicht ausgrenzt,

sondern der mit uns isst und trinkt und redet.

 

Das ist ein gutes Stück der Lebenswirklichkeit von Kirche und Gemeinde.

Neidisch schauen wir manchmal auf die Versammlung von Menschenmassen und haben selbst mit kleinen Zahlen zu tun. Wenn der Papst irgendwo auftritt, kommen 100.000e, um ihn zu sehen und mit ihm Gottesdienst zu

feiern.

Zum Kirchentag in Berlin und Wittenberg sind es zahlreiche Menschen, die angereist waren, um Andachten und Gottesdienste zu feiern, um zu singen und zu beten, um sich zu informieren und auszutauschen.

Auch das Taize-Jugendtreffen zieht große Mengen an Menschen an.

Und wir wissen, weil wir es täglich erleben, wie mühsam und anstrengend und zeitraubend es ist, sich um Menschen

einzeln zu kümmern. Wenn jemand eine Gemeindeveranstaltung plant, dann heißt einladen, jeden Einzelnen persönlich ansprechen, eine Einladung in die Hand geben, nachfragen, anrufen, erinnern.

Nicht wegen des persönlichen Erfolges, nicht wegen möglichst großer Zahlen, sondern weil jeder Einzelne wichtig ist. Du bist gemeint, Du persönlich – mit Deinem

Leben, so wie es ist, mit Deiner Geschichte, mit Deinem Glück und mit Deinen Niederlagen, mit Deinen Sehnsüchten und Enttäuschungen, mit Deinen Hoffnungen und Schmerzen. Du gehörst dazu, Du bist wichtig, Du wirst gebraucht, Du darfst nicht fehlen.

So ist Gott, der Vater, erzählt Jesus Christus. So viel liegt ihm an euch, an jedem von euch. Nicht einen will er verlieren, geht ihnen in Liebe nach, schickt seinen Hirten

Jesus Christus, um sie in ihrer Verlorenheit – egal, ob selbst verschuldet oder schicksalshaft – aufzuspüren und zurück zu bringen. Dass jemand sich zurückbringen lässt, umkehrt von falschen, isolierenden, gefährlichen Wegen, das ist die

Buße, von der er hier redet.

Schön, hier zu sein; schön, dass ich hier sein darf, das Evangelium hören, Vergebung empfangen, Tischgemeinschaft erleben darf. Das liegt nicht an mir,

sondern am Hirten. Wie sollten wir irgendeinen Menschen, der uns anvertraut ist, abschreiben und aufgeben? So mühsam es ist, wir gehen den Weg, den unser Hirte

vorgegangen ist. Dankbar, voller Vertrauen und voller Liebe. Amen.



Pastor Andreas Schwarz
Pforzheim
E-Mail: p.andreas.schwarz@gmail.com

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