Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Tag der Apostel Petrus und Paulus, 29.06.2017

Fänger im Roggen
Predigt zu Matthäus 16:13-19, verfasst von Güntzel Schmidt

Siehe, ich sende viele Fischer, spricht Gott, die sollen sie fischen. Und danach werde ich viele Jäger senden, die sollen sie fangen von allen Bergen, von allen Hügeln und aus allen Felsspalten. Denn meine Augen sehen alle ihre Wege; sie können sich nicht vor mir verstecken, und ihre Missetat ist vor meinen Augen nicht verborgen. Aber zuerst will ich ihre Missetat und Sünde doppelt vergelten, weil sie mein Land mit ihren toten Kultbildern entweihten, und mit Scheußlichkeiten füllten sie mein Erbe.

Gott, mein Schutz und meine Bergfeste und meine Zuflucht am Tag der Not!

Zu dir werden die Völker kommen von den Enden der Erde und sagen:

Nur Lügen erbten unsere Väter; Götzen, die nichts nützen. Wie kann ein Mensch sich Götter machen? Und sie sind doch keine Götter.

Deshalb, sieh!, diesmal lasse ich sie wissen und will ihnen kundtun meine Macht und meine Kraft, und sie sollen erkennen: Ich bin Gott.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

woran ist Gott zu erkennen?

Ist das überhaupt eine Frage?

Gott ist eben … Gott!

Man kann ihn nicht erkennen, weil man Gott nun einmal nicht sehen kann. Gott ist im … Himmel. Jedenfalls an einem Ort, an den wir nicht hin können, um nachzusehen.

 

Aber warum sagt Gott dann: „Sie sollen erkennen: Ich bin Gott“, wenn man Gott gar nicht erkennen kann? Oder, anders gefragt: Wenn man Gott nicht erkennen kann, warum sagt Gott dann, dass man ihn erkennen kann?

Gehen wir also davon aus, dass man Gott doch irgendwie erkennen kann und wir bloß noch nicht wissen, wie. Doch das ist genau die Frage, die sich sofort stellt: Woran sollen wir Gott erkennen? Wenn wir uns Gott als unendliche Macht vorstellen, dürfte das kein Problem sein: Was uns im wahrsten Sinne des Wortes umhaut, das müsste dann Gott sein. Aber offensichtlich tritt Gott so nicht auf. Offenbar ist seine Art, sich zu erkennen zu geben, subtiler, so dass man es nicht gleich merkt oder gar übersehen kann.

 

Woran kann man Gott erkennen? Das fragten sich schon die ersten Christen, die nicht verstanden, warum nur so wenige Gottes Sohn erkannten, als er auf Erden wandelte. Wenn Jesus Gottes Sohn war, muss das seinen Zeitgenossen doch quasi ins Auge gesprungen sein. Es kann doch nicht sein, dass Gottes Sohn an einem vorbeigeht und man gar nichts merkt, wenn die blutflüssige Frau bloß die Kleidung von Jesus berühren musste, um geheilt zu werden. Aber seine Zeitgenossen erkannten ihn nicht und nahmen ihn nicht auf. Warum nicht?

Der Evangelist Markus erfindet eine elegante Antwort auf diese Frage, das sogenannte Messiasgeheimnis: Jesus will gar nicht erkannt werden. Gott reist inkognito und verbietet allen, die ihn doch erkennen, auch nur ein Sterbenswörtchen zu verraten.

 

Dieser literarische Kunstgriff des Markus ist natürlich als Antwort auf unsere Frage unbefriedigend, denn wir haben ihn ja bereits als Kunstgriff durchschaut.

Petrus und Paulus brauchten diesen Kunstgriff auch gar nicht. Sie hatten keine Mühe, Jesus als den zu erkennen, der er war - auch wenn Paulus zugegebenermaßen in seinen Tagen als Saulus die Christen verfolgte, bis Christus selbst ihm die Augen öffnete. Dafür war Petrus der erste, der Jesus als Messias erkannte. Das brachte ihm seinen Namen ein: Petrus, der Fels, auf dem der Herr seine Kirche baut.

 

II

Warum erkennt man Gott nicht?

Jeremia gibt zur Antwort: Weil man sich selbst Götter macht - tote Kultbilder, wie er sie nennt. Zu Jeremias Zeiten galt das wortwörtlich: Da knetete man kleine Göttinnen aus Ton, den man im Ofen brannte; schnitzte Götterbilder aus Holz, das man mit Blech beschlug und anmalte.

Die moderne Götterfabrikation geht da subtiler vor. Heute braucht man keine Götterbilder mehr, weil man Gott sowieso für ein Hirngespinst hält. Heute glaubt man an „reale“ Dinge: An Wohlstand, Leistung, Schönheit und Gesundheit. Man glaubt so sehr an sie, dass man sie unter der Hand zu Götzen gemacht hat. Ihnen bringen wir unsere Opfer dar.

Für unseren Wohlstand opfern wir Menschen in anderen Ländern, die sich mit den Waffen umbringen, die wir ihnen verkauft haben. Die für einen Hungerlohn Kleidung für uns nähen, oder Smartphones zusammensetzen.

Für die Leistung ofpern wir unsere Freizeit und unsere Familie, oft auch unsere Gesundheit.

Für die Schönheit opfern wir viel Geld und treiben junge Mädchen ins Unglück und in die Magersucht, weil sie meinen, so aussehen zu müssen wie Germany’s next Topmodel.

Und für unsere Gesundheit ist uns eigentlich kein Opfer zu hoch. Wir quälen Tiere in Tierversuchen, wir experimentieren mit dem menschlichen Erbgut und patentieren Lebewesen in der Hoffnung, uns dadurch von Krankheiten zu erlösen, unser Leben verlängern zu können.

Für unseren Dienst an den Götzen Wohlstand, Leistung, Schönheit und Gesundheit zahlen wir einen hohen Preis. Darum heißt der oberste Gott, den wir verehren, auch Mammon, das Geld. Für den Mammon verwüsten wir das Land, zerstören wir Gottes Schöpfung und füllen sie mit Scheußlichkeiten an.

 

III

Wir haben uns eigene Götzen gemacht, und der Mammon ist der Obergötze. Weil wir dem Kult dieser Götzen so heillos verfallen sind, können wir Gott nicht erkennen.

Dabei ist es nicht so, dass Gott es uns absichtlich schwer machen würde. Gott versteckt sich nicht, im Gegenteil: Gott schickt Fischer aus, die uns fischen sollen. Petrus war so ein Fischer. In seiner Pfingstpredigt erzählt er den Jerusalemern, die die Jünger für betrunken halten, dass der Heilige Geist am Werk ist. Der Geist, den der Prophet Joel als Zeichen für Gottes Reich ankündigt. Wenn Gottes Geist am Werk ist, dann ist Gottes Reich ganz nah. Dann ist Gott selbst zum Greifen nah, erkennbar als der, der Jesus zum Messias gemacht hat. Petrus will seine Begeisterung mit den Jersulamern teilen, er will sie vom Heiligen Geist begeistern, will ihre Begeisterung wecken für Gott und sein Reich.

Auch Paulus spricht von der Erkennbarkeit Gottes, wenn er sagt, dass wir Gottes Kinder sind, die Gott ihren Vater nennen dürfen. Auch er versucht, seine Leserinnen und Leser - Galater, Korinther, Römer - für die Sache Jesu zu begeistern.

Petrus und Paulus waren die ersten christlichen Menschenfischer. In jeder Generation sendet Gott Menschenfischer aus, die den toten Götzen den lebendigen Gott entgegensetzen, Menschen für Gottes Reich begeistern sollen. Nicht nur so hohe Tiere wie Petrus und Paulus, Franz von Assisi und Elisabeth von Thüringen, Luther und Bonhoeffer. Sondern Menschen wie euch und mich. Ja: euch und mich sendet Gott, dass wir Menschenfischer sein, die Menschen von den toten Götzen zum lebendigen Gott führen und für sein Reich begeistern sollen.

 

IV

Aber wir sind doch keine Heiligen wir Petrus und Paulus! Wie sollen wir mit unserer kleinen Kraft, unserem kleinen Glauben Menschenfischer sein?

Der amerikanische Autor J.D.Salinger erzählt in seinem Roman „Der Fänger im Roggen“ von einem Jungen, der eine schwere Krise durchmacht. Er ist gerade zum zweiten Mal von der Schule geflogen und hat keine Ahnung, was aus ihm werden soll. Er drückt sich die letzten Tage bis zum Ferienbeginn in New York herum, um seinen Eltern nicht unter die Augen treten zu müssen. Dabei trifft er seine kleine Schwester, die ihm schwere Vorwürfe macht. Während sie mit ihm schimpft, fällt ihm ein, was er will, und er erzählt es seiner Schwester: Er will der Fänger im Roggen sein. Er stellt sich vor, dass viele Kinder in einem Roggenfeld spielen, das nahe an einem Abgrund liegt. Er passt auf, dass kein Kind dem Abgrung zu nahe kommt und fängt es, wenn das passiert. Deshalb ist er der Fänger im Roggen.

Seine Schwester schilt ihn, das sei kein richtiger Beruf.

Menschenfischer ist auch kein richtiger Beruf.

Wie der Fänger im Roggen fangen Menschenfischer die Menschen kurz vor dem Abgrund auf. Fangen sie auf den Bergen, den Hügeln und in den Felsspalten.

 

IV

Der Fänger im Roggen - was für eine verrückte Idee! Aber diese scheinbar so verrückte Idee zeigt, worauf es dem Jungen in Salingers Roman wirklich ankommt: Er möchte, dass Kinder unbeschwert, ohne Druck und ohne Angst spielen und heranwachsen können. Er hat einen Traum, wie ein glückliches Leben aussehen könnte, den er verwirklichen möchte.

Menschenfischer haben auch einen Traum von einem glücklichen Leben: Das Reich Gottes, von dem die Bibel erzählt. Wir sind Menschenfischer, wenn wir diesen Traum vom Reich Gottes träumen und unsere kleine Kraft, unseren kleinen Glauben dafür einsetzen, hier und da ein Stück davon hervorblitzen zu lassen.

Sei es, dass wir uns politisch einsetzen für Gerechtigkeit oder den Schutz der Umwelt, oder die kranke Nachbarin besuchen; dass wir Kindern von unserer Zeit schenken, indem wir mit ihnen spielen oder Kindergottesdienst machen, oder Blumen für den Altar in unserem Garten pflücken; dass wir versuchen, zerstrittene Freunde zu versöhnen, oder für den Nachbarn einkaufen gehen.

 

V

Nach diesen Überlegungen können wir endlich die Frage beantworten, woran man Gott erkennen kann:

Gott erkennt man daran, dass er Menschenfischer aussendet.

Gott ist der, der Menschen dazu bringt, von sich selber ab- und zu anderen hinzusehen.

Der Menschen dazu bringt, den Gottesdienst des Mammon als Götzendienst zu erkennen. Wahrzunehmen, dass Geld sehr wohl stinkt, weil es Beziehungen, Menschenleben und die Natur zerstört.

Der Menschen erkennen lässt, dass die Götzen Wohlstand, Leistung, Schönheit und Gesundheit verlogene und tote Götzen sind, die uns nichts nützen.

 

Gott hat andere Pläne mit uns.

Wer das erkennt - wer sich vom Geist Gottes begeistern lässt und den Traum von Gottes Reich der Gerechtigkeit und des Friedens träumt - die oder der hat Gott erkannt. Und wird zum Fischer oder zur Fischerin, die nicht aufhören kann, in allen Sprachen von diesem Traum zu erzählen.



Pfarrer Güntzel Schmidt
Meiningen
E-Mail: guentzel.schmidt@gmx.de

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