Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 09.07.2017

Predigt zu Lukas 6:36-42(dänische Perikopenordnung), verfasst von Elof Vestergaard

”Seid barmherzig! Richtet nicht! Vergebt! Gebt!“ Jesus fügt dazu eine Reihe von Bildworten: Das kurze fast sprichwörtliche Gleichnis in der Frage: „Kann denn ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?“ Man kann es unmittelbar vor sich sehen und fühlt sich sogleich getroffen in seinem eigenen Suchen nach Sinn und Richtung im Leben. Jesus spricht in Wortbildern, die man leicht behalten kann, so wie er heute auch fragt: „Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr?“ Das ist eine Entlarvung und eine beißende Kritik an dem menschlichen Drang, andere zu verurteilen, eine Aufforderung an uns, doch ein Minimum an Selbsteinsicht aufzubringen, wenn wir so eifrig sind, andere zu beurteilen und zu richten. „Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen“.

Jesus war ein Meister mit solchen knappen und bildhaften Formulierungen, die die Sucht der Menschen entlarven, über andere zu richten. Denkt nur daran, wie er mit einem einzigen Satz imstande war, eine aufgebrachte Menschenmenge zu stoppen. Das ist die Geschichte, wie eine zornige und entrüstete Menschenmenge eine Frau zu Jesus bringt, eine Frau, die der Hurerei überführt worden war. Und sie wollten sie steinigen. Das sagt das Gesetz, das ist ihr gutes Recht. Jesus sagt dann zu ihnen: “Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“. Und diese wenigen Worte lassen die wütende Menge verstummen. Sie bringen jeden einzelnen dazu, den Balken im eigenen Auge zu sehen, die Balken in ihren eigenen Handlungen. Die Worte Jesu sprengen die Sucht, über andere zu richten, und lösen die selbstgerechte Gruppe auf.

Die präganten Worte Jesu, dass der, der ohne Sünde ist, den ersten Stein werfen soll, und die Worte des heutigen Textes aus der Bergpredigt über den Balken im eigenen Auge sind eine totale Entlarvung unserer Sucht zu richten, und sie zerbrechen alle mögliche Selbstgerechtigkeit und den Drang andere zu verurteilen in uns. So sollen wir diese Worte hören, und so sollen wir sie in unsere Herzen und Sinne lassen.

”Seid barmherzig! Richtet nicht! Vergebt! Gebt!“ sagt Jesus. Es ist jedoch wichtig, dass wir im Auge behalten, auf welcher Grundlage diese Ermahnungen ergehen. Jesus sagt nicht nur: ”Seid barmherzig! Richtet nicht! Vergebt! Gebt!“ Er sagt: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben“. Dass wir barmherzig sein sollen, beruht nicht nur auf uns selbst und unserer eigene Fähigkeit, Barmherzigkeit zu üben. Die Forderung nach Barmherzigkeit steht als ein Ruf an uns, ein Wort, von ihm, der hinter unserem Leben steht und dem wir alles verdanken. Gott hat die Welt geschaffen und geliebt, und er liebt die Welt. Er ist barmherzig und fordert von uns, barmherzig zu sein. Er will, dass wir einander vergeben und andere an dem teilhaben lassen, was wir empfangen haben.

Macht das denn einen Unterschied, wird jemand vielleicht einwenden. Man doch wohl auch ohne Glaube an Gott barmherzig sein. Ja das kann man, und das geschieht. Aber der Maß ist ohne Gott ein anderer. Es macht einen Unterschied, ob wir unser Leben als eine Gabe Gottes verstehen, oder ob wir glauben, dass wir nur auf uns selbst beruhen. Wenn die Forderung ihren Ursprung in Gott hat, der die Welt geschaffen hat und uns das Leben geschenkt hat, dann ist Barmherzigkeit nicht etwas, was wir leisten sollen, sondern etwas Selbstverständliches, das wir tun sollen, weil Gott in uns seine Liebe gelegt hat. Wir schulden Gott, ihn zu lieben und unseren Nächsten zu lieben.

Da sind viele Balken in unseren Augen, und das liegen viele Steine, nach denen wir greifen um sie mit unseren Händen nach einander zu werfen. Aber das ändert nichts an der Liebe, mit der Gott uns begegnet. Er hat sich mit uns versöhnt, hält an uns fest und verlässt uns nicht. Da waren ein Ostermorgen und ein Pfingsttag. Das ist unser Glück und unser Segen.

Jesus hat im Evangelium dieses Sonntag eine unglaublich schöne, wieder bildliche Formulierung dessen, dass wir ein Geschenk Gottes sind und ihm im Leben gegeben werden: „Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben“. Eine nähere Beschreibung dessen, was und wie groß das ist, was wir in den Händen halten und im Schoß tragen, bekommen wir nicht. Aber es ist jedenfalls etwas, das bewirkt, dass wir im Leben nicht mit leeren Händen dastehen. Ich habe es immer als etwas Flüssiges gehört und gedacht, die Worte „ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß“, so als stünden wir mit einem große Becher im Arm voll von göttlichem Getränk, Frucht gemischt mit Wasser aus der Quelle des Paradieses. Aber in der neuesten dänischen Übersetzung in modernes Dänisch wird es als Korn beschrieben, dass gemessen wird und von dem wir im Überfluss bekommen haben. Flüssig oder fest, das ist aber nicht so wichtig. Das Wesentliche ist, dass wir Menschen, wie schwach und verletzlich wir auch sind, und wie viel oder wie wenig wir selbst vermögen, wie viel auch unsere Sucht zu richten uns verbittern und blind machen kann und sich zwischen uns und das Leben drängen kann, und wir krampfhaft wir auch an dem festhalten, was wir für unseren Besitz halten - so stehen wir doch mit dem Arm voll von Gottes Gaben. Und das wovon unsere Arme voll sind, das ist nicht nur etwas, das wir für uns behalten sollen. Es soll wie das Saatkorn ausgestreut werden und wie ein Getränk mit anderen geteilt werden. Wir schulden Gott, von dem Geist zu leben, von dem wir geschaffen sind, und wie die Hand zu handeln, die uns geformt hat. Das helfe uns Gott. Im Namen Jesu. Amen.



Bischof Elof Vestergaard
Ribe
E-Mail: eve(at)km.dk

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