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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9.. Sonntag nach Trinitatis , 13.08.2017

Täterschaft und Trägerschaft
Predigt zu Matthäus 7:21-27, verfasst von Elisabeth Nitschke

21 Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. 22 Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Machttaten getan?

23 Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt; weicht von mir, die ihr das Gesetz übertretet! 24 Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. 25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. 26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. 27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.

Liebe Gemeinde!

I Von Häusern und Unwettern Anfang Juni 2017. Schwere Unwetter gehen über ganz Deutschland nieder. Besonders hart trifft es eine Gemeinde im Landkreis Hildesheim. Der Himmel verdunkelt sich, Sturm braust los, ein nicht endendes Gewittergrollen gerät zur akustischen Kulisse für die tosenden Blitze und den peitschenden Regen.   Der kleine Ort Sottrum wird derart heimgesucht, dass das sonst so harmlose Flüsschen über die Ufer steigt. Aus Straßen sind Flüsse geworden, Autos ohne Fahrer schwimmen ziellos in ihnen herum. Die Feuerwehr pumpt geflutete Keller aus, und die Bewohnerschaft wird noch Tage damit beschäftigt sein, die allgegenwärtigen Schlammmassen weg zu spritzen oder kratzen. Aber immerhin: die Häuser stehen fest.

Jesus hatte bei seiner Rede die Lehmhäuser in ländlichen Gegenden Palästinas vor Augen. Platzregen und Wind zerstörten diese leicht. Jesus zeigt sich hier als gelernter Handwerker und weiß: Ein Bauherr musste zuerst den Boden untersuchen und ausschließen, dass unter dem Fundament eine Kiesschicht, Humus oder Sand liegen würde, die bei einem Sturzregen leicht unterspült werden konnten. Regen in Israel-Palästina ist heutzutage nicht häufig, aber wenn, dann kommen unsere Sommergewitter ihm am nächsten. Die Wadis in der judäischen Wüste füllen sich bei Regen in kurzer Zeit mit gewaltigen Wasser- und Schlammmassen, die sich durch die Täler wälzen und von den höher gelegenen Stellen als gigantische Wasserfälle herabstürzen. Auch heute Naturschauspiele! In den Wadis sind daher auch schon mehr Menschen ertrunken als verdurstet. Ein Haus etwa auf den Sand des Wadis zu bauen ist leichtsinnig, ja wahnsinnig.

Bilder wie die aus unserem Predigttext sind seit dem Klimawandel auch in Deutschland denkbar. Heiße Luftmassen sind in der Lage, sehr große Wassermengen aufzunehmen und als gigantischen Platzregen niederfallen zu lassen – wie gut, dass hier im Juni zumindest die Häuser den Unwettern getrotzt haben und „nur“ Keller vollgelaufen sind.

Mit dem Thema Haus und Wohnen trifft Jesus eine existenzielle menschliche Kategorie. Die eigenen vier Wände gelten ja als der entscheidende Rückzugsort in der Welt. Der Traum vom Eigenheim hat nicht erst seit der Finanz- und Börsenkrise 2008 große Dynamiken entfaltet. Geldanlagen in Immobilien sind auch momentan die ultima ratio. Die Fallstricke, die uns in Mitteleuropa auflauern, sind dabei aber selten schlechte Fundamente, eher der nicht wie erwartet steigende Wert der Immobilie oder perspektivlose Verschuldung. Neuerdings kann man in den Zeitungen lesen, was man tun muss, wenn der Keller geflutet wurde. Kurz: Jeder und jede auch heute und hier versteht, was der Ruin eines Hauses bedeutet.

Hier knüpft Jesus an: Wer meine Rede umsetzt, sagt er, der säuft auch bei Unwetter nicht ab, der braucht sich nicht vor dem Sturm am Ende der Zeit fürchten, den heftigsten Erschütterungen, die das Leben in alle Ewigkeit bedrohen. Wer sich auf meine Worte gründet, der ist fundiert. Aber wer nur „Herr, Herr“ sagt und wessen Lippenbekenntnissen nichts Substanzielles folgt, der hat sein Leben in den Sand gesetzt.

II Fundiert, nicht fundamentalistisch Soweit, so verständlich! Wir würden es gern machen wie der Kluge in der Parabel, natürlich. In „dieser meiner Rede“, der Bergpredigt, aus der unser Predigttext genommen ist, stellt Jesus sein ethisches Programm vor. Und da geht es nicht einfach nur um die Überwindung des inneren Schweinhundes! Zur Erinnerung hier ein paar der Ansprüche, die Jesus in der Bergpredigt, in „dieser seiner Rede“, stellt: Er fordert, auch noch die linke Wange hinzuhalten, wenn die rechte geschlagen wurde. Er fordert, beim Geben das doppelte Maß anzusetzen – wer dich um etwas bittet, dem gib fraglos das Doppelte. Liebe deinen Feind – seine Freunde liebt schließlich jeder. Vergebt einander. Ja sogar: Bevor deine Hand jemanden angrapscht, trenne dich von ihr. Bevor dein Auge jemanden begehrlich ansieht, reiß es aus.

Eines ist dabei deutlich: Das Fundament für unser Handeln ist unsere am Hören geschulte Haltung. Unser Leben das Haus, das den entscheidenden Stürmen – Jesus denkt an das endgültige Urteil – standhalten soll.

Das ist harte Kost! Kein Wunder tun sich die Jünger mit dem Tun schwer! Wer eine Ein-zu-eins-Umsetzung der Bergpredigt vornähme, wäre nicht fundiert, sondern Fundamentalist und würde eine Art christliche Scharia einführen. Und statt dem Reich Gottes käme dann eine Art christlicher Gottesstaat. Natürlich legt hierzulande niemand mehr die Bibel so aus – Gott sei Dank! Manche Christen nehmen aber doch vieles aus dem Buch der Bücher wörtlich und kommen dann hier in echte Erklärungsnöte. Es ist bei der Auslegung „schwieriger Bibelstellen“ also nicht damit getan zu sagen, dass das Alte Testament für uns nicht die gleiche Verbindlichkeit habe wie das Neue. Schwere Texte finden sich nämlich mitten im Zentrum des Neuen Testaments. Wir brauchen also Verständnisschlüssel für das ganze Buch.

An den Ansprüchen der Bergpredigt - der Rede, die wir so wie die ersten Hörer Jesu tun sollen -, müssen wir zwar scheitern. Aber je höher das Ziel angesetzt ist, desto weiter kommt man schon wenigstens beim Versuch, es zu erreichen. Vielleicht kann die Erfüllung auf einer höheren, „geistigen“ Ebene, in den grundsätzlichen Einstellungen erfolgen – so kommt man wenigstens in der Zielstellung weiter. Zu fragen ist bei den Antithesen der Bergpredigt, welche Vorstellung einer Gesellschaft jeweils hinter ihnen liegt, welcher Geist in ihnen weht, etwa so:

Auch noch die rechte Wange hinhalten zeugt von einem radikalen Verzicht auf Gewalt. Das doppelte Maß anzusetzen zeigt eine geradezu beschämende Großzügigkeit. Der Versuch der Feindesliebe zwingt dazu, sich mit diesem Feind auseinanderzusetzen und vielleicht zu verstehen, wie er zu seiner Einstellung kommt – so wird immerhin Dialog möglich. Wo einer aufgefordert wird, sich eher zu verstümmeln als eine Frau anzustarren, sind die Männer angesprochen, sich zu disziplinieren statt in der Frau die Quelle der Verführung zu sehen – für Jesu Zeit eine provozierend neue Sicht und auch heute nicht überall selbstverständlich.

Die Reihe ließe sich noch weiter fortsetzen, und es würde sich lohnen, über jede einzelne These nachzudenken – nicht umsonst werden der Bergpredigt Bücher, Gesprächskreise und Schulstunden gewidmet. Klar wird: In einer Gemeinschaft, in der wir es mit dem Geist der Bergpredigt versuchen, werden es wenigstens einige schaffen, etwa ihren radikalen Pazifismus zu leben. Auf jeden Fall wäre das eine Gemeinschaft, in der nicht nur der Stärkste und Angepassteste überlebt.

III Trägerschaft und Täterschaft Wer meine Rede tut, ist fundiert, sagt Jesus Christus. Das Tun an sich, Aktivitäten aller Art scheinen in unserer Kirche heute kein Problem zu sein, und Jesu Geist hat in vielen Bereichen unserer Gesellschaft Raum bekommen – überall, wo Achtsamkeit gezeigt wird, ist auch etwas von ihm zu greifen. Die Kirche hat über die Jahrhunderte wirksam Jesu Ideale in die Gesellschaft eingespeist. Viele Werte und Haltungen werden nicht mehr ausdrücklich bei Jesus Christus verortet, sondern sind in die allgemeine Moral eingeflossen – Fundamente, die uns tragen. Und das ist auch gut so. Und so nennen viele sich „Christen“, die sich zwar mit dem Bekenntnis schwertun und auch selten in der Kirche anzutreffen sind, aber, wie man es so oft in Gesprächen hört, „ihr Christsein einfach leben“ – das heißt: allgemein Gutes tun wollen, z. B. in einer diakonischen Einrichtung, im Lions Club, einem Tierheim oder spürbar in dem in Deutschland hohen Spendenaufkommen.

„Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel“. Immer wieder geht es im Matthäusevangelium um das Tun des Richtigen. Im Jahr des Reformationsjubiläums ist das eine auch provokante Haltung: Nein, die Rechtfertigung der Menschen aus Gnaden allein bringt uns auf Erden nicht weiter. „Man muss sich schon die Frage gefallen lassen, ob Matthäus nicht gerade die Gnade Gottes darin ernstnimmt, dass er den von Gott zum Handeln aufgerufenen Menschen ernst nimmt.“ (Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, in: EKK, 1. Teilband Matthäus 1-7, Zürich 20025, S. 534).

Haben wir eigentlich das gleiche Problem wie die Zielgruppe des Matthäus? In der Gemeinde des Matthäus scheint das Bekenntnis zu Jesus Christus nicht das Problem gewesen zu sein. Vielleicht hatte Matthäus genau die Christen vor Augen, an denen es in den Gemeinden des Paulus mangelte. So macht er das stark, was er vermisst. Das Tun ist das, was trägt, so fundiert trägt, wie wir es von einem Haus erwarten. Der Glaube allein reicht nicht!

Im Jahre 2017 fragt man sich: Ist das Tun unser Problem oder das Bekennen? Die Frage erinnert an die Debatte in den Nuller Jahren, in denen Einrichtungen, die der Kirche eng verbunden sind, wieder stärker „gelabelt“ werden sollten. Es sollte erkennbar sein, dass das Gute, was in ihnen getan wird – die „Täterschaft“ – aus dem Geist des Evangeliums erfolgt, also in der „Trägerschaft“ bei der Kirche angebunden ist. Ein „Bekenntnis“ zur Kirche in Form einer Aufschrift auf dem Plexiglas neben der Eingangstür war oder ist an vielen Orten schon ein ziemlicher Schritt. Doch für den Jesus im Matthäusevangelium ist z. B. eine Diakonie ohne Bekenntnischarakter durchaus legitim (Manfred Köhnlein, Die Bergpredigt, Stuttgart 2005Köhnlein, S. 186) – Hauptsache, der Wille des Vaters wird getan. Dem Flüchtling, der preiswert im Diakonieladen einkauft, dem Schuldner, der beraten wird, den Teilnehmerinnen am internationalen Kreistanz ist es womöglich egal, wer ihr Angebot initiiert hat?

Vielleicht würde das Ende der Bergpredigt in unseren landeskirchlichen Gemeinden von Jesus heute anders formuliert werden. Vielleicht würde er unsere festen Häuser, in denen wir uns mit Kirche und Diakonie, mit Familienbildungsstätten, Erwachsenenbildung und christlichen Kindergärten eingerichtet haben, loben. Die guten Fundamente, die durchdachten Konzepte. Er würde sich freuen, mit welcher Selbstverständlichkeit schon manche Lehren aus der Bergpredigt umgesetzt werden und wie vielerorts die goldene Regel als unsichtbare Richtschnur trägt – tut den Leuten so, wie auch ihr von ihnen behandelt werden wollt.

Aber vielleicht würde er uns darauf hinweisen, dass wir ihn in all diesen Häusern öfter als „Herr, Herr“ ansprechen könnten. Oder ein sprechendes Namensschild an unsere festen Häuser schreiben und unsere wertvollen Handlungen ausdrücklicher auf ihn zurückführen könnten.

Weshalb?

Ein Bekenntnis zu diesem Herrn schützt vor Selbstgerechtigkeit. Es rückt immer wieder die Motivation zurecht: Ihr handelt so, um den Willen des Vaters zu tun – und nicht, um heimlich ein kommerzielles Interesse zu bedienen. Ein Bekenntnis zieht eine feine Linie zu den Werten, die knapp neben den von Jesus gemeinten liegen. Ein Bekenntnis preist Gott. Und schließlich verweist es auf die Quelle, aus der wir uns speisen, und diese Quelle ist unerschöpflich.

Amen



Pfarrerin Elisabeth Nitschke
Leonberg
E-Mail: elisabeth.nitschke@elkw.de

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