Entscheidungsfragen - Predigt zu Mt. 7,24-27
24 Jeder, der diese meine Worte hört und danach handelt, ist einem klugen Mann gleich, der sein Haus auf Fels gebaut hat.
25 Da gingen Regengüsse nieder, Sturzbäche kamen, und Winde wehten und warfen sich gegen das Haus, und es stürzte nicht ein. Denn Fels war sein Fundament.
26 Und jeder, der diese meine Worte hört und nicht danach handelt, ist einem törichten Mann gleich, der sein Haus auf Sand gebaut hat.
27 Da gingen Regengüsse nieder, Sturzbäche kamen, Winde wehten und schlugen gegen das Haus, und es stürzte ein, und sein Sturz war gewaltig. (Zürcher Bibel 2007)
Liebe Gemeinde,
ich kann mich gut erinnern: bei unserem ersten Strandurlaub an der Nordsee haben wir eine tolle Sandburg gebaut – mit Zinnen und Vorburg und Hauptburg und sogar einem Turm. Am nächsten Morgen waren wir wahnsinnig enttäuscht – sie war weg. Über Nacht war die Flut gekommen und hatte die ganze Arbeit zerstört.
Dabei war das ja noch harmlos. Was die Gewalt des Wassers anrichten kann, das mussten Menschen in Deutschland in diesem Sommer schon erleben, wir (anderen) haben es im Fernsehen anschauen können.
Uns fällt nicht schwer, das Gleichnis zu verstehen, in dem Jesus hier spricht. Zumindest die Seite vom Hausbau. Solides Fundament schafft eine hohe Gewähr, dass auch im Regensturm das Haus stabil ist, dass es standhält gegen die Gewalt schlimmen Wetters. Ein Haus dagegen, das auf beweglichen Grund gesetzt ist – hier ist es der Sand, es könnte aber auch sumpfiges oder Moorgelände sein – ein solches Haus ist in Gefahr.
Wir können davon ausgehen, dass auch damals die Hörer sofort verstanden haben, was Jesus mit dem Bild meinte. Er war ein Meister darin, verständliche Beispiele zu benutzen, um seine Botschaft an die Leute zu bringen.
Denn natürlich ist hier nicht das Hausbauen an sich Thema. Jesus war zwar gelernter Zimmermann, aber sein Thema war ein anderes. Sein Thema hat mit ihm selbst zu tun, mit seinem Auftrag, mit seiner – nennen wir es ruhig: Lehre. „Jeder, der diese meine Worte hört und danach handelt“ oder nicht handelt, bekommt eine Zuordnung: er gleicht entweder einem weise oder einem törichten Mann, der an der richtigen oder der falschen Stelle sein Haus errichtet.
Thema ist also die Lehre Jesu, so wie der Evangelist Matthäus sie verstanden und aufgeschrieben hat. Und genau wie wir das alte Bild vom Hausbau ganz unmittelbar verstehen können, ebenso unmittelbar können wir fragen: Was ist mit dieser Lehre für uns heute gemeint, was ist ihr Kern?
Der Abschnitt, den wir gehört haben, steht am Ende der Bergpredigt. Darin entrollt Jesus grundsätzlich, wie er das Leben der Menschen im Licht von Gottes Reich sieht: Die Benachteiligten, die Verfolgten, die Friedfertigen, die „Armen im Geist“ nennt er selig – also von Gott geliebt und angenommen. Erkennbar sollen sie sein, die Kinder Gottes: und zwar dadurch, dass sie aus dem Gottvertrauen leben. Dass sie den Sinn der Gebote annehmen, nicht nur den Buchstaben. Dass sie auf Vergeltung verzichten und Versöhnung üben – und zwar nicht weil sie müssen, sondern weil sie verstehen, dass es der bessere Weg ist. Es ist ein anspruchsvolles Programm unter der Überschrift: Leben aus dem Vertrauen auf Gottes Güte und Fürsorge.
Immer wieder kann man über unseren Text lesen, mit dem „Haus“ sei die Gemeinde gemeint – sie sei das Haus, von dem Jesus redet. Und die Stürme, das seinen dann die Versuchungen und Gefahren, denen die Gemeinde in einer feindlichen Welt ausgesetzt sei. Das aber steht nicht da.
Es geht um einen „Mann“, einen „Menschen“ (den einzelnen Menschen!) und „sein Haus“[1]. Angesprochen sind wir, du und ich – persönlich. Es geht um Entscheidung: so oder so verhalte ich mich: Entweder wie ein weiser oder wie ein törichter Mensch. Und das eine wie das andere wird dann Folgen haben.
Bemerkenswert ist, wie Jesus diese Folgen rückbindet an das Vorhergehende. Erinnern Sie sich? „Jeder, der diese meine Worte hört und danach handelt....“, sagt Jesus.
Das erste ist das Hören. Am Ende der Bergpredigt erinnert Jesus sozusagen daran: So. Das war mein Programm. Das habt ihr jetzt gehört. Aber mit dem Hören allein ist es nicht getan. Jetzt, Zuhörer, jetzt bist du dran. Du musst dich entscheiden: Will ich danach handeln oder nicht? Will ich mein Leben nach der Friedfertigkeit und am Gottvertrauen ausrichten oder nicht? Will ich die Gebote verstehen lernen und zur Richtschnur für mein Leben machen oder will ich sie nach den Buchstaben abarbeiten? Will ich, dass in meinem Leben die Freundlichkeit Gottes sichtbar wird für andere oder nicht?
Das ist die Entscheidung, vor die Jesus seine Jünger stellt. An sie richtet er die Bergpredigt, zu Beginn ihres gemeinsamen Weges: Darauf lasst ihr euch ein, wenn ihr mir nachfolgt. Wollt ihr das, wollt ihr das wirklich?
Oft genug funktioniert Leben ganz anders. Oft genug handeln Menschen so, dass sie sich durch ihr Tun vor anderen rechtfertigen: „Schau mal, das habe ich doch gut gemacht, jetzt lob mich doch!“ Und umgekehrt: oft bekommt in der Erziehung ein Kind Liebe nicht dafür, dass es da ist, sondern dafür, dass es brav ist oder Leistung zeigt. Sich an die Regeln hält.
Und wenn wir dieses Konzept „Liebe für Leistung“ gut gelernt haben, dann verhalten wir uns auch als Erwachsene so. Das können wir immer dann besonders klar erkennen, wenn die Schuld oder die Verantwortung für etwas, das schiefgegangen ist, auf andere abgeschoben wird, egal ob das sachgemäß ist oder nicht. Wir denken und handeln ganz oft so, als müssten wir uns vor Gericht dafür verantworten.
Und das schlägt sich auch auf Glaubensfragen nieder. Warum sonst gäbe es in fast allen Religionen Regeln, Gebote, Gesetze? Vielleicht, weil Menschen meinen, sie müssten Gott vor zu viel Nähe schützen. Sicher aber auch, weil mit der Einteilung in „richtiges“ und „falsches“ Verhalten, in „korrektes“ oder „unangemessenes“ Befolgen der Gebote und Verbote Ordnung erhalten werden kann, im schlechten Fall eine Ordnung mit Furcht und Schrecken, aber eine Ordnung. Und die dient zum Beherrschen und Kontrollieren.
Ordnungen brauchen wir, keine Frage. Schrankenlose Freiheit funktioniert nicht; sie endet im Recht des Stärkeren. Auch brauchen wir im Zusammenleben der Menschen Instrumente, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Und wir wissen inzwischen ganz gut, wie komplex die Aufgabe ist, diese Ordnung so zu gestalten, dass sie möglichst allen gerecht werden. Dass sie sowohl gerecht wie auch menschlich bleiben, dass sie die Verhältnisse abbilden, unter denen Menschen leben und so weiter. Das gilt für unser Zusammenleben in Staat und Gesellschaft.
Aber es gilt eben auch – und in ganz eigener Qualität – für das Leben derer, die Jesu Worte hören, für Menschen also, die sich den Glaubensfragen stellen, die ihr Leben im Licht von Gottes Reich gestalten wollen.
Und hier kommen wir ganz schnell zu einer zentralen Glaubensfrage, nämlich der Frage nach Glauben und guten Werken. Lange, viel zu lange haben Menschen gemeint, sie könnten sich durch gute Werke den Himmel verdienen. Bis heute.
Martin Luther, der ganz von diesem Glauben durchdrungen war, wäre fast daran zerbrochen. Bis er dann die Gnade Gottes als Schlüssel entdeckt hat, die nicht die guten Werke fordert, sondern allein den Glauben – heute würden wir vielleicht sogar besser sagen: das Vertrauen -, dass Gott gnädig ist. Die Werke seien dem gegenüber nicht entscheidend.
In unseren Tagen kann ich ab und an hören: „Ach wissen Sie, Herr Pfarrer, in die Kirche gehe ich nicht so oft. Aber ich bin schon ein guter Christ. Ich lebe doch ordentlich.“ Ich denke mir dann: Das mag schon sein, dass der ordentlich lebt, als guter Bürger. Ist aber „ordentlich leben“ schon ein Kriterium fürs Christsein?
Hören möchte mein Gesprächspartner (wie beim Ablass des Mittelalters): Du bist im grünen Bereich. Zwischen dir und der Welt, meinethalben auch zwischen dir und Gott ist so weit alles im Reinen. Er möchte für sein Befolgen der Regeln den Stempel „lobenswert“ haben.
Kirche als moralische Erziehungsanstalt, am Ende gibt’s ein Zeugnis? - Das sei ferne! Noch einmal: Nicht ein Abarbeiten der Regeln ist gemeint, sondern eine Haltung zum Leben. „Entgegen einer langen Tradition im Christentum – besonders in seiner lutherischen Ausprägung – stehen Glaube und Werke, Hören und Tun in einer engen positiven Beziehung. … Die Werke sind nicht nur die logische und chronologische Folge des Glaubens, sondern sie sind auch eine Gestalt des Glaubens, …“[2], schreibt ein Ausleger.
Was wir glauben, das muss sich auch zeigen in unserem Verhalten. Eigentlich ist es noch viel direkter: es zeigt sich tatsächlich – so oder so. Ob ich eigensüchtig lebe und handle oder mich aus Überzeugung einsetze z.B. für Menschen in Notlagen – das wird natürlich sichtbar. Unausweichlich. Insofern hat auch der Glaube immer und unausweichlich eine gesellschaftliche und politische Komponente. Die Menschen um uns herum spüren sehr genau, ob da, wo „christlich“ draufsteht, auch „christlich“ drin ist. Christlich im Sinne des Predigers der Bergpredigt, um an diese große Rede Jesu nochmals zu erinnern. Denn der Weg, den er einschlug und konsequent weiterging, der Weg der Nächsten- und Feindesliebe, der Weg der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, der Weg der Vergebung und Heilung, der Weg der Klärung von Glaubens- und Lebensfragen: dieser Weg brachte ihm nicht nur Freunde ein. Und längst nicht alle seine Freunde und Nachfolger haben ihn verstanden. Bis heute tun sich viele schwer damit.
Was also hilft weiter? Zum einen: Bleibe dran. Beschäftige dich. Höre die Worte, lies sie nach. Versuch sie zu verstehen. Und dann prüfe an ihnen dein Handeln. Mit dem Gleichnis gesprochen: Wohin stelle ich das Haus? Oder anders: An welchen Werten orientiere ich mein Leben, wenn ich als Christ leben will?
Wolfgang Huber, der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, hat hierzu einen Vorschlag gemacht, den ich sehr bedenkenswert finde, weil er so knapp und präzise ist. In seinem neuen Buch „Glaubensfragen“ nennt er fünf Begriffe, die er einander zuordnet und die für ihn die christlichen Grundwerte sind, weil sie dem christlichen Glauben für das Zusammenleben „überragende Prägekraft“ verleihen. Es sind:
All das greift ineinander und bedingt sich gegenseitig; und es ist eigentlich keine Überraschung: alles finde ich auch im Programm des Bergpredigers. Es ist ein Lebenskonzept, nicht weniger als das. Und das fordert uns tagtäglich zur Auseinandersetzung und zur Entscheidung heraus.
Wo unser Glaube so Leben gewinnt, da scheint auch das Reich Gottes auf, von dem Jesus uns zusagt, dass es schon angefangen hat unter uns. Und das, liebe Gemeinde, das ist in der Tat ein starkes Fundament.
Amen.
[1] So G. Strecker, Die Bergpredigt, Göttingen 1984, S.177
[2] Meyer-Blank, zum Text in: GPM, Heft 3/2017, S. 374
[3] Wolfgang Huber, Glaubensfragen, München 2017, S. 295-300