Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9.. Sonntag nach Trinitatis , 13.08.2017

Predigt zu Lukas 16:1-19 (Dänische Perikopenordnung), verfasst von Jens Torkild Bak

Liebe Gemeinde,

Einer von den Eltern eines Kindes, das an diesem Sonntag getauft werden sollte, hatte sich schon darüber informiert, was die Predigttext dieses Tages war, und er sagte zu mir, ich glaube mit einem gewissen Mitgefühl in der Stimme: „Das ist kein leichter Text für die Predigt“. Das Gleichnis über den untreuen Gutsverwalter. Es ist ja wahr: kein einfacher Text. Denn wie kann es dazu kommen, dass dieser Schwindler und Betrüger zu einem Vorbild wird? Es gibt bestimmt auch sonst viele Ecken und Kanten in den Worten und Reden Jesu, viel worüber man noch einmal nachdenken muss, aber dies ist meines Wissens das einzige Gleichnis, dass direkt mafiös ist.

Aber eben darum ist es vielleicht auch eine Geschichte, die einen in besonderem Maße dazu zwingt, zu überlegen: Ja, was ist das denn eigentlich für eine Ebene, auf der sich die Gleichnisse bewegen? Die Wirklichkeit, die sie schildern und von der her sie zu verstehen sind – ist das ein realistischer Alltag, wie wir ihn kennen, mit den Normen und Spielregeln, die dort für das menschliche Verhalten gelten, oder sollen sie auf einer anderen eher bildlichen Ebene im übertragenen Sinne verstanden werden?

Ganz bestimmt das letztere, aber es kann schwer fallen, sozusagen seine Zunge im Zaume zu behalten, wenn man die Geschichte hört, denn sie ist so lebendig erzählt und entnimmt ihren Stoff aus einer Welt, die wir sehr wohl kennen. Ich meine: Betrug kommt vor, wir hören täglich davon – vielleicht nicht als etwas, was gewöhnlich in unserer engsten Umgebung vorkommt. Aber die Medien verstehen sich bekannt sich darauf, so etwas aufzustöbern.

Der Unterschied ist hier nur die Moral dieser Geschichte, dass Jesus den untreuen Gutsverwalter für sein kriminelles Verhalten lobt.

Wenn man sich eine Harry Potter Film anschaut, ist man nicht im Zweifel darüber, dass wir hier in einer anderen Wirklichkeit sind als der, die wir gewöhnlichen Sterblichen im Alltag erleben. Das ist eine phantastische Märchenwelt, wo die allgemeinen Naturgesetze außer Kraft gesetzt sind und wo die ganze Einrichtung der Gesellschaft eine andere ist als die, die man kennt. Man ist nicht im Zweifel.

Aber bei den Gleichnissen ist man im Zweifel, weil der Erzählstoff, den sie gebrauchen, ganz realistisch ist – dem allgemeinen Menschenleben entnommen und dem, was einem da begegnen kann. Manchmal ist das, was geschieht, ziemlich apart, aber so etwas kommt ja vor. Die Wirklichkeit kann manchmal die Phantasie übertreffen.

Was wir deshalb leicht vergessen, ist dies, dass Gleichnisse immer in einem bestimmten Licht gesehen werden müssen. Die Gleichnisse handeln immer vom Reich Gottes. Oder sie handeln vom Verhältnis zwischen Gott und den Menschen. Sie handeln von einer Beziehung, in die wir als Christen durch die Taufe gestellt sind – eine Beziehung, die eine andere Beziehung ist als die zwischen Eltern und Kindern, Mann und Frau, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Bürger und Gesellschaft. In dieser Beziehung, der Beziehung zwischen Gott und den Menschen, gilt schlechterdings eine andere Werteordnung und ein anderer Maßstab als der, dessen wir uns gewöhnlich bedienen, wie sehr uns das auch verärgert.

Die Pointe in dem Gleichnis vom untreuen Gutsverwalter ist diese: Im Verhältnis zwischen Gott und Mensch gilt das besondere, dass wir als Menschen untereinander völlig gleich gestellt sind. Das ist so wie in einen Spiegel zu sehen – wenn es so einen gäbe – der alle Menschen gleich macht. Wir können noch so viel fühlen oder gar wissen, dass Petersen ein besserer Mensch ist als Hansen. Wir können noch so sehr erfahren haben, dass Petersen ein Fiasko ist im Vergleich zu Hansen, und das kann noch so wahr sein, wie es will nach allgemeinem menschlichenm Maßstab. Aber gerade hier gilt dieser Maßstab nicht. Vor Gott sind wir alle gleich, und wenn jemand etwas schuldig ist, so sind wir es alle. Ja wir sind einander schuldig, so wie die Verschworenen im Gleichnis es auch sind.

Ist das nicht eine tief deprimierende Botschaft? Ist da noch überhaupt etwas, nach dem wir streben können; gibt es irgendeinen Grund, sich anständig zu benehmen, wenn man durch anständiges Verhalten nicht auf ein höheres Niveau gelangt als Schwindler und Betrüger, sondern alle auf gleichen Niveau bleiben? Ja, das ist natürlich, und das tun wir immer wieder: Wir streben und streben, wir können gar nicht anders. Tatendrang, Drang sich zu entfalten, Ehrgefühl, Ambitionen und der Überlebensinstinkt sitzen tief in uns – und gewöhnlich werden wir ja auch von unserer Umgebung angemessen für unser Streben und unsere Treue belohnt in Form von Vertrauen, Anerkennung und Respekt – vielleicht sogar mit einem guten Gehalt.   In dieser Hinsicht besteht also ein guter Grund, sich zu bemühen, sich auf dem schmalen Pfad der Tugend zu halten und seiner Familie oder seinem Nachruf keine Schande zu bereiten.

Nur an einer Stelle, an einer einzigen Stelle, nur im Verhältnis zu Gott ist dieses Streben nichts wert. Wir müssen uns damit abfinden, dass hier andere Werte und ein anderer Maßstab gelten.

Es gibt wohl kaum ein anderes Gleichnis, welches dies so schonungslos darstellt, wie das Gleichnis vom untreuen Gutsverwalter. Zuweilen muss eine gute Botschaft auf die Spitze getrieben werden, wenn sie bei den Zuhörern ankommen soll, und dies tut Jesus hier. Der Zugang zum Reich Gottes ist nicht einer privilegierten Schar frommer und selbstgerechter Leute vorbehalten. Der Zugang zum Reich Gottes ist nicht denen vorbehalten als Privileg, die meinen, dass sie sich das verdient hätten – und vielleicht schon in dieser Welt zahlreiche Ehrungen wegen ihres wohlgelungenen Lebens empfangen haben.

Wenn jemand hier Zugang hat, dann haben es alle – selbst das kleine Kind, das sich nicht verdient gemacht hat, und der Schwindler, der alle seine Möglichkeiten verspielt hat. Der einzige Zugang zum Reich Gottes ist nämlich der, den uns Gott selbst in seiner Liebe geschenkt hat, uns in Christus offenbart hat - und mit dem er keinen Unterschied zwischen uns macht, seinen Kindern.

Man kann sich sehr wohl über das Vaterbild amüsieren, in dem das Gottesverhältnis im Christentum dargestellt wird, und es vielleicht auch in vieler Hinsicht problematisch finden. Aber das sagt trotz allem so viel: Eine Sache ist es, wie es einem Menschen in der Welt ergeht, wo es einem Menschen wahrlich furchtbar schlecht ergehen kann, selbstverschuldet oder unverschuldet. Eine andere Sache ist es, dass sich Gott noch immer sein Recht vorbehält, an diesem Menschen in seiner Liebe festzuhalten.

   Das ist nicht so sehr die Frage, ob wir das von unseren Werten und unserem ethischen Maßstab akzeptieren können. Wir sollen es einfach akzeptieren, wenn wir denn im Übrigen dem Evangelium glauben und aus seiner Gnade selbst leben wollen. Wenn wir also mit uns selbst darüber im Reinen sind, dass wir darauf angewiesen sind, von der Vergebung zu leben, müssen wir akzeptieren, dass unser Mitmensch durch Gottes Gnade dieselbe Möglichkeit hat, auch wenn wir vielleicht sein bzw. ihr Verhalten fast unverzeihlich finden.

Und wenn all dies gesagt ist, ist das alles vielleicht gar nicht so abstrakt, wie diese Rede vom besonderen Verhältnis zwischen Gott und Mensch uns zu denken gibt. Wir befinden uns noch immer in der Welt der Wirklichkeit.

Zwar handelt das das Evangelium vom Verhältnis zwischen Gott und Mensch, aber darin ist auch eine allgemeine Lebensweisheit enthalten. Weiter weg liegt es nicht. Wir können nur fragen, was in unserem eigenen Leben und unserem Handeln zuerst kommt: Ist es die Liebe oder sind es die Fülle der Verdienste? Sagen wir zu unseren Kindern – oder denken wir es – dass sie sich um unsere Liebe verdient machen müssen, oder erweisen wir ihren unsere vorbehaltlose Liebe, damit sie geborgen und vertrauensvoll sein und durch diese Leibe wachsen können und dadurch die Möglichkeit haben, dass sich das beste in ihnen entfaltet?

Sagen wir zu unserem Mitmenschen – oder denken wir, dass er sich unsere Freundlichkeit, unseres Vertrauens und unseres Respekts würdig erweisen muss, oder, oder zeigen wir im Voraus Freundlichkeit, Vertrauen und Respekt, um ihm damit die Möglichkeit zu geben, als Mensch und Persönlichkeit in unserer Nähe, z.B. am Arbeitsplatz, zu wachsen? Wenn wir die die Blickrichtung verändern, kennen wir wohl auch mehr oder weniger diese Fragestellung und dieses Problem von uns selbst. Wir können auf dem Papier noch o viele Möglichkeiten haben oder materiell noch so gut gestellt sein. Wenn wir in der Tiefe der Seele das alle überschattende Problem haben, dass uns Selbstvertrauen fehlt, Selbstachtung, Vertrauen Anerkennung, Liebe - dann können wir überhaupt nichts auf die leichte Schulter nehmen. Wir verkrampfen bei diesem menschlichen oder geistlichen Hunger. Jede Aufgabe und jedes Vorhaben wird zu einer Überanstrengung, durch die wir versuchen, uns die Anerkennung und die Liebe zu verdienen, nach der wir uns sehnen. Aber je mehr wir so nach der Anerkennung anderer streben, desto mehr entfernen wir uns von ihr. Deshalb liegt auch viel Lebensweisheit darin, wenn das Evangelium – ganz gleich wie brutal und fast anstößig das in diesem Gleichnis vom ungetreuen Haushalter geschieht – jeden menschlichen Glauben daran verwirft, dass wir durch eine ordentliche Lebensführung und viele gute Werke die Liebe Gottes verdienen können. Denn so ein Glaube ist ein Grab, das sich der Mensch selbst gräbt.

Der Mensch ist genötigt, mit dem Glauben an die Liebe Gottes zu beginnen, und diesen Glauben soll er festhalten und in ihm wachsen, so dass er Zeit und Lust bekommt, seine vielen guten Fähigkeiten zu entfalten und an anders zu denken als an sich selbst. So sollen wir uns auch einander in all den Zusammenhängen begegnen, in denen wir uns im Leben begegnen. Es kann sehr wohl passieren, dass man mit Kälte und kritischer Evaluierung einen anderen Menschen auseinandernehmen kann und ihn dann wieder so zusammensetzen kann, wie man ihn nun haben möchte. Aber man kann ihn niemals auf diesem Wege zu einem lebendigen Menschen machen. Das vermag nur die Liebe. Einen gesegneten Sonntag! Amen.

 



Dompropst Jens Torkild Bak
Ribe
E-Mail: jtb@km.dk

(zurück zum Seitenanfang)