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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 20.08.2017

Ein Bündnis mit checks and balances
Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 19:1-8, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

zum Punkt kommen, Großes erwarten – und was riskieren. Anhand dieser 3 Stichworte können wir das Wichtigste unseres Lebens erzählen. Zum Beispiel die Hochzeit als „Bund fürs Leben“. Da sind wir zum Punkt gekommen und haben Großes erwartet und Vieles riskiert. Oder der Mann aus unserem Nachbardorf, der an einer tödlichen Immunerkrankung litt. Nach langem Zögern gab er sich einen Ruck. Mit großer Angst und einer letzten Hoffnung stimmte er einer Lungentransplantation zu. Sie verlief erfolgreich, woraufhin er sich ein Motorrad kaufte und nun fröhlich Tagestouren unternimmt. - Heute hören wir aus dem Alten Testament eine folgenreiche Geschichte, in der wir das mehrfach wiedererkennen: Auf den Punkt zu kommen, Großes zu erwarten und alles zu riskieren. So hören wir im 2. Buch Mose im 19. Kapitel: Am ersten Tag des dritten Monats nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, genau auf den Tag, kamen sie in die Wüste Sinai … und lagerten sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge. Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst… Und alles Volk antwortete einmütig und sprach: Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun. (2. Mose 19, 1-8 i.A.)

 

Liebe Gemeinde,

nach der waghalsigen Flucht aus der Sklaverei in Ägypten kam Mose mit den Israeliten auf den Tag genau in der Wüste an. Sozusagen termingerecht, denn davor stolperten sie vorwärts und danach irrten sie jahrzehntelang herum. Vielleicht gab es dort ein Wasserloch, aber wichtiger ist dem Exodus-Erzähler, dass sie gegenüber diesem einen Berg zelteten. Denn sie sagten sich: „Oben auf dem Gipfel kannst Du Gott begegnen!“ Nun, Mose will den sicheren Tod seiner Flüchtlinge verhindern. Dafür setzt er seine Hoffnungen auf den Gott, der den Überblick hat. So verzichten die Israeliten kurz auf ihren Führer und Mose überlässt sie sich selbst. Aber der Exodus-Erzähler sagt nicht: „Mose ging zum Gebet auf einen Berg“ - sondern: „Mose stieg hinauf zu Gott!“

Ich kann mich an unsere Campingbus-Fahrt quer durch die Negev-Wüste erinnern. Eine Bergwanderung dort wäre sehr riskant gewesen. Hätte einer gesagt: „Ich klettere mal hoch zu Gott!“ - hätten wir ihm Kühlbeutel auf den Kopf gelegt.

Und wie gefährlich eine Wüstendurchquerung ist, zeigte 2009 der Film „Wüstenblume“. Die 13jährige floh vor der Zwangsverheiratung, lief zig Kilometer durch die Wüste Somalias und überlebte. Sie wurde als Österreicherin ein weltbekanntes Fotomodell. Waris Dirie hat maßgeblich dazu beigetragen (1), dass in vielen Ländern die Beschneidung von Mädchen zurückgedrängt wird. Sie hatte nicht wirklich eine Chance, doch sie riskierte alles und hat Großes erreicht.

Andere Dinge lernte in der Sahara der Brite Nicholas Jubber. In seinem Buch „Die 8 Lektionen der Wüste“ (2) lauten sie: „Beharrlichkeit, Überwindung, Weitsicht, Kreativität, Bildung, Tradition, Klarheit und Geduld.“ Zuerst war ich enttäuscht. Muss ich wirklich auf einem Kamel durch die Wüste reiten, um so simple Dinge zu lernen? Aber dann wurde mir klar, dass wir diese Tugenden meistens in 3 Phasen lernen: Wir konzentrieren uns, wir wählen einen Wert, wir probieren ihn aus. Die schwierigen Dinge sind wohl die ganz einfachen. Wir lernen sie gemeinsam auf den Durststrecken, wenn die nächste Oase noch unerreichbar erscheint.

 

Liebe Gemeinde,

Mose bestieg einen Berg in der Wüste, aber im Innersten ging er schnurstracks zu Gott. Er musste nicht höher als ein Wolkenkratzer klettern, denn Gott rief ihm vom Gipfel entgegen. Gott liebt diese Situation, in der wir punktgenau alles von ihm erwarten. Doch einen Wimpernschlag davor kommt er uns bereits entgegen. Voller großer Erwartungen geht er ins Risiko mit uns Menschen. Mit Mose, mit Dir und mir, mit seinem Volk - „heute, wenn ihr seine Stimme hört!“

Auf halber Höhe weiht er Mose ein in das Bündnis, das er mit seinem Volk plant. Fünf Kapitel weiter, in 2. Mose 24, wird konkret, was Gott hier noch als Vision in die flirrende Luft einzeichnet: „Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.“

 

Liebe Gemeinde,

vor Mose auf dem Sinai ging Gott die Bündnisse mit Noah und Abraham ein, auch die waren „just in time“ und „zukunftshaltig“(3). Danach ereignete sich Jesus - in Bethlehem und Kapernaum, auf Golgatha und in Emmaus. Jedes Mal kam Gott dabei auf den Punkt und verband sich mit uns im Großen Risiko. Dann veranschaulichten Paulus und Martin Luther, was es für jeden heißt, in einem priesterlichen Team Christ zu sein. Konkret, mutig und im Vertrauen. Aber auf der anderen Seite gab und gibt es auch Staatsführer, die sich schwer tun mit der Balance zwischen Kontrolle und Egoismus. Umso mehr erstaunt mich, dass Gott mit seinem Volk ein Bündnis mit „checks and balances“ plant. Denn er checkt ja mit Mose ab, wie es gehen kann, dass er - Gott - Gott bleibt und der Mensch ein Mensch. Pharao aber wollte sein wie Gott - „und ihr habt gesehen“, sagt Gott, „wie ich über die Ägypter die Naturgewalten aus dem Gleichgewicht gekippt habe. Euch aber habe ich auf Adlersflügeln herausbalanciert und euch zu mir gebracht“. Dabei war klar, wer Adler war und wer die Passagiere. „Auf Adlerfittichen getragen“ - ein besseres Bild für die „balances and checks“ zwischen Gott und seinen Menschen kenne ich nicht. Ein Adler fliegt kraftvoll und checkt ununterbrochen die Tragkraft seiner beiden Schwingen (4). Wir aber schwelgen stolz im „Narrativ“, wie viele Todesstäler wir schon durchquert haben und wie verschmachtet wir schon waren. Doch Gott erinnert, dass er uns wie auf Adlerflügeln (5) aus der Sklaverei in seine Obhut geflogen hat.

Auch im nächsten Vertragsabschnitt bietet Gott strikte Abgrenzung und Zuordnung an, wenn er sagt: „Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein.“ Gott allein stiftet diesen Bund, klar abgegrenzt vom Volk Israel, dem die Einhaltung aus innerer Überzeugung zukommt. Es bleibt sein Eigentum, klar abgegrenzt, aber auch eingeordnet zwischen allen Nationen. Uns widerstrebt zwar, jemandes Eigentum sein zu sollen. Aber Gott baut darin eine Zuordnung ein. Zwar ist sein Volk Israel sein Kronjuwel, das er aber nicht im Safe versteckt, sondern in Wechselwirkung bringt zu allen anderen Völkern. Die Erwählung Israels wird also austariert innerhalb des Gefüges seiner globalen Gnade. Darin haben wir Christen dann auch den Platz, gemeinsam mit Israel die Treue Gottes zu bezeugen. Das ist unser gemeinsamer Ursprung, der uns Großes erwarten lässt und uns risikofreudig macht.

 

Liebe Gemeinde,

wir sind dabei, mit dem jüdischen Glauben in die Balance zu kommen. Gottes Treue macht uns frei, gemeinsam von ihm Großes zu erwarten für die riskante nächste Wüstenstrecke. Uns wächst Mut zu dadurch, dass Gott schon auf halber Höhe uns entgegenkommt mit seinem Angebot, seinen Erwartungen, seinem Risiko.

Hilft uns das auch bezüglich des aktuellen Tempelkonflikts? Die Attentäter töteten mit Waffen, die sie in den Tempelbezirk geschmuggelt hatten. Daraufhin montierten die Israelis Metalldetektoren. Aber eine jüdische Wochenzeitung (6) schreibt denn auch, dass das kurz vor dem Trauertag passierte, an dem der Schändung des Tempels vor 2000 Jahren gedacht wird. Ich stelle mir dazu vor: Die Israelis geben ihren Schmerz darüber zu, und die Palästinenser geben ihren Schmerz zu über die 50 Jahre andauernde Unterdrückung seit dem Sechstagekrieg 1967 - vor 50 Jahren. Premier Netanjahu wünscht sich nicht weiter die Einführung der Todesstrafe, und die Moslems beten weiter trotz Körperscanner, genannt „smart checks“. Ähnlich denkt ein palästinensischer Pfarrer, wenn er sagt: „Wir müssen Freiheit leben, denken, ja sogar atmen, bevor wir sie erreicht haben“. (7) Dazu hatte Gott seinem Volk Mut zugesprochen noch in der Wüste - „und alles Volk antwortete einmütig: Alles, was Gott sagt, wollen wir tun!“ In diesem Sinne hätte Präsident Abbas darauf verzichten können, einen „Tag des Zorns“ am 19. Juli auszurufen; so ganz im Stil der Unheilspropheten. Oder sind wir schon im „Zeitalter des Zorns“ (8) angekommen, weil wir aus der Übung geraten sind, „unseren Gottesglauben zu erden, unsere Zuversicht zu stärken und dem Frieden … eine Chance zu lassen.“ (9)

Ich möchte meinen Glauben darauf gründen, dass Gott Gott bleibt und der Mensch ein Mensch. Uns spornen dazu die 3 Phasen aus einem Psalmvers an: „Ruft mich an in der Not. Ich werde euch erretten und ihr werdet mich weiterempfehlen.“ Amen

 

1) 1997 wurde sie zur UN-Sonderbotschafterin ernannt, vgl. Emma-Ausgabe Nov 2009 „Waris Dirie klagt an“; 2) Nicholas Jubber: „Die 8 Lektionen der Wüste“ (Dumont Reiseverlag, 2017); 3) Helmut Utzschneider in: „Eine Arbeitshilfe zum Israelsonntag 2017“ S. 17; 4) „Mit Hilfe ihrer Flügel des rechten wie des linken fliegt die Taube des Friedens zwischen den Fronten“ Lothar Zenetti in: „Texte der Zuversicht“ München 1982, S.102; 5) Die Übersetzung „Geierflügel“ in der Arbeitshilfe S.13 erinnert mich an die Bochumer Band „Geier Sturzflug“; 6) „Jüdische Allgemeine“ vom 27.7.2017; David Klebe: „Schutz der Religionen“; Sabine Brandes: „Terror am Schabbat“ und im Leitartikel „Zorn auf dem Tempelberg“ das Zitat: Nethanjahu wünscht, dass der Mörder hingerichtet werde, „damit er nie wieder lächeln kann!“; 7) Imad Haddad, Pfarrer der „Church of Hope“/Ramallah in: „Im Lande der Bibel 02/2017“ (Jerusalemverein Berlin) S. 21; 8) Pankaj Mishra: „Das Zeitalter des Zorns“ Frankfurt 2017, siehe dort „Messianische Visionen“ S. 245ff; 9) Friedrich Schorlemmer in: „Unsere Erde ist zu retten“ Freiburg 2016 S. 152ff: „Eine konkrete Utopie - Stand Pfingsten 2016“



Pfarrer Manfred Mielke
51580 Reichshof
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

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