Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 20.08.2017

Eine göttliche Familiengeschichte: von Adoption und Erwählung hin zu Priesterinnen und Priestern für die ganze Welt. (2 Mose 19,1-6)
Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 19:1-6, verfasst von Marion Werner

Gnade sei mit euch und Frieden, von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus! Amen

 

Liebe Gemeinde,

 

was würden Sie sagen, wenn jemand sie fragt, was ein Christ sei? Oder wie sie sich persönlich als lutherischer Christ verstehen?

 

In den möglichen Antworten würde sicherlich der Glaube an Jesus Christus angesprochen werden. Die Erlösung, die wir durch ihn haben. Die Liebe Gottes, die uns geschenkt ist. Und natürlich, dass wir uns als Kinder Gottes verstehen. Vielleicht käme auch die Taufe zur Sprache, durch die wir offiziell Kinder Gottes werden. Offiziell in die göttliche Familie aufgenommen werden. Taufe, ähnlich einer Adoption: Gott verspricht uns wie ein Vater und eine Mutter zu begleiten. Er macht uns zu Erben des Reiches Gottes.

Bezüglich der Besonderheiten des Luthertums, würde das Gespräch sicherlich auch auf die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen kommen und auf das reformatorische Prinzip des Priestertums aller Heiligen. Luther sagte einst: „Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, solch Amt auszuüben!“ Priester und Priesterinnen sind wir, Gottes heiliges Volk. Priester ist niemand für sich allein, sondern das Priesteramt ist immer ein Amt für andere, ein Mittleramt. Wir sind also in dem Sinne PriesterInnen, als wir Gottes Licht und Liebe in die Welt weiter geben, jede und jeder mit seinen persönlichen Talenten. Das alles gehört zu unserem Selbstverständnis.

 

Nun haben wir heute am Israelsonntag einen biblischen Abschnitt als Predigttext, der weit in die Geschichte zurückgeht. Dahin, wo Gott mit seiner Familiengeschichte beginnt: 2 Mose 19,1-6 lesen wir.

 

1 Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai.

2 Sie brachen auf von Refidim und kamen in die Wüste Sinai, und Israel lagerte sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge. 3 Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der Herr rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen:

4 Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht.

5 Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein.

6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.

 

Liebe Gemeinde, dieser Text, der Worte enthält, die wir kennen und für uns in Anspruch nehmen, ist kein Schlüsseltext für uns als Kirche, sondern für das Selbstverständnis Israels bis auf den heutigen Tage. Israel, das jüdische Volk, von Gott erwählt, zu Gottes Familie gemacht, zu einem heiligen Volk von Priestern. Berufen zu Gottes Familie ähnlich wie wir, nicht weil sie grösser, besser, religiöser oder motivierter wären als andere Völker, sondern weil Gott sie in seiner Liebe aussondert Priester und Priesterinnen zu sein, ein Licht Gottes für die Welt.

 

Der Heutige 10. Sonntag nach Trinitatis wird im liturgischen Kalender als Israelsonntag geführt. Dieses Datum wurde so gewählt, dass der Sonntag dem jüdischen Fasten- und Trauertrag, der an die Zerstörung des Jerusalemer Tempels erinnert, möglichst nahe ist. Die Babylonier zerstörten den Tempel 586 v. Chr., die Römer im Jahre 70 n. Chr. Nach jüdischer Überlieferung haben beide Zerstörungen am selben Tag stattgefunden, dem 9. Tag im Monat Av.

Der liturgische Termin des Israelsonntags ist bereits jahrhundertealt. Die Schwerpunkte, die ihn bestimmt haben, änderten sich jedoch im Laufe der Zeit.

 

Zur Zeit der Reformation, hat man diesen Sonntag mit dem Unterton des Triumphes begangen. Dazu kam freilich auch die Mahnung: Wenn Gott schon sein eigenes Volk so bestraft hat, wie können andere spätere Völker erwarten, dass es ihnen besser ergehe. Vor diesem Hintergrund auch die Aufforderung zur Busse. Aber im Vordergrund stand doch die Überzeugung: Die Zerstörung des Tempels und die Zerstreuung des Volkes in alle Welt sind ein sichtbares Zeichen für das Ende des alten Bundes, eine Strafe für die Ablehnung Jesu Christi, Gottes höchsteigenes Urteil über sein abtrünniges Volk. Nach der Aufklärung hat sich hier etwas gewandelt, der 10. Sonntag nach Trinitatis wurde zum Sonntag der Judenmission. Den Juden Christus als Messias nahe zu bringen war nun wichtig.

 

Der 2. Weltkrieg und die Judenverfolgung riss ein Graben durch die Kirche: Da gab es die Bekennende Kirche, für die Juden und Christen gemeinsam zur Familie Gottes gehörten und die Nationalsozialisten die zusammen mit den Deutschen Christen, die Juden aus der Familie Gottes ausmerzen wollten. Unter anderem beriefen sie sich auf Schriften von Luther. In seinen späten Jahren hat Luther, enttäuscht von dem fehlenden Missionserfolg unter den Juden, nicht rassistische aber antijudaistische Aussagen gemacht. Im Jahr 1543 (drei Jahre vor seinem Tod) forderte er die evangelischen Fürsten zur Versklavung und Vertreibung der Juden auf. Dabei hatte Luther 1523 („Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“) als erster massgeblicher christlicher Theologe eine gewaltfreie Judenmission verlangt und ebenso eine gesellschaftliche Integration der Juden. Das war für den gesamtmittelalterlichen Antijudiudaismus etwas Neues, wurden doch damals Denkmuster transportiert wie: Gott strafe die Juden wegen ihres angeblichen Gottesmords, der Kreuzigung Jesu Christi, fortwährend mit Tempelverlust (70), Zerstreuung (135) und Verfolgung. Daher wurden Juden auch immer wieder verfolgt, aus deutschen Reichsstädten vertrieben, für Pestepidemien verantwortlich gemacht und vieles mehr. Und wenn sie in den Städten leben durften, dann meistens in Ghettos und eine Judentracht tragend. Als Kind seiner Zeit war Luther von diesem Denken geprägt und untermauerte es durch seine Bibelexegese, was dem Verhältnis Juden-Christen nicht gut getan hat.

 

Nach dem Holocaust, insbesondere in den letzten Jahrzenten, hat sich der Charakter des Israelsonntags wieder verschoben. Über das Verhältnis von Juden und Christen wird nun aus der Perspektive der gemeinsamen Zugehörigkeit zur göttlichen Familie nachgedacht. Die Überzeugung, dass der Bund Gottes mit Israel ungekündigt besteht, hat sich nicht leicht durchgesetzt, ist aber immerhin von sehr vielen Kirchen in offiziellen Dokumenten festgestellt worden.

Dabei muss gesagt werden, das politische Alltagsgeschäft, macht es vielen Menschen schwer, das Bekenntnis der Erwählung Gottes aufrecht zu erhalten. Als Israel 1948 nach langer Zeit im verheissenen Land einen eigenen Staat bekam, deuteten Viele dieses Ereignis als Beweis für die Treue Gottes und den immer noch vorhandenen Bund. Die Spannung entstand mit der Wahrnehmung der Realität: dieser Staat, ist ein Staat, der sein Land mit viel Blutvergießen erkämpft hat und sich gegenüber der ansässigen Bevölkerung der Palästinenser kaum anders oder besser verhält als andere Staaten. Demgegenüber muss gesagt werden: Die Entstehung und die Existenz des Staates Israel lassen sich mit Gottes Bündnistreue in Beziehung setzen, aber das heißt nicht, dass Gott alles das gutheißt, was dieser Staat tut.

 

Liebe Gemeinde, die Geschichte der Beziehung zwischen Christentum und Judentum ist lang und von Schatten durchzogen. Umso wichtiger ist es, am Israelsonntag das Verhältnis Christentum-Judentum in den Blick zu nehmen.

Am Anfang meiner Predigt habe ich den Gedanken der göttlichen Familiengeschichte eingeführt. Judentum und Christentum als Schwesterreligionen (so Michael Hilton in „Wie es sich christelt, so jüdelt es sich“). Juden und Christen als ältere und jüngere Mitglieder der Familie Gottes.

Wichtig und wesentlich daran, sind mir zwei Aspekte:

Juden und Christen – wir gehören zur Familie Gottes nicht aufgrund unserer Verdienste, sondern weil Gott selber uns eingeladen hat, uns diese Möglichkeit geschenkt hat. Gottes Liebe und sein Sinn für Gemeinschaft haben zuerst den Juden und durch Jesus Christus dann allen Menschen die Möglichkeit gegeben zu Gott eine Beziehung zu haben und neben der menschlichen Familie auch Teil der Familie Gottes zu sein.

Zu dieser Gabe, gehört auch eine Aufgabe: wir sind berufen Priesterinnen und Priester zu sein. Mittler zu sein. Wir sollen der Welt von Gott erzählen, an ihn und seine Taten in unserem Leben erinnern, seine Gebote achten, durch unser Handeln für die andern, seine Liebe in der Welt Wirklichkeit werden zu lassen.

Für diesen Dienst möge Gott uns allen, den Juden und den Christen seinen Segen geben.

 

Amen

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.

 



Pfarrerin Marion Werner
Zürich
E-Mail: pfarrerin@luther-zuerich.ch

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