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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 27.08.2017

Die beiden Söhne in uns.
Predigt zu Matthäus 21:28-32, verfasst von Stefan Knobloch

Man muss sich das Szenario vor Augen halten, in das das Gespräch zwischen Jesus und den Hohen Priestern und den Ältesten des Volkes eingelagert ist. Jesus stellt den Hohen Priestern und Ältesten nicht kontextlos und unvermittelt die Frage, was sie vom Verhalten zweier Söhne hielten, das er ihnen vorträgt. Das Ganze hat einen längeren Vorlauf.

 

Ärgerliche Vorgänge

Jesus hatte zu einem Akt der Tempelreinigung angesetzt, der nicht unbemerkt bleiben konnte. Er hatte die Hohen Priester in Rage versetzt. Sie hatten sich die Ältesten dazu geholt, um Jesus gehörig die Leviten zu lesen. Hinzukam, dass Jesus auf dem Weg zum Tempel einen Feigenbaum verflucht hatte, der nur Blätter, aber keine Früchte getragen hatte. Er verdorrte auf der Stelle. Uns fehlt vielleicht die Phantasie, aber man wird wohl in den Augen Jesu in dem Feigenbaum, der eigentlich hätte Frucht tragen müssen, eine Anspielung auf die Hohen Priester und Ältesten sehen dürfen, die, weithin uneinsichtig und ohne die Botschaft Gottes voranzubringen, mehr schlecht als recht ihren Aufgaben nachgingen.

 

In jedem Fall wollten sie Jesus bei seiner Ankunft im Tempel mit einer grundsätzlichen Frage konfrontieren. Sie wollten mit ihm abrechnen: Wie kommst du dazu, so aufzutreten? Kannst du dich ausweisen? Wer hat dich dazu bevollmächtigt? Es kommt zum Gespräch zwischen ihnen und Jesus, das letztlich in die Beispielerzählung der beiden Söhne mündet. Jesus reagiert auf ihre Frage nach der Vollmacht mit einer Gegenfrage: Ihr Hohen Priester und Ältesten, die Taufe des Johannes des Täufers, die so eine Bewegung ausgelöst hat, war an der etwas dran, was mit Gott zu tun hatte? Oder war sie einfach eine spleenige Idee eines einzelnen Menschen, nämlich des Johannes des Täufers? Die Angesprochenen geraten ins Schwimmen. Für sie war klar, dass die ganze Taufbewegung nichts mit Gott zu tun hatte. Andererseits war die breite Öffentlichkeit davon überzeugt, dass sich darin das Werk Gottes ausdrückte. Den Unwillen, ja den Protest der Öffentlichkeit wollten sie nicht auf sich ziehen. Deshalb nahmen sie Zuflucht zu einer ausweichenden Antwort: Wir wissen nicht, was von der Taufe des Johannes zu halten ist.

 

Diese Antwort war für die Hohen Priester und Ältesten blamabel genug. Sie zeigten sich uninformierter, als die breite Öffentlichkeit war. Jesus aber brach darüber das Gespräch mit ihnen nicht ab. Er setzte es fort und kam darin auf die Taufe des Johannes zurück.

 

Wer macht es hier eigentlich richtig?

Was habt ihr für eine Meinung zu folgendem Fall: Ein Mann hatte zwei Söhne. Hier müssen wir unterbrechen, damit nicht wir unsererseits ein Unwissen mittragen, das bei den Hohen Priestern und Ältesten nicht aufkommen konnte. Sie wussten sofort, dass bei Jesus mit „einem Mann“  nur Gott gemeint sein konnte. Ein Mann bittet seinen ersten Sohn, heute im Weinberg zu arbeiten (Weinberg als Bild der Arbeit am Reich Gottes!). Der Sohn schlägt die Haken zusammen: Ich? Jawohl, ich gehe. Aber er ging gar nicht. Das erinnert an den Feigenbaum, der eigentlich erwarten ließ, Früchte zu tragen, aber nur Blätter trug. Die Feigenbaum-Story zieht ihre feingesponnenen Fäden bis in die Erzählung der Söhne hinein. Der Vater bittet den zweiten Sohn: Arbeite heute im Weinberg. Der gibt sich zunächst den Anschein des unfruchtbaren Feigenbaums. Er sagt: Ich habe keine Lust, ich will nicht. Aber er besinnt sich und geht in den Weinberg.

 

Wer von den beiden, so fragt Jesus seine Gesprächspartner, hat nach eurer Meinung den Willen des Vaters erfüllt? Ja klar: der letzte. Da sind sie sich klar. Vorher waren sie sich nicht klar, vorher wussten sie nicht, wie sie die Taufe des Johannes beurteilen sollten. Jetzt schlägt Jesus den Bogen dorthin zurück. Amen, ich sage euch: Vor euch gehen Zöllner und Dirnen in das Reich Gottes ein. Als Johannes zu euch kam und den Weg der Gerechtigkeit ausbreitete, da habt ihr euch verweigert, da habt ihr ihm nicht geglaubt. Zöllner und Dirnen aber haben ihm geglaubt. Sie haben sich ansprechen lassen. Menschen in Lebensverhältnissen, von denen in euren Augen nicht zu erwarten war, dass sie sich ansprechen ließen, dass sie in sich gingen. Ihr Hohen Priester und Ältesten habt gesehen, was sich in Johannes dem Täufer tat, aber das ging nicht in euch, das berührte euch nicht. Ihr habt nicht geglaubt. 

 

Wie das Ganze auf uns übertragen?

Wenn wir diese Komposition auf heute übertragen, was zeigt sich dann für uns? Eins zu eins lässt sie sich nicht auf unsere Situation übertragen. Da fällt sogleich der Unterschied zu damals auf: Heute haben die Menschen ihre Beziehungen zu den kirchlichen Institutionen gelockert. Und zwar nicht nur im Bereich der katholischen Kirche, sondern auch im Bereich der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen, bei denen der institutionelle Aspekt immer schon hinter der Betonung des Subjektseins des einzelnen zurücktrat.

 

Es würde wenig Sinn machen, gemäß der im Evangelium spürbaren Spannung zwischen Hohen Priestern und Ältesten auf der einen und Zöllnern und Dirnen als in ihrer religiösen Praxis unterschätzten Leuten auf der anderen Seite analog nach der heutigen Beziehung zwischen kirchlicher Hierarchie und Volk Gottes (im engeren Sinn) zu fragen. Wiewohl – um das hier einzufügen -  die katholische Kirche regional nicht nur am Priestermangel, sondern auch an „Priestermängeln“ leidet. Ergiebiger ist, in den Zöllnern und Dirnen von damals heute Menschen zu erkennen, die in den Möglichkeiten ihres Lebens – entgegen ihrer sozialen Einschätzung durch andere – nach Lebenssinn, nach Gerechtigkeit, nach einem Lebensgrund suchen, worin Papst Franziskus die Suche nach Gott erblickt. Heute gibt es religiöse Praxisformen, die nicht deshalb keine religiöse Praxis darstellen, nur weil sie sich neuer Formen bedienen. Vielleicht nach innen gekehrte, aber vielfältig tastende und individualisierte Praxisformen. Es gibt Menschen, die wie der zweite Sohn der Erzählung im Bereich von Religion und Glauben den Anschein einer negativen Einstellung erwecken, bei denen sich aber religiös mehr abspielt bzw. abspielen kann als in ausdrücklichen (immer auch zur Routine neigenden) religiösen Riten und Gesten.  Wobei mit Letzterem eher wieder der erste Sohn getroffen wäre, der sagte, ja, er gehe, aber dann nichts dergleichen tat.

 

Wir haben wahrscheinlich von beiden Söhnen etwas an uns. Und haben in beiden Bereichen an uns zu arbeiten. Vielleicht vorher noch, uns in beiden Bereichen anzunehmen. Auch nach der Seite, dass wir zwar ja sagen, uns aber nicht entsprechend in Bewegung setzen. Uns das einzugestehen, kann etwas in Bewegung bringen, das sich dann mit dem „Ich will nicht“ des zweiten Sohnes trifft. Er spürt, dass ihn doch einiges in Richtung der Bitte seines Vaters bewegt. So unausgereift und widersprüchlich mag es bei uns zugehen. Dabei sind wir längst in die Liebe Gottes zu uns eingebettet, wie sie uns etwa in dem Satz des ersten Johannesbriefes erreicht: „Wenn das Herz uns auch verurteilt – Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles“ (1 Joh 3, 20). Kann das nicht ein Motiv für uns sein? 



Prof. em. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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