Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 27.08.2017

Predigt zu Lukas 18:9-14(dänische Perikopenordnung), verfasst von Leise Christensen

Herr unser Gott, himmlischer Vater!”

Wir bitten dich,

dass du uns durch deinen Heiligen Geist führen und leiten willst,

so dass wir nicht all unsere Sünden vergessen

und selbstsicher werden,

sondern in steter Reue und Buße leben

und uns täglich verbessern

 

Mit diesen Worten hätte unser Gottesdienst sehr wohl heute begonnen können. Im dänischen Perikopenbuch, das alle Texte und Gebete des Kirchenjahres enthält – sie finden sich auch am Ende des Gesangbuches, sind in der Regel zwei Kollektengebete zu jedem Sonntag abgedruckt, zwischen denen der Pfarrer wählen kann: Das eine ist die sogenannte Veit Dietrich Kollekte. Das andere die sogenannte Missale Kollekte, die aus der Zeit der römischen Kirche stammt und aus dem Lateinischen übersetzt ist. Veit Dietrich (1506-49) war Luthers Freund und Privatsekretär. Später wurde er Pfarrer in Nürnberg und veröffentlichte – kurz vor seinem Tod – eine Sammlung von Kinderpredigten mit Gebeten. Diese Gebete, die sich eng an die altkirchlichen Perikopen anlehnen, wurden 1556 in das dänische Perikopenbuch übernommen. Die Kollektengebete von Veit Dietrich kommen also zuerst. Und sie werden wohl in der Regel von den Pfarrern benutzt, also wenn sie sich an die Gebete des Perikopenbuchs halten. Der zwei t5e Vorschlag zu Eingangskollekte des Sonntags ist dann sie sogenannte Missalekollekte aus dem Messbuch der katholischen Kirche, dem Missale Romanum aus dem Jahr 1570. Aber auch wenn kein Zweifel daran besteht, dass wir eine evangelisch-lutherische Kirche sind, beginnen wir heute den Gottes dienst mit der römisch-katholischen Missalekollekte. Denn während Veit Dietrich darum bittet, dass wir nicht unsere Sünden vergessen und selbstsicher werden, sondern uns verbessern, heißt es in der Missalekollekte:

 

Allmächtiger Gott (…),

du, der uns viel mehr gibst als wir zu bitten wagen

oder gar was wir verdient haben:

Lass deine Barmherzigkeit über uns strömen,

lösche aus deinen Gedanken das, woran wir uns ungern erinnern,

und gib uns dazu das, wofür wir in unserem Gebet

keine Worte finden können …

 

Die Kollekte von Veit Dietrich klingt demütig – und dadurch wird sie selbstzufrieden. Die Missalekollekte klingt nicht demütig – aber sie ist es. Diese Spannung zwischen Demut und Selbstzufriedenheit ist der Kern des heutigen Evangeliums vom Zöllner und Pharisäer im Tempel Gottes. Wir kennen die Erzählung so gut. Der selbstgefällige aufgeblasene Narr von einem Pharisäer, der sich einbildet, dass er sich erlauben kann, seinem Gott und Schöpfer dafür zu danken, dass er nicht geschaffen ist wie einer der anderen sündigen Menschen, die sonst die Werde bevölkern mit ihrem abscheulichen Tun und Lassen. Und dann der fromme, gute diskrete, selbstlose, demütige, sündenbewusste Zöllner, der in seiner dunklen Ecke steht und um einen gnädigen Gott bittet. Das weiß er nämlich im Gegensatz zu dem so selbstgerechten Pharisäer, dass er diesen Gott braucht. Nicht genug damit, dass wir die Erzählung kennen, wir kennen sie auch als ein Bild unserer eigenen Wirklichkeit. Aber es ist klar, dass das Gleichnis mehr als das erzählt, was dem Zuhörer unmittelbar auffällt. Denn wenn der Kern der Sache nur dies wäre: Es ist besser, wenn man in einer Ecke steht und seinem Herrn und Schöpfer erzählt, was für ein schlechter Mensch man ist, und sich zugleich vor die Brust schlägt, als wenn man sich darüber aufbläst, wie gut man ist im Vergleich zu anderen Menschen - ja dann wäre das ja alles klar - und teilweise ganz unerträglich. Dann entspräche das Christentum den schlimmsten Vorurteilen, dass Gott am liebsten den Menschen mag, der sich demütig hinstellt, während der Genießer des Lebens voller Selbstvertrauen einer schlimmen Zukunft entgegensieht. Nein, so einfach ist das nicht. Denn wer ist eigentlich der Demütige in der Erzählung? Ist es der, der das von sich behauptet, oder ist es der, der offen erklärt, dass er dazu überhaupt keinen Grund hat? Das ist ja der Unterschied zwischen Veit Dietrich und dem Missale Romanum. Man kann ganz schwindelig werden, wenn man daran denkt, denn wie kann man da gewinnen? Man kann sich hinstellen und sich selbst loben – das sieht man auch selten in unserer Kirche – aber man darf wahrlich auch nicht in einer Ecke stehen und sich an die Brust schlagen und erzählen, wie schlecht man ist, denn damit lobt man in Wirklichkeit sich selbst und erwartet, dass andere einem erzählen, dass man ok ist. Dass jemand in einer Ecke steht und sich an die Brust schlägt, sehen wir übrigens nicht oft in der Kirche. Wer ist eigentlich der Demütige? Die Sache ist wohl die, dass er Pharisäer und der Zöllner zusammengehören als ein Begriffspaar in dem Sinne, dass man sich den einen nicht ohne den anderen vorstellen kann. Statt Pharisäer und Zöllner könnten wir auch Max und Moritz, Tom und Jerry, Lennon und McCartney, Veit Dietrich und Missale nennen und viele andere Paare. Der eine ist nichts ohne den anderen. Der eine macht keinen Sinn ohne den anderen. Pharisäer und Zöller gehören als Typen zusammen – man kann sagen, die beiden sind zwei Seiten ein und desselben Menschen. Zöllner und Pharisäer begegnen sich in dem einzelnen Menschen. Wer kennt nicht den großmäuligen Pharisäer, der immer alles auf dem Trockenen hat und der immer weiß, was das Beste ist nicht nur für sich selbst, sondern für alle anderen (vielleicht ist man das in Wirklichkeit selber), und wer kennt den nicht, der sich immer hinstellt und sagt: „Ja, ich bin ja nichts, weiß nichts und bin nichts wert“, und der das so oft gesagt hat das man versucht ist, ich durchzuschütteln. Wer von den beiden ist demütig? Ein großmäuliges Verhalten kann sehr wohl ein Minderwertigkeitsgefühl verbergen, und sogenannte Demut kann genauso gut einen Wunsch verbergen, die Umwelt zu manipulieren und damit Sympathie und Anerkennung zu erschleichen. Das ist nicht leicht! Søren Kierkegaard sagt: „Das Christentum kam in die Welt, um Demut zu lehren, aber nicht alle lernten Demut vom Christentum. Die Heuchelei lernte, die Maske zu verändern und wurde dasselbe, oder besser noch schlimmer. Das Christentum kam in die Welt und lehrte, dass du dich nicht stolz und eitel beim Gastmahlt auf den obersten Platz setzen sollst, sondern dich immer am untersten Platz setzen sollst – und bald saßen Stolz und Eitelkeit auf dem untersten Patz. Derselbe Stolz und dieselbe Eitelkeit? Nein, noch schlimmer!“ Es kann also sehr wohl Ausdruck von Eitelkeit sein, sich zu unterst zu setzen, weil man dadurch glaubt, dass man sich demütigt! Die Demut verschwindet in dem Augenblick, wo man sie hervorhebt. Jesus sagt im heutigen Text: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden“. Ja, ja, das klingt schön und gut, aber wie soll man das den realisieren, wenn das mit der Demut nun so schwierig ist. Was ist Demut eigentlich, wenn nicht sich unten hinzusetzen und hinten und allen anderen erzählen, wie schlecht und unwissend und bescheiden man selbst ist? Demut bedeutet nicht, sich selbst schlecht machen und schon gar nicht andere, es geht nicht darum, sich selbst zu erforschen – sich selbst kennenlernen, wie man heute sagt – nein, es geht darum, sich dazu zu bekennen, dass das eigene Vermögen grenzen hat. Es geht weder darum, in allen Dingen hier im Leben Weltmeister zu sein oder darum, sein eigenes Elend herauszustellen, es geht darum zu wissen, dass da einer ist, dem man alles verdankt. Es geht darum zu wissen, dass es eine Grenze dafür gibt, was man als Mensch selbst schaffen und erreichen kann. Es geht einfach darum zu erkennen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Gott und Menschen. Und das ist eine schwierige Sache in einer Gesellschaft, die sich vorgenommen hat, den Menschen zu erzählen, dass sie ihr ganzes Leben selbst bestimmen. Wenn sie nur sich selbst kennen und auf sich selbst hören und ihre eigenen innerste Gefühle, da dann ist das Glück perfekt. Demut handelt davon einzusehen, dass alles Gnade ist. Dadurch wir auch viel Schuld von unseren Schultern genommen – nicht dass wir dadurch nicht schuldig wären, weil wir uns nicht selbst demütigen, sondern ein Mitmensch. Aber wir wissen, dass wir nicht selbst die Schuld tragen sollen. Wir wissen, dass Gott in seiner grenzenlosen Liebe uns vergibt – die Schuld von unseren Schultern nimmt, so dass wir ins Leben gehen, nicht um uns selbst zu kennen, sondern andere Menschen, wie das der verstorbene Bischof Jan Lindhardt einmal ausgedrückt hat. Es ist ja interessanter anderen zu begegnen als sich selbst. Dann wird und die Freiheit geschenkt, hinzugehen und Mitmensch zu sein für den Menschen, der uns braucht, ohne weiter darauf zu spekulieren, ob das nun Ausdruck von Demut ist oder nicht. Dann können wir das tun, was uns aufgetragen ist, nämlich unseren Nächsten lieben und Mensch sein zusammen mit denen, die Gott mir als Mitmenschen gegeben hat. Weil am Jesus am Kreuz gedemütigt und erhöht wurde, brauchen wir nicht mehr darüber zu spekulieren, wo und wie demütig sein können. Wir haben an nichts anderes zu denken als daran, wie wir seine Liebe in die weitertragen können – für unseren Nächsten und unseren Gott. Amen.



Pastorin Leise Christensen
DK 8200 Aarhus N
E-Mail: lec(at)km.dk

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