Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 10.09.2017

Predigt zu Lukas 10:23-37(dänische Perikopenordnung), verfasst von Thomas Reinholdt Rasmussen

Die Erzählung dieses Sonntags ist wohl eine der bekanntesten biblischen Erzählungen. Es ist die Erzählung vom barmherzigen Samariter, und sie ist zu Recht Teil unseres gemeinsamen Sprachgebrauchs und unseres Bewusstseins geworden. Sogar so sehr, dass wir die Sanitäter bei den Festivals des Sommers Samariter nennen.

Diese Erzählung ist ein Teil unseres Lebens. Die Erzählung ist ein Teil der Forderung, die das Leben an uns stellt: Die Forderung, einander zu beizustehen und dem Schwachen zu helfen. Das ist die Forderung, auf die die Erzählung verweist und der wir uns nicht entziehen können. Wir sind einander verpflichtet.

Und der Samariter greift ein und hilft dem Notleidenden, und er tut dies, ganz ohne diverse Fortbildungskurse absolviert zu haben, ohne Formulare an die Stadtverwaltung eingeschickt zu haben und ohne jemanden um Genehmigung zu fragen. Er greift ein. Er handelt.

Ich hörte vor einiger Zeit von einer Firma für Sozialhilfe, die Pleite gegangen war. Hier durften die Angestellten Sozialhelfer nicht hingehen und den Bürgern nicht mehr helfen, denn das war ja ein Teil ihrer Arbeit in der Firma, die Pleite gegangen war. Sie durften deshalb keine Arbeit verrichten, weder für die Firma noch ihre Gewerkschaft. Die Sozialhelfer wussten ja, dass Frau Hansen ihre Hilfe und Fürsorge unbedingt brauchte, aber sie durften nicht helfen. Da gab es offenbar eine Norm, die wichtiger war als das Helfen.

Das ist eine merkwürdige Welt, in der wir leben.

Eine Welt, wo die Forderung nach Hilfe für den Notleidenden wirtschaftlichen Regeln des Arbeitsmarktes weichen muss.

Das ist ja fast so wie bei den Juden, wo erst der Priester und dann der Levit, ein Tempeldiener, dem Notleidenden nicht halfen, denn deren Regeln schreiben vor, dass sie keine Leichen berühren dürfen. Wir sind genauso an Regeln gebunden wie die Menschen damals. Deshalb sollten wir nicht über diese Menschen lachen, dann lachen wir über uns selbst. Wir sollten uns nicht über merkwürdige religiöse Regeln der Vergangenheit aufregen, denn wir sind genauso gebunden, sogar von Regeln, die wir in unserer Blindheit nicht für religiös halten.

Die Regeln bewirkten, dass der Priester und der Tempeldiener vorbeigingen. Die Regeln bewirken, dass wir nicht helfen, weil die Firma Pleite gegangen ist. Wo ist da der Unterschied?

Aber der Samariter greift ein. Er hilft. Er zeigt Fürsorge trotz seiner Position, er birgt den Notleidenden und hilft ihm.

Und selbstverständlich und glücklicherweise wollen wir alle gerne sein wie er. Wie er, der das Rechte zur rechten Zeit tut.

Selbstverständlich und glücklicherweise.

Aber die Frage ist, ob das Gleichnis so richtig verstanden ist. Ist das eine rechte Art und Weise, die Sache anzugehen? Denn selbstverständlich wollen wir uns alle gerne im Samariter wiedererkennen. Das dürfen wir gerne. Aber umgekehrt machen wir uns damit die Sache zu leicht.

Denn was nun, wenn es gar nicht er ist, dem wir im Gleichnis gleichen sollen? Was nun, wenn es darum geht, dass wir uns nicht im Samariter wiedererkennen sollen, sondern in einem der anderen im Gleichnis? Uns wiedererkennen in einem der anderen, so dass wir die Dinge in der rechten Perspektive sehen.

Was nun, wenn wir dem verletzten Mann im Graben gleichen? Was nun, wenn wir ihm gleichen? So dass wir in derselben Lage sind wie die, um die wir uns kümmern sollen. Denn wir sitzen ja nicht als Ritter auf dem hohen Ross. Wir sind nicht der, der das Rechte tut. Wir sind meist der, der dem Verletzten im Graben an der Landstraße des Lebens gleicht, und hier liegen wir bei unserem Nächsten in demselben Zustand und derselben Situation. Wir sind alle einander der Nächste, und alle sind wir von Räubern überfallen. Da im Graben helfen wir einander.

Aber wer ist dann der Samariter? Wer ist er, der uns Verletzte aus dem Graben holt und in die Herberge bringt? Das ist doch wohl Christus selbst.

Jesus Christus ist der barmherzige Samariter. Er ist es, der alles wohl macht und uns wieder zum Leben erweckt. Wir sind die Verletzten, die Liebe erweisen sollen mit den Möglichkeiten, die wir haben. Er erweist die unbedingte Liebe, die alle Grenzen sprengt und alle Regeln bricht. Christus ist der barmherzige Samariter.

Und so soll sich die große Liebe Gottes in dem Leben wiederspiegeln, das das unsere ist. Wir sollen was wiederspiegeln, dass wir aus dem Graben am Wege herausgeholt und in die Herberge gebracht worden sind, wo wir wieder zu Kräften gekommen sind durch das Wasser der Taufe und das Brot und den Wein des Abendmahls.

Wir sollen die Liebe wiederspiegeln in unserem Leben. Sie wiederspiegeln, während wir nie vergessen, dass Christus uns Verletzte liebte, als wir seiner Liebe nicht wert waren. Dass Christus uns liebte trotz aller Regeln. Dass Christus die unbedingte Liebe ist, die wir nur matt wiederspiegeln können, aber doch mit allem, was wir können, wiederspiegeln sollen.

Deshalb kann das Gleichnis auch mit den Worten schließen: „So gehe hin und tu desgleichen!“ Denn diese Worte werden ja von ihm gesagt, der alles an einem Kreuz gegeben hat und der bis in den Tod und in die Finsternis des Grabes geliebt hart. Gehe du hin und tue desgleichen, sagt er. Du bist auf ein Reittier gehoben, zu Kräften gekommen, gehe nun hin und tue desgleichen. Tue es in dem Glauben, dass du eben nicht der barmherziger Samariter bist, denn das ist nur einer, sondern du bist der Verletzte, der zu Kräften gekommen ist. Und in diesem Sinne sollen wir einander die Liebe reichen. Einander Nächster sein und darin genug haben. Amen.



Propst Thomas Reinholdt Rasmussen
DK 9800 Hjørring
E-Mail: trr(at)km.dk

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