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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 20.01.2008

Predigt zu Römer 9:14-24, verfasst von Katharina Coblenz-Arfken

Liebe Gemeinde,

es gibt eine russische Geschichte, da läuft dem Bauern das Pferd davon. „So ein Unglück", jammert der Bauer. Nach geraumer Zeit kommt das Pferd wieder und bringt ein zweites mit. „So ein Glück", jubelt der Bauer, „jetzt habe ich zwei Pferde.". Sein Sohn setzt sich sofort auf das neue und reitet damit eine Runde, fällt vom Pferd und verletzt sich den Fuß. „So ein Unglück", jammert der Bauer. Der Sohn kann nur noch humpeln.. Eines Tages kommen Männer, Soldaten, die junge Leute für den Krieg holen wollen. Den hinkenden Sohn können sie nicht gebrauchen. „Welch ein Glück", denkt der Bauer und lässt sie frohen Herzens weiter ziehen.
Glück im Unglück sagen wir. Was uns Unglück und sinnlos erschien, erweist sich als Segen.

Diese Geschichte erzählte ein Teilnehmer beim Bibelgespräch zu der Überlegung des Juden Paulus, ob Gott ungerecht ist.
Im 2. Teil des Römerbriefes lässt Paulus diese Frage nicht los. Wie ist das mit der Erwählung?
Was wird mit dem erwählten Volk, wenn es doch gar nicht erkennen will, dass in Christus das
Heil in die Welt gekommen ist?

Röm 9,14-24:
Was sollen wir nun hierzu sagen?
Ist etwa Gott ungerecht? Das sei ferne!
Denn er spricht zu Moses (Ex 33,19): „ Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig;
und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich."
Also kommt es nicht darauf an, was Menschen wollen oder wonach sie streben, sondern allein auf Gottes Erbarmen.
Denn die Schrift sagt zum Pharao (Ex.9,16): „Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde."
So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.
Du wirst nun sagen.: Warum beschuldigt er uns dann noch?
Wer kann seinem Willen widerstehen?
Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst?
Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so?
Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?
Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren, damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit.
Dazu hat er uns berufen, Barmherzigkeitsgefäße zu sein, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.

Ein langer Text, ein schwerer Text. Paulus ringt mit Worten und mit Argumenten.
Gleich zwei Schriftbeweise und ein Beispiel aus der Umwelt bezieht er ein.
Er zitiert die eine Stelle aus der Exodusgeschichte, in der Moses den Lichtglanz Gottes sehen will. Moses sehnt sich nach Kraft, Ermutigung und Bestätigung, die Führungsrolle gegenüber dem hier so unverständigen und undankbaren Landsleuten auszufüllen. Hatten sie sich doch ihren sichtbaren Götzen im Goldenen Kalb errichtet.
Nun steht Moses in der Felsspalte am Sinai. Gott hält die Hand über ihn und - er sieht IHM nach. Denn Gottes Angesicht kann kein Mensch sehen. Nur a posteriori wird man ihn spüren, seinem Vorübergehen nachsinnen und nachsehen können.
Die Diskussion Auge in Auge ist unmöglich.

Das zweite Beispiel verschärft noch die Argumentation: Gott hat den Pharao aufgestellt, um seine Macht zu erweisen. So erfahren die einen Barmherzigkeit, die andern werden hart gemacht wie ein Stock - verhärtet.
Spielt Gott denn mit Menschen, wie mit Marionetten? Wer ist dann noch für verantwortlich für die Rolle, die er darstellt?
Sind nicht heute auch die Begründungen vielfach, mit denen wir Menschen uns der Verantwortung entziehen und ent- schuldigen wollen?
Da sind es glückliche oder unglückliche Zeitumstände, da hat einer „Schwein" oder „Pech", da entscheiden Veranlagung und Vererbung, da bestimmt die genetische Disposition alles...

Was sagt Paulus dazu?
Er bestreitet das Recht, sich mit Gott über einen Disput über die Rätsel der Weltregierung und des Lebens überhaupt einzulassen.
Beruht der Vorwurf, dass Gott ungerecht ist, nicht auf der Voraussetzung, dass wir meinen, Gottes Handeln nach unseren menschlichen Maßstäben für das, was recht ist, anzupassen?
Schon Hiob gibt den klugen und frommen Freunden die Antwort , wirf dich nicht zum Richter auf über Dinge, die Du nicht verstehst, die kein Mensch verstehen kann.

Der Vergleich mit dem Ton in der Hand des Töpfers, ein gängiges Bild nicht nur in der Antike, erscheint mir in diesem Zusammenhang bedrohlich einseitig.
Auf der anderen Seite steht doch auch die Vorstellung, dass Gott dem Erdenkloß, aus dem er sein Geschöpf formte, seinen Atem eingehaucht hat. Ist der Mensch damit nicht weit mehr als Ton in des Schöpfers Hand? Eine lebendige Seele, ein zum Lieben und damit zur Antwort fähiges Ich?
D.h. doch, wir Menschen können uns für ihn entscheiden, seine Liebe erwidern und weitergeben. So sind wir Menschen also nicht nur Marionetten ohne Sinn und Verstand.

Calvin mag es erfasst haben, wenn er resümiert, „die göttliche Vorbestimmung ist ein Labyrinth, aus dem sich der menschliche Geist auf keine Weise herauswinden kann."
Ich denke, wir kommen nicht weiter, wenn wir versuchen, ein Programm oder Prinzipien darin zu sehen. Das Meer passt eben nicht in den Eimer, wie es die Volksweisheit sagt,
Auch wenn der Mensch die Begrenztheit seines Denkens oft nicht einsehen mag.
Es mag für Paulus charakteristisch sein, dass er all seine Überlegungen in ein Gebet, in einen Lobpreis Gottes münden lässt (Röm.11,13-36).

Viermal hat Paulus das Wort Erbarmen bisher benutzt.
Die Gefäße des Zorns sind eben da. Verheerende Schicksale, bösartiges Handeln, unmenschliche Zerstörungswut.
Aber daneben existieren auch die Gefäße der Barmherzigkeit. Sie waren zuerst da!
Der Gedanke, dass Gottes Handeln auf Erbarmen zielt, durchzieht die ganze Bibel.
(Auch der Wochenspruch Dan 9,12 verweist uns darauf.)
Das ist letztlich die Botschaft von Jesu Leben und Tod am Kreuz für uns. Erbarmen und Liebe bleiben gültig durch den Tod hindurch - zur Auferstehung. Das schließt auch die Hoffnung ein, im Nachhinein dies Leben in Klarheit zu schauen.
Solange Gott an mich glaubt, mich formt und mir Atem gibt, kann ich glauben
und heute und immer wieder ein Gefäß der Barmherzigkeit werden.
Was für mich zuerst sinnlos erscheint, muss nicht sinnlos sein.
Wenn ich zurückblicke, dann habe ich mehr gelernt aus den widrigen Erfahrungen in meinem Leben. Die Zeit, wo ich ganz unten war, eingesperrt, die möchte ich nicht mehr missen aus meinem Leben. Sie hat mich geformt und meinen Horizont geweitet. Ich weiß, das ist nicht immer so. Wie viele sind sinnlos gestorben. Darin einen Sinn zu suchen, wäre unmenschlich.
Aber ein Gefäß der Barmherzigkeit zu werden macht Sinn.

Um auf den konkreten Hintergrund des Textes noch einmal zu kommen, weder Paulus noch uns steht es zu, über die Juden in irgendeiner Weise gering zudenken.
Sie haben uns das Gefäß der Barmherzigkeit gereicht. Ihnen verdanken wir den geschichtlichen Anfang des Gottesglaubens.
Ihnen verdanken wir auch Jesus, den Juden.
Und wir können unwahrscheinlich dankbar sein, dass Gottes Liebe nicht nur auf ein Volk beschränkt blieb, sondern unendlich viel größer ist, als wir uns vorstellen können.
Werden wir zu barmherzigen Menschen.

Amen


Liedvorschlag: EG: 432 Gott gab uns Atem, damit wir leben



Dr. Katharina Coblenz-Arfken
Stralsund
E-Mail: arfkencoblenz@yahoo.de

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