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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Tag des Apostels und Evangelisten Matthäus, 21.09.2017

‚Die große Neugierde .Oder die kleine‘
Predigt zu Matthäus 9:9(10-13), verfasst von Jochen Riepe

Immanuel‘ –  ‚Gott mit uns‘. Gleich am Anfang des Evangeliums stellt Matthäus dies heraus und am Ende wiederholt er es  - staunend und verwundert : Jesus heißt und ist der ‚Immanuel‘ (Mt 1,23;28,20 ).  Man sagt , ein Engel habe dem Evangelisten beim Schreiben seines Buches die grobschlächtige Hand nicht zuletzt deshalb führen müssen , weil der selbst nicht glauben konnte , was er schrieb.*

                                                                            II

Wenn man Berlin Richtung Potsdam verläßt , kurz vor der berühmten Glienicker Brücke, liegt rechterhand ein Pavillon. Die Preußenherrscher und ihre Familien liebten es, von ihm aus Ausschau zu halten auf die damals neue Landstraße , die heute Königstraße heißt. ‚Na, wer kommt denn da? Seht doch!‘ Man nennt den Ort darum die ‚Große Neugierde‘.

Ach , dachte ich , dann war der Fensterplatz von Opa Scholz in der Schüppenstraße wohl die ‚Kleine Neugierde‘. Ja, Kontakt halten, Nachbarschaft pflegen … Das Kissen auf der Fensterbank, den Kopf vorgebeugt, ein forschender Blick die Straße hinauf und hinunter , ein Gruß, eine Frage , ein Schwätzchen : ‚Etwas seltsam, dieser neue Nachbar , aber nett…‘

                                                                              III

Die große Neugierde . Oder eben auch die kleine. ‚ Und als Jesus von dort wegging , sah er einen Menschen am Zoll sitzen‘. Ja, liebe Gemeinde, das Sehen Jesu , die Augen des Immanuel. Ich riskiere es , den Blick des Herrn einen aufmerksam-forschenden , einen neugierigen Blick zu nennen (und lasse einmal alle Bedenken gegen dieses Wort im Moment stehen).  Jesus sieht ‚einen Menschen‘ . Der Evangelist wählt seine Worte überlegt. Das klingt sehr elementar, ursprünglich . Am Anfang der Bibel heißt es ja : ‚Gott schuf den Menschen…‘  und tatsächlich könnte man sagen : Im Sehen Jesu geht eine neue Welt auf oder eine alte noch einmal ganz neu. Zwischen den Beteiligten entsteht etwas.

Gewiß : Jesus kennt den Namen des Menschen , er kennt  seinen Ort . Das Zollhaus , Ärgernis vieler , die vorbeikommen. Manche haben es beschmiert , andere machen einen weiten Bogen … Man grenzt sich von Haus und Person ab und die Frommen rechnen ‚den Menschen‘ zu den Unreinen. Gottesferne .  Die  Neugier aber bleibt an ihm hängen. Sie ‚erforscht‘ (Ps 139,1) und ‚ermißt‘  und ist irgendwie gespannt : ‚Mensch, wo bist du?‘ (Gen 3,9) . ‚Ich möchte doch zu gern wissen, wer du bist!‘

                                                                                  IV

Und ‚der Mensch‘ , der Angesehene , der Matthäus, wie der Evangelist ihn nennt, ist er jetzt schon mit dabei ? Er sitzt dort, heißt es , am Zoll , und dieser Ort definiert , begrenzt ihn: Er sitzt soz. dort fest.  Ein bitterer Ort , ein unbeliebter und  schamvoller Ort. ‚Einmal auf der Welt und dann ausgerechnet als Zöllner in Galiläa‘, könnte man frei nach Christian Grabbe** sagen. ‚Zoll‘  - das ist  der Name für die unmögliche religiös- soziale Situation des Matthäus. Alle sind gegen ihn , den Dieb, wie man sagt ,  den korrupten Geldpresser.  Ob er ahnt, spürt, daß er eben in diesem Augenblick neugierig betrachtet wird; daß da zwischen zweien (und vergessen wir nicht die Umstehenden!) etwas ‚funkt‘ , daß hier ein Wort ‚auf-geht‘ , das um Ant-Wort bittet ?

Das kennt jeder : Man kann wegsehen, die Augen schließen oder stur vorbei gucken , dennoch spürt man : Dieser Blick gilt mir . Im Grenzland, am Grenzort , da alle schnell weg wollen , eröffnet sich ein Raum und die  Frage ist : Läßt der solchermaßen Berührte sich berühren  und bemerkt , daß auch er berührt : ‚Zeige du mir, wo ich bin‘.

                                                                       V

Halten wir einen Augenblick inne . Der neugierige, der forschende, der wißbegierige Jesus. ‚Herr, du erforschest mich und kennest mich… du siehest alle meine Wege‘, so heißt es im Psalm und schon sind alle Zwei- und Mehrdeutigkeiten des  Sehens, unserer Blicke, zur Stelle. Ein Blick kann aufmuntern und trösten , urteilen und verurteilen , er kann  ängstigen , fixieren , beschämen oder einfach nur nervig sein . Ob die Reisenden von Berlin nach Potsdam es gern hatten , von den Glienicker Schloßbewohnern beobachtet  zu werden? Manche wechselten die Straßenseite , wenn sie am Fenster von Herrn Scholz vorbeikamen , um einem lästigen Ausfragen zu entgehen. Kurzer Gruß – und dann weiter oder man tat so, als sähe man ihn gar nicht … Große Neugierde. Kleine Neugierde : ‚Wer weiß , was der Tratschter alles berichtet und weitererzählt. Er lebt ja von den Neuigkeiten‘.

Das alles sei zugegeben , liebe Gemeinde, und dennoch : Damit Menschen wirklich zu einem Miteinander kommen , daß sie einander wirklich ‚erkennen‘ (Gen 4,1 ) , um dieses starke Wort zu gebrauchen  , dazu gehört eine gute Dosis Forscherdrang , Ertasten, Berühren, Erfragen, ein ‚den –Menschen-Sehen‘, wie er just in diesem Augenblick mit mir /bei mir ist oder eben – ‚sitzt‘.

                                                                      VI

Und Jesus sprach zu ihm : Folge mir nach. Und er stand auf und folgte ihm‘.  Ich erwähnte schon : Über Matthäus , den Evangelisten , den Schriftsteller , heißt es , beim Schreiben habe ihm ein Engel die Hand geführt , weil er selbst nicht glauben konnte , was er schrieb, und das gilt für diesen Satz gewiß besonders. ‚Folge mir nach . Komm, gehen wir … und er stand auf‘. Das ist Schöpfung , Neuschöpfung , die Berufung eines Menschen durch Immanuel  . Wort und Ant-Wort – in diesem Doppelten liegt das Geheimnis des ‚mit‘. Ein echtes ‚wir‘, ein echtes ‚uns‘ entsteht in dem Augenblick , da in Blick und Ruf der Rufende sich dem Gerufenen verbindet und dieser das Geschenk der Aufmerksamkeit  annimmt : ‚Herr, hier bin ich‘ (Jes 6,8) … ‚und er schämte sich nicht‘ (vgl. Gen 2,25).

Die anderen , die Grenzzieher und Unterscheider , werden lästern und sich aufregen oder sagen wir vorsichtiger : Sie verstehen das ‚Gott mit uns‘ anders. Dieses ‚mit‘ kann doch niemals bedeuten : ‚Gott ist mit den Unreinen ! Das stellt alles bisher Geltende auf den Kopf!‘   Aber eben so ist die leidenschaftliche  Neugier , der sanfte Forscherdrang des Immanuel : ‚Ich will mit dir sein , wo auch immer du sitzest oder stehst . Zu welchem sonderbaren Milieu , zu welcher seltsamen Welt oder Halbwelt du auch immer gehörst‘.  So entsteht Jüngerschaft, Apostolat – Sendung im Namen Jesu und Lebensgemeinschaft  Jesu mit den Seinen.  Das kann man wirklich so auf den Punkt bringen : ‚Jesus ist, was er ist , nicht ohne seine Jünger‘.***

                                                                        VII

Beim Apostel Matthäus , in seiner Berufung , wie sein Namensvetter , der Evangelist Matthäus, sie schildert , kann man diese besondere Qualität eines Christus- Miteinanders lernen. Wir denken in der Regel die Nachfolge Jesu nach dem Modell  des Machtwechsels: Ein Ruf, ein Machtwort des Herrn und der Gehorsam , die widerspruchslose Folgebereitschaft des Jüngers  : ‚und er stand auf‘ – ‚nichts gilt mehr als sein Ruf‘, wie wir eben mit  J. Klepper sangen (eg 452,2). Das ist gewiß auch nicht falsch. Wen Jesus ansieht und beruft, der weiß um das radikal Verbindliche dieses Augenblicks, da das Dunkle weicht und  wir auf den ‚Weg der Gerechtigkeit‘ mitgenommen werden.

Aber ergänzen sollten wir : Dieser Jesus , dieser ‚Mit-uns-Jesus‘ , der uns ‚auf Augenhöhe‘ begegnet , er ist bei seinem Jünger in dessen leibhaftiger, gefallener  und zugleich von Gott erwählter Menschlichkeit.  Jesu Ruf berührt  und in dieser Berührung läßt er sich selbst berühren und verwickeln in die ja auch für ihn fremde Welt des anderen , denn entgegen der Redensart gilt : ‚Menschliches‘ kann uns sehr fremd sein .  ‚Komm, gehen wir…‘ – daß der Evangelist im Anschluß an die Berufungsszene die Szene vom Gastmahl der ‚Zöllner und Sünder‚im Hause‘ erzählt und Jesus ist mitten drin in dieser ehrenwerten ‚Schmuddelkinder-Runde‘ , spricht für eine sehr überlegte Erzählkunst. Und es weist zugleich darauf hin , daß dieser Herr Widerspruch erfahren wird und seine Jünger dazu.

                                                                          VIII

Immanuel . Gott mit uns. Gott ist mit , inmitten , seiner Menschen. Gott ist mit und bei seiner Gemeinde. ‚Füreinander dasein‘ ist gut , aber Miteinander-Sein ist besser !  Zu ihm gehört das sich Einlassen, die Neugier, das Gespanntsein  aufeinander : ‚Mensch, wo bist du?‘  Und darum ist eine Kirche oder  ein Gemeindehaus – die Preußenherrscher und  Opa Scholz lassen grüßen! - immer auch  eine ‚Große Neugierde‘. Oder sagen wir bescheiden, vorsichtig und scheu : Eine kleine Neugierde im Namen Jesu. Vielleicht schreibst du dann eines Tages dein Buch . Ein Engel leitet dir die Hand… Du  kannst kaum glauben , was du da schreibst…

 

*s. Caravaggio ,Der Evangelist Matthäus mit dem Engel‘ (1602)

**‘Einmal auf der Welt und dann ausgerechnet als Klempner in Detmold‘ (Chr. Grabbe).

***G. Wenz, Geist. Studium systematischer Theologie Bd.6 , 2011   , S.56



Pfarrer i.R. Jochen Riepe
Bonn
E-Mail: Jochen. Riepe@gmx.net

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