Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 24.09.2017

Ewiges Leben?
Predigt zu Lukas 18:28-30, verfasst von Stefan Knobloch

„Hunde, wollt ihr ewig leben?“, hieß ein berühmter Film aus dem Jahr 1959 über die Katastrophe von Stalingrad. Wollt ihr ewig leben? Vom „ewigen Leben“ spricht man heute kaum noch. Davon aber, was daran an Vorstellungen, an Gefühlen, an Fragen hängt, durchaus. So dass es uns letztlich nur vordergründig unvorbereitet trifft, wenn der kurze Evangelientext heute den Begriff des ewigen Lebens in den Mund nimmt. Warum er das tut, klärt sich auf, wenn wir den vorausgehenden Teil mithinzunehmen.

 

Was muss ich tun?

Da stellt einer Jesus die Frage, was er tun müsse, um das ewige Leben zu erreichen. Der, der Jesus so fragt, war kein Nobody, er war ein Mann, der sozial das Sagen hatte, auf den die Leute hörten. Guter Meister, so beginnt er seine Frage. Die Anrede „guter Meister“ war ohne Zynismus gemeint. Sie war ohne distanzierenden Unterton, wie ich ihn noch im Ohr habe, wenn mich meine Mutter manchmal „mein Gutester“ nannte. Dann lag irgendetwas in der Luft. Guter Meister, das war bei dem Mann ehrlich gemeint und aus Überzeugung gesprochen. Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erreichen? Jesus geht nicht unmittelbar auf die Frage ein. Er weist das „guter Meister“ für sich zurück. Niemand sei gut, außer Gott. Damit markiert er einen Merkposten, der im Folgenden eine Rolle spielt.

 

Du fragst nach dem ewigen Leben. Du kennst doch die Gebote. Jesus zählt ihm einige auf: nicht die Ehe zu brechen, nicht zu töten, nicht zu stehlen, nicht falsches Zeugnis zu geben, Vater und Mutter zu ehren. Der Angesprochene wehrt ab. Die kenne er von Jugend auf, das habe er ja alles befolgt. Wobei wir das Letzte wohl nicht auf die Goldwaage legen müssen. Es dürfte im Grunde nur bedeuten, an die Gebote habe er sich zu halten versucht. Aber das befriedigt ihn nicht, das reicht ihm nicht.

 

Der Mann war offenbar auf der Suche nach mehr. Ohne ihn missdeuten zu wollen, war er mit seiner Frage nach dem ewigen Leben auf der Suche nach dem Sinn seines Lebens überhaupt, nach dem letzten Grund und Ziel seines Daseins. Mit anderen Worten, ihn bewegte die Frage: Wo komme ich her? Was tue ich hier auf Erden? Wohin bin ich unterwegs? Er empfand ein Unbehagen, eine Lebensleere, sich allein nach den Geboten zu richten, als könnten die seine Lebensleere füllen. Da fragt also einer nach mehr. Machte da einer seine Arme auf für die Botschaft Jesu?

 

Erleichtere dein Leben!

In seiner Antwort bringt es Jesus auf den entscheidenden Punkt: Eins fehlt dir: Trenn dich von dem, was du hast, gib es den Armen. Und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Komm und folge mir. Du wirst finden, was du suchst.

 

Das löst einen Moment betretenen Schweigens aus, dann aber überkommt den Mann ein sturzbachartiger Schwall existentieller Trauer, der ihn mit sich reißt. Mit allem hatte er gerechnet, aber damit, was Jesus ihm geraten hatte, nicht. Er war in einer Art in Reichtum gebettet, dass ihm die Knie weich wurden.  Jesus sieht, was sein Wort bei dem Mann auslöste und wirft ihm – wenn es im ersten Moment auch nicht danach aussieht – einen Rettungsanker zu. Es sei wahnsinnig schwer für wirklich reiche Leute, in das Reich Gottes einzugehen. Da sei es leichter für ein Kamel, sich durch ein Nadelöhr zu zwängen. Aber dabei belässt es Jesus nicht.

 

Bei Gott ist alles möglich

Die Leute erschraken über diese Sätze, und erst recht der Mann mit ihnen. Sie stellen Jesus eine Frage, allerdings anders als der Mann. Nicht in der Form, was sie tun müssten, um das ewige Leben zu erreichen, sondern in der Form, wer da noch gerettet werden kann. Gerettet werden: da liegt nicht mehr alles in der Hand des Menschen! Ohne genannt zu werden, leuchtet hier ungenannt der „gute Gott“ von vorhin auf. Die Rettung bzw. das ewige Leben liegt nicht in der Hand des Menschen. Es liegt in der Hand des guten Gottes: Bei Gott ist alles möglich.

Eine Suche auf neuen Wegen

Ich deutete es schon an: Die Frage nach dem ewigen Leben stellt sich heute in anderer Form. Dass sie nicht als Frage nach dem ewigen Leben gestellt wird, bedeutet nicht, dass die Frage dem Menschen heute gewissermaßen abhandengekommen ist. Selbst Reichtum bringt sie nicht zum Verstummen. Auch Menschen in wohl- und bestsituierten Lebensverhältnissen kommen mit den Jahren nicht um die Frage herum, ob Reichtum und Wohlstand eine letztlich verlässliche Lebensbasis bieten. Sie bieten auf die Frage nach dem Sinn des Ganzen, nach dem Woher und Wohin, nach dem letzten Grund des Lebens keine ausreichende Antwort. Die Frage stellt sich – wenn auch in unterschiedlichen Kontexten – im Leben aller Menschen. Zumal heute, wo sich unter dem Einfluss materiell-ökonomischer gesellschaftlicher Leitvorstellungen die Perspektiven vieler auf die eigene Lebensleistung, auf das Selbstgeleistete und damit auch auf das davon abhängig gemachte soziale Ansehen verkürzen. Die Verkürzung droht auch bei jenen, die ihre Lebensausstattung und Lebenssicherung nicht zuletzt der sozialen Gesetzgebung, mit anderen Worten, dem sozialen Netz, verdanken. Beide Male greift der Mensch zu kurz, solange er sich nur in diesen Koordinatennetzen ansiedelt.

 

Aber das tut er ja andererseits gerade nicht. Wir sollen vom heutigen Menschen – und damit auch von uns selbst – nicht schlechter denken als sie bzw. als wir sind. Es ist eher so, dass für viele heute lediglich die religiös „definierte“ Antwort des ewigen Lebens an Plausibilität, an Überzeugungskraft, gar an „Leuchtkraft“ verloren hat. Viele suchen die Antwort auf nichtreligiös markierten Wegen, die dabei nicht weniger religiös sind, da der Mensch – jedenfalls nach christlichem Verständnis – als Gottes Geschöpf über tiefe religiöse Ressourcen verfügt. Er muss sie dabei gar nicht als religiöse Ressourcen erkennen. Ist es nicht religiöse Suche – letztlich eben nach dem „ewigen Leben“ -, wenn Menschen hinter den Sinn ihres Lebens kommen wollen? Wenn sie merken, damit grundsätzlich nicht fertig zu werden? Weil sie in Dimensionen vordringen, die über ihr selbstgedeutetes Leben hinausreichen? Das eigene Bemühen bleibt unabgeschlossen, ja unabschließbar. In wessen Hände lege ich dann mein Leben?

 

Die Formel des Petrus bzw. der Jünger, alles zurückgelassen zu haben, um Jesus nachzufolgen, symbolisiert genau diese Offenheit, dieses Eingeständnis, nicht wirklich Herr im eigenen Lebenshaus zu sein. Im Loslassen weniger etwas zu verlieren, als etwas zu gewinnen. Letztlich den Mut zu gewinnen, auf einen Anderen, auf Gott, einen vertrauenden Schritt im Leben zu tun, den das Evangelium „ewiges Leben“ bzw. an anderer Stelle „Fülle des Lebens“ nennt.



Prof. em. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)