I
‚Hochverehrter Theophilus‘, ‚optime, bester Theophil‘ – nicht wahr , liebe Gemeinde, diese Anrede leuchtet, ja: er-leuchtet , geschrieben wie in goldenen Lettern… Was ist erhebender für einen Leser als eben so angesprochen werden : Theo-philos, Theophil, Freund Gottes , Gottes Freund … und was gibt es für einen Schriftsteller Größeres als die Freundschaft des Glaubens zu stärken ?!
II
Nein , sie hatte keinen Kurs in ‚creative writing‘ besucht , aber sie , die eifrige Leserin, kannte das schon : den Traum , ein Buch zu schreiben . Einmal schreibend aus sich herauskommen und den ‚Willen zur eigenen Geschichte‘ (R. Safranski) umsetzen . ‚Mutter , erzähl doch einfach unsere Familiengeschichte‘, so hatten die Kinder sie ermutigt . Der Anfang war schwer , das berühmte weiße Blatt , das Warten auf den Einfall , Seite 1 und dann … Seite 2 und dann ‚schrieb es‘ und schließlich wurden es - mit Fotos - vierzig Seiten . Geheftet lagen sie nun auf dem Tisch im Altenheimzimmer , schön abgeschrieben , formatiert und gedruckt . Mit 75 Jahren – ihr literarisches Debüt unter dem sehr frommen, sehr stolzen Titel : ‚Bis hierher hat uns Gott gebracht‘.
III
‚So habe auch ich es für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe ,es für dich , hochgeehrter Theophilus, aufzuschreiben‘. So lautet einer der ersten Verse des Lukasevangeliums , ein Werk , das – wie manche Historiker meinen*- ebenfalls ein literarisches Debüt darstellt, der Erstling eines Autors , den die Christenheit ‚Lukas‘ genannt hat. Vielleicht auch hier : Der Traum vom Buch. Keine Familiengeschichte oder sagen wir : die Geschichte der universalen Familie schlechthin, Gottes Geschichte mit den Menschen, wie sie in Jesus von Nazareth in der ‚Mitte der Zeit‘ ihren Höhepunkt hatte. Ein Autor braucht ein Thema , vielleicht hat er auch sein Lebensthema und des Lukas Leidenschaft gilt wohl eben diesem : Sein Buch soll die Gemeinde Jesu, die Gemeinde der ‚unterrichteten‘ , getauften ‚Gottesfreunde‘ vergewissern und sie anleiten , in den Unterschieden von Juden und Heiden, Arm und Reich, Mann und Frau, Sklaven und Herren, Gläubigern und Schuldnern ‚geisterfüllt‘ (Apg 2,4) den Weg Jesu nachzugehen .
IV
Wer ist dieser Lukas ? Spannend finde ich die Vermutung , unser Autor sei der Sohn von Haussklaven* eines christlichen Herren gewesen , der später freigelassen wurde . Ein Mann arm und besitzlos, ohne die breite Schulbildung der besseren Schichten , und doch des Schreibens und Lesens kundig, intelligent , aufnahmefähig und auch ehrgeizig . Er hatte vielleicht die ihm zugänglichen Zeugnisse über das Leben Jesu gesammelt, gesichtet , gelesen , er kannte das Markusevangelium und irgendwann spürte er wohl das Verlangen : ‚Ich will’s auch versuchen , von diesem Propheten Jesus zu erzählen. Ich will darüber berichten , so manche Lücke ausfüllen , den Glauben stärken , die Gemeinde erbauen – und wer weiß : Indem ich anderen von Jesus schreibe , schreibe ich auch von mir selbst und meiner Geschichte oder besser : Wie mein Leben in Ihm Halt und Orientierung gefunden hat‘. Jeder Autor, liebe Gemeinde, ist ja der erste Leser seines Textes und ihm gilt als erstem die Frage : ‚Verstehst du auch, was du da liest?‘ (Apg 8,30).
V
Der Traum vom Buch. Einmal herauskommen mit der Sprache! Einmal von seinem Lebensthema erzählen . Aber wir Leser sind kritisch : Ist es auch ein gutes Buch ? Die Goldbuchstaben könnten blenden . Die hochgestochene Anrede könnte ein allzu durchsichtiger Versuch sein , des Lesers Wohlwollen zu fangen . Eine Familie hat ihre eigenen Kriterien zur Beurteilung von Mutters Erstling . ‚Ist es ehrlich auch in konfliktreichen Episoden ?‘ fragt die Tochter … ‚na ja, der Titel , hört sich ein bisschen wie frommer Kitsch an …‘ ,sagt der Enkel,‘ und das Foto von mir gefällt mir nicht‘ . Und die Gemeinde , die weltweite Kirche? Was muß ein geistlicher Autor , ein Schriftsteller (oder auch ein Prediger) mitbringen ?
Der große Origenes, ein Lehrer der Alten Kirche, hat dazu Vorschläge gemacht , über die nachzudenken lohnt : Ein Autor, der von Gott und Jesus erzählt, muß soz. vom Geiste Gottes , vom Heiligen Geist, inspiriert sein . Das Lob Gottes ‚Meine Seele erhebt den Herrn‘ (Lk 1,46) muß am Anfang stehen. Origenes erläuterte das so : Sinn und Bewußtsein des Schreibenden bedürfen der Bitte um das göttliche Licht, und sein Vorgehen , seine Methode, Gliederung und Darstellung bedürfen einer besonderen Besonnenheit. So mancher Möchte-gern-Schreiberling notiert , was ihm gerade in den Sinn kommt . Gut, auch solche ‚Ergüsse‘ kann man begrenzt zulassen , aber ein Erzähler der frohen Botschaft, ein Evangelist , geht anders vor.
VI
Als hätte unser Lukas dieses Problem geahnt und als wolle er ihm zuvor kommen, stellt er seine Arbeitsweise gleich auf der ersten Seite dar : Er hat ‚sorgfältig‘ , akribisch die Materialien der Geschichte Jesu (und der frühen Kirche!) für Theophilus gesammelt und er hat ‚alles‘ ‚in guter Ordnung‘ ‚von Anfang an‘ erzählt. Besonnenheit. Vorsicht. Ordnung . Das klingt nach Schule, etwas zu brav , vielleicht sogar nach ‚dienen‘ (Lk 17,10) und ‚Kundendienst‘** , ja, der Haussklave, aber in diesen Regeln steckt doch eine Verpflichtung , die jeder ernsthafte Buchschreiber kennt : Ich will und muß seriös recherchieren und meine Vorgaben auf ihre Verläßlichkeit überprüfen , denn der Glaube soll nicht ‚ausgeklügelten Fabeln‘ (2.Petr. 1,16) folgen , sondern den Dingen ,den Ereignissen wie sie gewesen sind. Eine Gruppe erzählt dies, eine andere das , jeder meint , seine Geschichte sei die Wichtigste und die des anderen könne fehlen oder irgendwo im Anhang erscheinen. Nein , wer von Jesus erzählt , muß auch die Zeit zuvor , Gottes Geschichte mit Israel , im Blick haben. Und : er berichtet von der Zeit danach , vom Weg des Glaubens über Länder und Meere zu den Heiden.
VII
Darum , wie es sich , liebe Gemeinde , für einen Debütanten gebührt : Lukas vollzieht vorsichtig , aber bestimmt , manche meinen gar ‚besserwisserisch‘ , auch eine Abgrenzung . ‚Da es nun schon viele unternommen haben , Bericht zu geben von den Geschichten, die sich unter uns erfüllt haben, will auch ich nun …‘ . Es haben schon andere von Jesus erzählt , ihre Schriften werden in den Gemeinden gelesen und sind anerkannt, aber Lukas meint : ihre Werke sind unvollständig und ‚ergänzungsbedürftig‘*** oder eben nicht in ‚guter Ordnung‘. ‚Von Anfang an‘ – dazu gehört doch auch das , was wir von der Kindheit Jesu wissen, seine Familiengeschichte , die Geschichte von Johannes, dem Täufer, das Lied der Mutter Jesu, Marias , und dazu gehört auch ein Bericht , den wirklich so nur Lukas überliefert : der Bericht von der Geburt Jesu , der buchstäblich die Enden der Welt , das große Rom und das winzige Bethlehem und darin auch noch einen Stall und darin eine Krippe zusammenhält . Stellt euch doch nur einen Augenblick vor, die Christenheit hätte diesen Bericht nie kennen gelernt , sie müßte Weihnachten feiern ohne die Hirten von Bethlehem und den Kaiser in Rom ! Gewiß : Besserwisser können uns auf die Nerven gehen , aber wenn sie es wirklich besser wissen , können wir nur dankbar sein.
VIII
‚Hochgeehrter, optime, bester Theophilos‘. Goldene Lettern . Der Traum vom Buch, vielleicht der Sklaventraum vom Buch , der Traum des Besitzlosen und Namenlosen ., Frohe Botschaft von Jesus Christus nach dem Evangelisten Lukas‘. Und wo liegt die Erleuchtung , die besondere Erleuchtung des Lukas in seinem literarischen Debüt ? Diese Anrede , diese Widmung, hat es in sich . Kein Autor und Prediger , der von Gott erzählt, ist ja ohne seinen Leser oder Hörer , dem Gottes-Freund , und beide bilden soz. vor Gott und mit Gott , in seinem Geiste , eine erleuchtete , freundschaftliche Gemeinschaft -etwa so wie Gott selbst einst mit Mose sprach ( Ex 33,11). ‚Creative writing‘ hat zum Ziel ein ‚creative reading ‘ und wer zum Glauben an Jesus ruft, wer also nach und nach in die Rolle des Evangelisten hinein wachsen möchte , der muß in Gottes Namen auch den Leser loben und ihm dienen. ‚Bester Gottesfreund‘. Alles nur Konvention ! mag man einwenden… so war es damals doch üblich. Mag sein , aber Gottes Geist macht sich auch eine Konvention zu eigen , um an unser Herz , an unser Leser-Herz , zu pochen.
IX
Am Ende : Unsere Familiengeschichten. Gottes Familiengeschichte. Eine eigene Geschichte finden, das Evangelium als eigene Geschichte entdecken .Das Buch auf dem Tisch im Zimmer im Altenheim. Das Buch auf dem Altar . Leuchtender Goldschnitt . ‚Bis hierher hat uns Gott gebracht‘. Israel. Jesus. Die Kirche. Alle Welt.
*H .Klein, Lukasstudien,2005,S.38 .S. 29
** Ziel seines Schreibens – so P. Handke- sei, ‚daß viele das lesen können. Ich stelle mir den und den vor, ich stelle mir z.B. meine Schwester vor, die Verkäuferin ist, und denke : Könnte die das lesen?... Es ist eine Art Kundendienst…‘ ( zit.n. H. Kasper, Schule der Autoren, 2. Aufl. 2002, S. 205)
***G. Klein, Lukas 1,1-4 als theologisches Programm, in : ders., Rekonstruktion und Interpretation , 1969 ,S.254