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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 05.11.2017

Zorn in die Hosentaschen, dann sind die Hände frei!
Predigt zu Matthäus 10:34-39, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

es ist Herbst geworden. Die Natur stellt sich um, und wir haben unsere Kleidung dem angepasst. Jetzt bevorzugen wir wärmende Hosen und robuste Funktionsjacken. Wir haben umgestellt - von der Sommerkollektion zur Herbstkleidung inklusive der winterlichen Accessoires. Jesus steht aber nicht vor seinem Wäscheschrank, er sorgte sich grundsätzlich nicht um eine saisonale Garderobe. Dennoch möchte ich in meiner Bibelauslegung ein strapazierfähiges Kleidungsstück zu Hilfe nehmen, eins, das schützt. Denn uns kommt ein beißender Gegenwind entgegen, wenn Jesus sagt: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden. (Matthäus 10, 34-39)

 

Liebe Gemeinde,

frei nach dem Motto: „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung!“ wage ich zu sagen: Es gibt kein falsches Evangelium aus dem Munde Jesu, aber wir machen einige Fehlversuche, bevor wir hineinschlüpfen und es uns schützt. Doch vermutlich warten Sie auf das angekündigte Kleidungsstück. Nun, es ist bekannt unter der Zahl 501, englisch ausgesprochen: Five-oh-One, also die Jeans mit 5 Hosentaschen. Der Vorläufer der 501 war eine Matrosenhose aus starkem Segeltuch aus dem italienischen Genua - gut gerüstet gegen peitschenden Sturm. Dann wurde die Jeans die Arbeitshose der Goldgräber in den USA - gut gerüstet gegen strapaziösen Verschleiß.

 

Meine erste Verknüpfung zwischen Jesu Brandrede und einer 501er-Jeans sind deren 5 Taschen. Die benutze ich, um mich in Jesu Rede grob zurechtzufinden. Seine ersten beiden Aussagen „Ich bringe keinen Frieden, sondern das Schwert“ und „Ich bin gekommen, um Familien zu spalten“ stecke ich symbolisch in die vorderen Hosentaschen. Denn in beiden stellt Jesus ja sich mit seinem „Ich“ selbst nach vorne. Dann folgen die Aufforderungen an uns, das Kreuz zu schultern und das Leben zu riskieren. Weil es dabei um unsere Nachfolge geht, stecke ich die beiden Warnungen in die hinteren Taschen.

 

Diese beiden Taschen auf der Rückseite sind bei jeder 501er Jeans mit einer geschwungenen Doppelnaht bestickt, wie ein aufgeschlagenes Buch oder wie Vogelschwingen (die „Arcuate“, seit 1943). Ich sehe diese Applikationen als ein gutes Vorzeichen, Jesu Drohungen etwas Schützendes abgewinnen zu können. Sein „Der-ist-mein-nicht-wert“ und sein „Der-wird-sein-Leben-verlieren“ sind ja sehr sperrig. Sie bleiben aber gültig, wir können sie nur ein wenig beiseite räumen. So wie Seeleute sich durch den Sturm hindurchkämpfen, um einen Hafen zu erreichen. So wie Goldgräber das Geröll wegräumen, um an die Nuggets zu kommen. Ähnlich werden wir durch Jesu Drohungen hindurch etwas Schützendes finden.

 

Liebe Gemeinde,

ich sortiere also die Ich-Sätze ich in die vorderen Taschen, und die beiden Warnungen an uns verwahre ich in den hinteren. Was aber kommt in die 5. Tasche? Denn wegen dieser 5. Tasche heißt die Hose „Five oh one“ – "fünf auf einer“. Nun, die Fünfte kennen wir als kleine Tasche vorne oben rechts. Die war in den ersten Jahrzehnten viel größer, denn sie musste die Taschenuhren der Goldgräber schützen. Als die verschwanden, verlangten Parkuhren und Telefonzellen nach griffbereiten Münzen. Dafür konnte die kleine Tasche verkleinert werden, aber abgeschafft wurde sie nicht. In dieser fünften Tasche stecken also symbolisch unsere Zeit und unser Geld, beide können uns unsere Aufrichtigkeit vermasseln. Was also tun? Denn wir können nicht so aussteigen, wie Jesus das meint. Wir suchen den Einklang zwischen Familie und Christsein, den Ausgleich zwischen Wehrhaftigkeit und Friedenspflicht. Auch die liebevolle Abnabelung von unseren Eltern und die angemessene Fürsorge für die nächsten Generationen sind schwierig genug - wie helfen uns dabei Jesu Warnungen?

 

Liebe Gemeinde,

in der Tat schafft Jesus weder den Frieden ab noch das Generationen-Vertragen. Zeitlos gültig bleiben sein Auftrag zum Friedenstiften und seine Kreuzesworte: „Siehe, das ist deine Mutter, siehe das ist dein Sohn!“ Und: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“ Jesus verschleißt also nicht, was ihm hilft. Was aber hat ihn so provoziert? Gegen welche Gefahr schwingt er das Schwert und lässt es niedersauen in Familien? Warum prangert er an, wenn das Leben und die Liebe zerbrechen? Und wie finden wir in Jesu Abqualifizierungen die Qualitäten des Evangeliums wieder?

 

Zur Antwort darauf will ich zwei Beispiele bedenken. Schon die alttestamentlichen Propheten hat das Kurzschwert-Gefuchtel und das Zerbrechen der Familien als Signale angekündigt für den Untergang der Welt, genauer gesagt als Anzeichen des Kommens des Messias. Doch nun sagt Jesus: „Ich bins, ich bringe als Messias Krise und Stress. An mir scheiden sich die Geister!“ Jesus will also mit seinen Warnungen nicht die Tötungsraten und die Scheidungsraten hochtreiben. Sondern er stellt in den Vordergrund, dass Gottes Heil nicht erst kommt, sondern schon da ist. In ihm. Und das es sich zeigt in sozialer Friedfertigkeit und innerfamiliärer Glaubensfreiheit. Von daher ahnen wir, was Jesus so zornig werden ließ. Es könnte dasjenige Programm sein, das alles weichspült und anschmiegsam macht, alles „piep-egal“ und „laissez-faire“. Darin sind wir mit Jesu damaligen Adressaten wohl vergleichbar. Wir sehnen uns nach einer Wohlfühlreligion, in der auch wir zu Gott sagen können: „Alles geht, aber nichts muss!“

 

Das zweite Beispiel betrifft unsere Einberufung in die Leidensnachfolge und die Risikobereitschaft. Wer beides weit von sich weist, dem sagt Jesus sein „Der-ist-mein-nicht-wert“ und sein „Der-wird-sein-Leben-verlieren“. Kann es sein, dass es damals wie heute darum geht, dass wir zu distanziert vom „lieben Gott“ reden? Denn Jesus bläst uns einen eisigen Gegenwind ins Gemüt, um klarzumachen, dass Gott nicht angepasst und kuschelig ist wie ein Kaschmir-Schal. Oder anders gesagt: Jesus treibt seine Jünger nicht als Eremiten in die Wüste, er sendet sie vielmehr als Friedensboten in die Völkerwelt - wie Schafe unter Wölfe. Ebenso will Jesus nicht, dass seine Nachahmer zu Kreuze kriechen, vielmehr ermächtigt er sie, diejenigen Dämonen auszutreiben, die anderen Menschen die Lebenskraft rauben. Dazu sollen sie ausziehen „ohne Geld und Gürtel und ohne zweites Hemd, aber mit Sandalen“ (Mk 6, 7ff) - und ich ergänze: mit einer robusten Hose.

 

Liebe Gemeinde,

Jesus hat sich selber nicht an seinen Wutausbruch gehalten. Er war gerne in Familien zu Gast. Er war in der WG von Maria, Martha und Lazarus nicht nur zum Seele-Baumeln zu Besuch. Er hat des Jairus‘ Töchterlein vom Tode auferweckt und hat seinen himmlischen Vater nicht aufgekündigt, als er am Kreuz hing und starb. Vielmehr übergab er sein Leben versöhnt zurück in Gottes Schöpferhände. Und auch bezüglich des Kurzschwertes folgte Jesus nicht seinem Zorn. Als Petrus bei seiner Verhaftung damit dreinschlug, befahl er ihm, es wieder ins Etui zu tun und heilte des heidnischen Soldaten Ohrmuschel wieder an. Auch als er starb, verzichtete er auf Kampfengel in Kompaniestärke. Auch für Jesus gilt also: Es gibt etwas, das stärker ist als der Zorn.

 

Darf ich zu diesem Gedanken noch einmal auf die weltberühmte Nietenhose schauen? Auf den Lederaufnäher über der rechten Gesäßtasche? Denn seit 1886 sind dort zwei Pferde abgebildet, die erfolglos versuchen, eine Jeans zu zerreißen. Das finde ich treffend als Bebilderung für zwei Beziehungen: Einmal für die Beziehung zwischen Jesus und seinem himmlischen Gottvater. Und zum zweiten für die Beziehung zwischen jedem von uns und dem eigenen, personalisierten Christus Jesus.

 

Jesus und sein Vatergott sind unzertrennbar geblieben. Noch stärker als die beste Tuchqualität, die selbst zwei Pferde nicht zerreißen können, besteht Jesus den Stresstest auf Golgatha und im verlassenen Grab, er lässt sich durch nichts von Gott wegreißen. Und der auch nicht von ihm. Und auch wir bekennen: „Nichts kann uns entreißen der Liebe Gottes. Weder Sturmflut noch Goldrausch, weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen, weder kirchlicher Kitsch noch spiritueller Einheitsbrei, weder Himmel noch Hölle. Nichts kann uns jemals trennen von der Liebe Gottes, die uns verbürgt ist in Jesus Christus, unserem Herrn.“ (Römer 8, 38f)

 

Und weil das so ist, behalten wir Jesu Warnungen griffbereit in unseren Hosentaschen. Und weil wir ihnen einen Platz zuweisen konnten, der uns ganz eng anliegt, haben wir zugleich den Kopf, den Blick und die Hände frei. Manchmal also und grundsätzlich, sind Hosentaschen doch ganz praktisch. Amen



Pfarrer Manfred Mielke
Reichshof
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

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