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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 05.11.2017

„Immer in Schwierigkeiten“
Predigt zu Matthäus 10:34-39, verfasst von Luise Stribrny de Estrada

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

 

Peter Steudtner, der Aktivist für Menschenrechte, ist frei. Vor etwas mehr als einer Woche wurde er aus der türkischen Haft entlassen. Gott sei Dank! In den Fernsehnachrichten höre ich von seiner Freilassung. Ein interessantes Detail: Zweimal werden Bilder von betenden Menschen in einer Kirche gezeigt. Dazu heißt es: In seiner Berliner Gemeinde haben die Menschen täglich für die Freilassung Peter Steudtners und der anderen Inhaftierten gebetet. Dann wechselt das Bild, gezeigt wird Gerhard Schröder, dazu der Text: Doch neben Gebeten und Kerzen half v.a. allem eine Geheimmission auf höchster Ebene. Der Altkanzler hat die Freilassung Steudtners vermittelt.

 

Ich freue mich, dass berichtet wird, dass Menschen für Peter Steudtner beten und dass er zu einer Gemeinde gehört. Gleichzeitig ärgere ich mich: Bei mir kommt es so an, dass die Gebete als nutzlos abgetan werden: „Natürlich ist die Politik effizienter als ihr Christen“, höre ich dahinter. „Eure naiven Gebete nützen nichts, da sind ganz andere Mittel nötig, um Erdogan zum Einlenken zu bewegen.“ Ich denke: Natürlich sind Gebete kein Mittel der Diplomatie und wollen es auch gar nicht sein, aber sie geben Menschen Kraft durchzuhalten und lassen sie die Gemeinschaft untereinander und mit Gott spüren.

 

In dem Fernsehkommentar spüre ich den Gegenwind, der Christen und Christinnen ins Gesicht bläst. In unserer Gesellschaft sind Christen, die zu ihrem Glauben stehen, inzwischen eine Minderheit. Es passiert öfter, dass wir belächelt werden. Oder dass wir als weltfremd dargestellt werden. Als Menschen, die noch nichts von der Aufklärung mitbekommen haben und immer noch an das Märchen von Gott glauben. Ich falle auf, weil ich vor dem Essen bete oder weil ich am Sonntag nicht ausschlafe, sondern in die Kirche gehe. Ich falle auf, weil ich nicht Halloween feiere, sondern den Reformationstag. Allerdings war ich in diesem Jahr in guter Gesellschaft!

 

Auf der andern Seite werde ich durch mein Anderssein interessant und rege zu Rückfragen an. Einige fragen nach: „Wieso sind Sie Pastorin geworden? Was glauben Sie eigentlich von dem, was in der Bibel steht?“, wollen die Konfirmanden wissen. Dadurch kommen wir ins Gespräch, und ich merke, dass sie spannend finden, was ich ihnen sage und sie überlegen, ob das, was mir wichtig ist, auch für sie gelten kann.

 

Zu Beginn der Konfirmandenzeit haben sie von uns ein Armband geschenkt bekommen. Darauf stehen die Buchstaben WWJD. WWJD – was soll das bedeuten? Es steht für „What would Jesus do?“, auf deutsch „Was würde Jesus tun?“ Es ist eine Einladung, sich diese Frage in bestimmten Situationen zu stellen: Was würde Jesus jetzt, in dieser Situation tun oder sagen“ Wenn eine zum Beispiel mitbekommt, dass ihr Mitschüler eine Klassenarbeit mit einer fünf zurückbekommen hat und nur mühsam seine Tränen unterdrückt. Lacht sie ihn aus oder erklärt ihm triumphierend „Ich hab‘ eine zwei, musst du halt mehr lernen“ oder flüstert sie ihm zu: „Nächstes Mal wird’s bestimmt besser“ oder bietet ihm an, mit ihm zu lernen? Hier ist es leicht zu entscheiden, was Jesus täte, er würde sicherlich den anderen trösten und ihm helfen. In anderen Situationen ist es nicht so eindeutig, wie Jesus sich verhalten würde.

 

Hören wir jetzt einen Abschnitt aus der Rede Jesu an seine Jünger, der heute Grundlage der Predigt ist. Jesus schickt seine Jünger in die Welt hinaus, damit sie seine gute Botschaft verkündigen und sagt ihnen:

 

„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.

Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.“

(Matthäus 10,34-39)

 

Wer spricht da? Ist das wirklich Jesus? Ich erkenne ihn kaum wieder. „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert… Ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater“ und so weiter. Das provoziert mich. Es klingt nach religiösem Fundamentalismus und lässt Bilder von Kreuzzügen in mir aufsteigen. Es erinnert auch an Islamisten, die sich von ihren Familien und Freunden abwenden, um in einen „Heiligen Krieg“ gegen die „Ungläubigen“ ziehen. Hier liegen die großen Schriftreligionen nahe beieinander. In allen dreien, im Christentum, Judentum und im Islam ist Fundamentalismus eine Option, eine Auslegung, die möglich ist.

 

Durch diese Worte spricht ein Jesus, der mir fremd ist. „Mein“ Jesus sagt Worte wie die, die wir im Evangelium für diesen Sonntag gehört haben: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel“ (Matthäus 5,44). Er predigt Liebe statt Hass und lässt sich ohne sich zu wehren verhaften. Zu einem Jünger, der ihn verteidigen will, sagt er: “Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen.“ Wie passt das zu den harten Worten, dass er nicht den Frieden bringen will, und dass es in der Familie Streitigkeiten um seinetwillen geben wird?

 

Die Worte, die Matthäus überliefert, sind in eine andere Situation hineingesprochen als die, die wir heute erleben. Sie richten sich an Menschen, die das Ende der Welt erwarten. Die Gemeinde des Matthäus glaubt, dass Jesus bald wiederkommen wird und dass vorher Streitigkeiten und Zwietracht entstehen werden, um zu trennen zwischen denen, die auf Jesu Seite sind, und denen, die nicht zu ihm gehören und verloren sind.

 

Wir leben heute in einer anderen Zeit und in einer anderen Welt als die Menschen am Ende des 1. Jahrhunderts. Trotzdem erfahren wir auch, dass wir in Schwierigkeiten geraten, wenn wir den Glauben an Jesus ernst nehmen. Solche Verwerfungen sind kein Selbstzweck, sondern etwas, was entstehen kann, wenn ich in Jesu Fußstapfen trete. Wer konsequent an Jesus festhält, kann Probleme bekommen. Er oder sie eckt an und findet womöglich noch nicht einmal bei denen ein offenes Ohr, die ihm am nächsten stehen, bei den Familienmitgliedern. Er ist „immer in Schwierigkeiten“, wie es in einer Biographie über Dorothee Sölle, die engagierte Theologin, heißt.

 

Wir können den Predigttext heute so interpretieren, dass Jesus uns sagt: Wundert euch nicht, wenn andere euch nicht verstehen und sich über euch ärgern. Wundert euch nicht, wenn sie euch auslachen oder euch für verrückt halten. Wer an mich glaubt, vertritt nicht den Mainstream, die allgemeine Meinung. Er wurzelt in anderen Werten. Er eckt mit seinem Bekenntnis zu mir an.

 

Ich glaube an Jesus, der für andere Menschen eingetreten ist, der sich für die engagiert hat, die die anderen ausgegrenzt und verachtet haben. Dieser Glaube hat Konsequenzen, er lässt mich bekennen und von dem sprechen, für das ich stehe. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass ich protestiere, wenn jemand einen Witz über „Spastis“ oder Behinderte macht. Weil ich an Gott glaube, mache ich nicht mit beim Gerede über die faulen Arbeitslosen, sondern erzähle von meinen Erfahrungen mit Menschen, die von einer Katstrophe in die andere getaumelt sind und schließlich auf der Straße landeten. Weil Jesus keine Vorurteile gegenüber Fremden hatte, setze ich mich dafür ein, Flüchtlingen zu helfen, damit sie hier heimisch werden und unsere Sprache lernen. Ich akzeptiere keine Obergrenzen für Menschen, die in Not sind und bei uns Schutz suchen.

Und ich glaube fest daran, dass Gebete etwas in Gang setzen und die Welt verändern können.

Amen.

 



Pastorin Luise Stribrny de Estrada
Lübeck
E-Mail: pastorin.stribrny@gmx.de

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