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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr (Volkstrauertag), 19.11.2017

Predigt zu Matthäus 22:15-22(dänische Perikopenordnung), verfasst von Jens Torkild Bak

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung, die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen…. Die Obrigkeit trägt das Schwert nicht umsonst.

   So schrieb Paulus vor fast zweitausend Jahren in seinem Brief an die Gemeinde von Rom, wie man in der Epistel dieses Sonntags lesen kann (Röm. 13, 1ff.). Wir befinden uns im Jahr 54 oder 55 nach unserer Zeitrechnung. Was der konkrete Hintergrund für die Ermahnung des Paulus ist, lässt sich nur schwer mit Sicherheit sagen – außer dass es angeblich um jeden Preis darum geht, ein gutes Verhältnis den römischen Behörden zu bewahren.

   Die jüdische Gemeinde in Rom, hierunter die neue und vermutlich wachsende judenchristliche Fraktion, war zu einem Zeitpunkt – kraft eines Edikts von Kaiser Claudius – aus der Stadt vertrieben worden wegen Unruhen um einen gewissen „Chrestus“. Die römischen Behörden wollten Ruhe und Ordnung haben, und dasselbe wollte also, wenn auch aus anderen Gründen, Paulus.

   Man sollte sich deshalb in Acht nehmen, allzu viel Christentum aus der bombastischen Botschaft zu machen, dass es keine Obrigkeit gibt, die nicht von Gott ist, und dass alle Untertanen sich unter die Obrigkeiten unterordnen müssen, die über ihnen stehen. Auch wenn Paulus ungeniert das Wort Gott in den Mund nimmt, ist der hier gebotene Gehorsam kein Teil des Evangeliums. Müssen wir sagen!

   Abgesehen von der religiös-ideologischen Verpackung geht es ausschließlich darum, was unter den vorliegenden Umständen politisch klug ist.

Hätte ich dasselbe von dieser Kanzel vor dreihundert Jahren gesagt, als der König offiziell König von Gottes Gnaden war, ganz so wie im goldenen Zeitalter des israelitischen Königtums – aber übrigens auch in völliger Übereinstimmung mit dem, was der Kirchenreformator Luther über die Aufgabe und den Status der Fürstenmacht dachte, nachdem er den Papst abgelehnt hatte?

   Nein, vor dreihundert Jahren hätte ich mich wohl zurückgehalten und mich davor gehütet, die göttliche Einsetzung der Macht zu leugnen. Aber davon bin ich nun überzeugt, belehrt durch die Ideen der Aufklärung und nun durch 150 Jahre Demokratie:

   Dass alle Machtausübung in einer zivilisierten Gesellschaft auf einem Vertrag beruht, den die Bürger miteinander eingegangen sind. Dass die Macht und die Gesetze und Prinzipien, die sie regulieren, nicht von Gott sind, sondern von uns. Und dass es das demokratische Recht eines jeden ist, zusammen mit Gleichgesinnten mit seiner Stimme zu versuchen, sowohl die Gesetz als auch das Verhalten der Mächtigen zu beeinflussen.

   Das bedeutet nicht, dass die Macht für uns ohne Probleme ist, nachdem wir sie endlich aus den Händen Gottes und seiner Stellvertreter entrissen haben. Das bedeutet nur, dass wir umso weniger Möglichkeiten haben, die Verantwortung dafür, wie die Welt aussieht, von uns zu weisen.

   Manchmal könnte man wünschen, dass nicht wir die Gesellschaft und die Welt auf unseren Schultern tragen. Aber die Zeit der Illusionen ist vorbei.

Nun soll man, eingedenk der klaren Aussagen des Paulus, auch nicht glauben, dass die Anfechtung der Göttlichkeit der Macht und die Kritik am Verhalten der Herrschenden nur ein viel späteres Unterfangen sind.

Tatsächlich gibt es solche Stimmen schon in der Bibel. So z.B. in der ersten Lesung dieses Sonntags aus dem Propheten Amos, wo es heißt: Hört dies, die Armen unterdrückt und die Elenden im Lande zugrunde richtet … (8, 4).

   Amos kritisiert wie mehrere andere Propheten, wohlgemerkt die bedeutendsten unter ihnen, die herrschende Klasse, die sich – heuchlerisch – in äußere Frömmigkeit kleidet mit der gehörigen Einhaltung von Festtagen und dergleichen, während man gleichzeitig im sozialen Bereich, im Rechtswesen und im Geschäftsleben sich den Schwachen und Besitzlosen, den „Witwen und Vaterlosen“ gegenüber egoistisch und rücksichtslos verhält.

   Deshalb muss man, wenn wir nun heute mit der Aufforderung des Paulus zu unbedingtem Gehorsam jeder Obrigkeit gegenüber begannen, auch diese andere Seite der Geschichte mit bedenken, damit die Dinge ins rechte Licht gerückt werden. Denn die kritische Stimme ist nicht nur ein Nebenton in der Bibel. Sie ist ein gewaltiger Unterstrom. Und das gibt ja im Grunde zu denken – gerade heute, wo wir wieder von dem möglichen Einfluss der Religion in den Gesellschaften reden und ihrem Einfluss auf die politischen und kulturellen Entscheidungen der Menschen – und wo einige da Bedenken haben.

Es gibt zu denken, dass wir, wenn es um die Bibel geht, es mit einem religiösen Buch zu tun haben, das selbst voll von Religionskritik ist: Kritik an einer Frömmigkeit, die als Deckmantel eigener Interessen benutzt wird. Kritik an einer Religiosität, die Wert legt auf die Einhaltung äußerer Formen und gleichzeitig die weit wichtigere Rücksicht auf den Mitmenschen vermissen lässt.

Einer der besten Kenner der europäischen Kulturgeschichte, der verstorbene dänische Theologieprofessor Jakob Balling, hat einmal gesagt, dass etwas vom entscheidendsten, das die Geschichte Europas geprägt hat, dies war, dass die beiden Mächte einander in Schach gehalten haben, nämlich Kirche und Staat. Das hat viele Jahrhunderte lang verhindert, dass die eine Seite die Macht allein erhielt und sich zu einem tyrannischen Absolutismus entwickelte. Und das ist denn auch sehr gut so.

Aber damit sind wir bei der Frage des Tages, ob es erlaubt ist, dem Kaiser Steuern zu bezahlen. Das ist eine Falle. Antwortet Jesus mit ja auf die Frage der Pharisäer, so werden sie sagen, er sei ein Landesverräter. Denn wie kann man stillschweigend akzeptieren, dass der römische Staat das Heilige Land besetzt mit seiner Anwesenheit besudelt hat? Wie kann man dazu raten, Steuern zu zahlen an einen Kaiser, der ein Götzendiener ist, der selbst verlangt, als Gott und als der Höchste angebetet zu werden? Das ist für die Pharisäer so wie heute für die fundamentalistischen Muslime, die den kulturellen Einfluss der westlichen, säkularen oder „dekadenten“ Staaten fürchten.

   Antwortet er mit nein, ist es auch verkehrt – für ihn. Denn dann können die Pharisäer nämlich hingehen und ihn bei den Römern als Anführer eines Aufruhrs anklagen. Den Pharisäern sind, wenn es darauf ankommt, alle Mittel recht, wenn nur das Ziel erreicht wird, ihn zum Tode zu verurteilen. Deshalb sagt er auch zu ihnen: Ihr Heuchler! Denn dass er sterben soll, haben sie längst beschlossen. Schon als er zum ersten Mal das Sabbatgebot übertrat.

Jesus tut bekanntlich keines von beidem. Er antwortet mit den später so berühmten und oft zitierten Worten: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.

Und darüber hat man nun seit dem geforscht. Denn was in aller Welt hat er doch damit gemeint? In Wirklichkeit ist das vielleicht gar nicht so schwer zu verstehen, was er da sagt, wenn man ihn nur beim Wort nimmt.

   Denn das ist ja gerade die Situation, in der der Mensch steht. Mitten zwischen zwei Mächten oder Institutionen, dem Weltlichen und dem Göttlichen. Und beiden soll man geben, was ihnen gebührt. Man kann nicht sein Opfer für das eine damit entschuldigen, dass man sich dem anderen verweigert.

   Für uns ist das mit dem Kaiser natürlich nicht mehr aktuell, aber da haben wir stattdessen über uns eine andere weltliche Plage, der wir uns beugen oder mit der wir verhandeln müssen. Sei es die Ehefrau, der Arbeitgeber, die Kinder, die dieses und jenes von uns fordern, die Kreditinstitute, der Zoll, das Finanzamt, Einsamkeit, quälende Erinnerungen, die neuesten Versionen der Computerprogramme und die steigende Last des Jahres mit vielen anderen Dingen, kurz gesagt: diese Welt, in der wir alle bis über die Ohren sitzen. Das sind unsere „Kaiser“!

 

Nichts von alledem kann ein Mensch einfach von sich wegschieben, es sei denn er will als Mönch leben oder als Phantast. Aber wenn das nicht der Fall ist, wenn der Mensch nicht ins Reich der Phantasie abschweifen will, muss er sich mit der Welt abfinden und sie so nehmen, wie sie ist, im Guten wie im Bösen. In diesem Sinne hat Paulus natürlich darin Recht, dass jeder Mensch in dem einen oder anderen Sinne genötigt ist, sich zu beugen.

   Aber in all dem soll ein Mensch zugleich Gott nicht vergessen. Denn es gibt nur ein Ding, das genauso schlimm ist wie der religiöse Fundamentalismus. Und das ist der weltliche Fundamentalismus, der den Menschen nur sehen will als Verbraucher, Steuerzahler, Wähler, Gegenstand der Ausnutzung, nützliche Produktionskraft, jung, alt, Sündenbock, schuldig oder was auch immer – der weltliche Fundamentalismus, der seine Forderungen lautstark und alles verzehrend geltend macht in seinen Forderungen, Urteilen, Ideen und Projekten.

   Und vergisst, dass ein Mensch eine absolute Würde hat, deren Muttersprache Freude, Glaube, Hoffnung, Liebe, Barmherzigkeit ist. Eine Würde unter dem Schutz des Namens Gottes, der Fleisch und Blut wurde in Jesus von Nazareth und der in unserer Taufe genannt wurde. Eine Würde, die der freie Atem in der Enge dieser Welt ist.

   Und das ist die wahre Bedeutung der Kirche und der Rituale in der heutigen Gesellschaft. Ein handgreiflicher Raum zu sein für diesen Atem und eine ständige Ermunterung für die Gemeinschaft und den bedrängten Menschen.

   Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht? Das ist nicht die richtige Frage – denn du hast ja zwei Herren. Mit dem einen musst du leben, und den anderen darfst du – um der Würde von dir und deinem Nächsten willen – nicht vergessen. Amen.



Dompropst Jens Torkild Bak
DK-6760 Ribe
E-Mail: jtb(at)km.dk

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