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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr (Volkstrauertag), 19.11.2017

Krumme Vorbilder – aufrechter Gang
Predigt zu Lukas 16:1-9, verfasst von Ulrich Kappes

Am vorletzten Sonntag im Kirchenjahr hörten wir die Epistel mit den Worten: „Wenn nun der Geist (Gottes) in euch wohnt, so wird derselbe, der Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen.“ Das Evangelium sprach vom Endgericht mit der Scheidung der Böcke und Schafe, der Gesegneten und der Verworfenen. „Was ihr nicht getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir auch nicht getan.“ Und nun wird uns ein Text gegeben, der auf den ersten Blick aus diesem Zusammenhang heraus fällt.

 

Lukas 16, 1–9

 

Ein reicher Mann stellte einen Verwalter ein. Wie reich dieser Mann war, erschließt sich daraus, welche Mengen er an seine Kunden verlieh. Wir hören von 100 Fass Öl. Das entspricht 450 Litern. Für diesen Ertrag wurden 145 Ölbäume gebraucht. Der Arbeiter in der Ernte brauchte dafür  500–600 Arbeitstage. I1I Nur an Großhändler konnten diese Mengen weiter gegeben werden. Sie hatten ihre Schulden in Raten abzuzahlen.

Ein Großgrundbesitzer braucht dazu einen fähigen und geschickten Verwalter.

 

Es wird nicht erwähnt, warum dieser Mann seiner Aufgabe nicht gerecht wird. Einen kleinen Anhalt bietet lediglich das griechische Wort, das seinen kaufmännischen Stil beschreibt: Es heißt: Er „zerstreute“ die Güter seines Herrn. Das klingt so, als hätte er ohne Recherchen an die Empfänger Öl und Weizen vergeben, als hätte er nicht geprüft, ob die Händler überhaupt zahlungsfähig waren. Er „zerstreute“ die Güter. Schließt man von diesem kleinen Wort auf seinen Arbeitsstil, so kommt kein gutes Ergebnis heraus. Ihm fehlte die Gründlichkeit, die für solche Geschäfte erforderlich ist. Er war offenbar ein Leichtfuß und ungeeignet für seinen Beruf.

 

Der Verwalter wird angezeigt. Das könnten vermutlich nur Leute aus der Kanzlei gewesen sein, die nicht weiter mit ansehen konnten, wie das Vermögen ihres Arbeitgebers den Bach hinunter geht. Es geht Schlag auf Schlag. Er wird vorgeladen. Ihm wird fristlos gekündigt. Bevor er geht, hat er in Form eines Kassensturzes darzulegen, wie das Unternehmen insgesamt noch dasteht. Er hat eine Abschlussrechnung vorzulegen.

Die Entlassung ist für ihn eine Katastrophe. Was soll aus ihm werden? „Graben kann ich nicht, und vor dem Betteln schäme ich mich.“ Welcher Zukunft geht er entgegen?

 

Versuchen wir in einem ersten Anlauf zu klären, wo wir in diesem Gleichnis sind, so wäre ein Vergleichspunkt zur Situation des Verwalters, dass auch wir bisweilen vor einer ungewissen Zukunft mit vielen Unsicherheiten stehen können. I2I Das kann unser Verschulden sein wie bei dem Verwalter. Es kann aber auch ohne unser Zutun über uns kommen. Ein Verkehrsunfall, ein Todesfall eines geliebten Menschen, eine Diagnose des Arztes, eine schockierende Nachricht über Kinder oder Enkel, ein Verlust eines Freundes … Wir wissen, dass es katastrophale Wendungen in unserem Leben gibt.

 

Für den Verwalter gilt es, vor dem bevorstehenden Sturz ins Bodenlose zu handeln.

Was folgt, ist mit dem Räderwerk einer alten Turmuhr vergleichbar. I3I Die alten Uhrmachermeister konstruierten sie so, dass sich das Uhrwerk sieben Minuten vor dem Glockenanschlag in Bewegung setzte. Ohne diesen Vorlauf schlägt die alte Turmuhr nicht. Es raschelt und rotiert und arbeitet lange vor dem Glockenschlag.

Der Verwalter weiß, dass er bis zum entscheidenden Stundenschlag, bis der Hammer auf die Glocke schlägt, nicht viel Zeit hat. Und so handelt er „schnell“.

Er steckt nicht den Kopf in den Sand. Der oberflächliche und verantwortungslose Mann steht auf und macht sich auf den Weg. Das ist ein ganz anderer als zuvor.

 

Er besucht die Schuldner seines Herrn. Sie sollen wiederum „schnell“ ihre Schuldscheine holen. Das waren die Dokumente mit dem großen Siegel. Er lässt sie aufbrechen, ausrollen und eiskalt die angegebenen Mengen verringern. Wie viel Öl? Schreibe die Hälfte! Wie viel Weizen? Schreibe nur noch vier Fünftel davon! Was weiß sein Nachfolger oder erst recht sein Herr, um welche Beträge es sich in Wahrheit handelte, die er einst auslieferte!

Was geschieht hier? Es ist, mit einem Wort, Dokumentenfälschung.

Warum macht der Verwalter das? Er geht ganz einfach davon aus, dass sich die Schuldner einmal erkenntlich zeigen, weil sie nun nicht mehr 100 Fässer Olivenöl, sondern nur noch fünfzig berechnet bekommen und auch nur achtzig Sack Weizen statt hundert.

„Eine Hand wäscht die andere.“

 

Bis dahin ist dieses Gleichnis als ein Text der Bibel zwar ungewöhnlich, aber nicht wirklich aufregend. „So sind und so handeln eben Menschen in Not, die über das nötige Kalkül verfügen.“ Das Aufregende, ja zutiefst Befremdliche, folgt jetzt.

Jesus sagt: „Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter.“ Es ist Jesus selbst, der mit der Stimme des reichen Mannes spricht. Er lobt einen Betrüger und Urkundenfälscher.

 

Man traut seinen Ohren nicht. Es steht aber da.

Und Jesus fügt noch hinzu, dass die „Kinder des Lichts“ von den „Kindern der Welt“, zu lernen hätten, denn die „Kinder dieser Weltzeit, dieses vergehenden Äons“ sind klüger als die Kinder des Lichtes.

 

Wie verstehen wir dieses Gleichnis? Was ich Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, jetzt vortrage, beansprucht nicht, die allein mögliche Auslegung zu sein. Es ist ein Versuch, diesem Gleichnis unseres Herrn nahe zu kommen. Bitte urteilen Sie selbst, ob ich richtig liege. Wie ist das zu verstehen?

 

Zunächst ist ohne Umschweife festzustellen: Die Kinder des Lichtes, die Juden und die Christen, leben aus der Schrift, aus den Geboten, und danach ist ihnen Betrug untersagt. „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden“ schließt ein: ‚Du sollst keine Zeugnisse und Urkunden verfälschen.’ Genau das macht der Verwalter und genau dafür lobt ihn Jesus.

 

Setzt Jesus die Gebote außer Kraft? Natürlich nicht. Es gibt aber Situationen, so Jesus, da geht es nicht anders als nach der Methode des Verwalters. Es ist kein Freibrief für ein Leben im Betrug, wohl aber für Zeiten, in denen für uns alles auf dem Spiel steht. Es gibt Zuspitzungen, da geht es nicht anders. Jesus nimmt uns mit diesem Gleichnis das schlechte Gewissen.

 

Zum Ende des Jahres 1942 zieht Dietrich Bonhoeffer ein Resumé über sich und seine Mitverschwörer gegen Adolf Hitler:

„Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch Erfahrung misstrauisch gegen die Menschen geworden und mussten ihnen die Wahrheit schuldig bleiben ..., wir sind durch unerträgliche Konflikte mürbe oder vielleicht sogar zynisch geworden – sind wir noch brauchbar?“ I4I

Bonhoeffer erkannte, dass er seiner Verantwortung nur gerecht würde, wenn er zu Mitteln und Methoden griff, die nur als Paradox für einen Christen vertretbar sind.

 

Damit haben wir aber nur den Sinn dieses Gleichnisses für extreme Situationen erschlossen.

Es folgt eine Art genereller Schlussfolgerung: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon.“

 

Der Mammon ist das Geld, der Götze des Geldes. Er beherrscht diese Weltzeit. Es geht nichts ohne Geld. Dagegen ist nichts zu sagen. Davon zu unterscheiden ist der „Mammon der Ungerechtigkeit“. Das ist die finstre Seite des Geldes, die Menschen ruiniert, in den Abgrund treibt oder unsagbar reich macht.

„Macht euch Freunde bei dem Mammon der Ungerechtigkeit.“ Das heißt: Selbst die Handlanger des ungerechten Mammon können euch in manchem ein Vorbild sein: Sie sind präsent. Sie schätzen sehr nüchtern die Sachlage ein. Sie hängen keinen Phantasiegebilden nach. Sie verschaffen sich immer und immer einen genauen Überblick. Um nur einiges zu nennen.

Das heißt: Blickt auf die Kinder dieser Welt, die Menschen ohne Glauben, ja blickt selbst auf die, deren Moral euch hoch problematisch ist und lernt von ihnen.

 

Im Hebräerbrief lesen wir: „Gedenket an eure Lehrer, … ihr Ende schauet an und ihrem Glauben folget nach.“ Hier heißt es ergänzend und pointiert: Schaut auch da genau hin, wie Menschen ohne Glauben leben. Wenn es euch hilft, so lernt von ihnen.

 

Warum? Das Gleichnis nimmt eine letzte Wendung. „Machet euch Freunde bei dem Mammon der Ungerechtigkeit, damit sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.“

Warum lernt ihr von den „Kindern der Welt“, ja selbst von den Dienern des Mammons der Ungerechtigkeit? Die Antwort heißt: Wenn dieser Mammon und seine Macht vergangen ist, sollt ihr aufgenommen werdet in die ewigen Hütten.

 

Worum geht es? Lernt einen guten Umgang mit Geld, damit ihr etwas tun könnt für die Geringsten unter euch. Über sie führt die Brücke zu den ewigen Hütten. Lernt nicht, um Geld zu horten und Besitztümer anzuhäufen, sondern, um geben zu können. Eure große Sehnsucht sei die Aufnahme in die ewigen Hütten. Dafür seid lernbegierig und offen, wohl wissend, dass ihr zwar von den Kindern dieser Welt lernt, aber ein ganz anderes Ziel habt.

 

ANMERKUNGEN

I1I Nach François Bovon, Das Evangelium nach Lukas, Düsseldorf, Zürich, Neukirchen Vluyn 2001, S. 78. Und Eugen Drewermann, Düsseldorf 2009, S. 261.

I2I Idee von Eberhard Jüngel, Predigt zum Text, in E. Jüngel, Predigten, München 1970, S. 68 ff.

I3I Übernommen aus Lesepredigt Nr. 247 von Theodor Hanse (hektographiert).

I4I Zit. nach Renate Wind, Dem Rad in die Speichen fallen. Die Lebensgeschichte des Dietrich Bonhoeffer, Gütersloh S. 124.



Pfarrer em.Dr. Ulrich Kappes
Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

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