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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr (Volkstrauertag), 19.11.2017

Predigt zu Lukas 16:1-8+9, verfasst von Paul Kluge

Lukas ist geknickt, und das gleich doppelt. Das Jesaja-Wort vom geknickten Rohr klingt ihm wie Hohn. Ihn, so glaubt Lukas, könne niemand mehr aufrichten, auch kein Gottesknecht, wie Jesaja ihn erwartet hat. Und Lukas muss sich eingestehen, dass er sich selbst in diese missliche Lage gebracht hat – ein Eingeständnis, das ihm schwer fällt und das er am liebsten auch vor sich selbst geheim hielte.

Am frühen Morgen nämlich hat ein Bote einen Brief von Theophilus gebracht. Da Lukas ahnte, was darin stand, legte er ihn ungeöffnet zur Seite. Theophilus würde sicherlich wieder anfragen, wann denn nun endlich das in Auftrag gegebene Jesusbuch fertig sei, würde an die bereits gezahlten Vorschüsse erinnern und daran, dass weder seine Geduld noch seine Finanzen unerschöpflich seien. Lukas hat schon mehrere solcher Briefe erhalten.

Doch er will seinen Auftrag mehr als gut erledigen, will alles genauestens erforschen, was von Jesus überliefert ist. Mit seinem Werk will er alle weiteren Nachforschungen überflüssig machen und der Leben-Jesu-Forschung ein Ende setzen. Deshalb dauern die Recherchen halt so lange, deshalb muss er Reisen unternehmen und nach möglichen Zeit- und Augenzeugen fahnden. Das alles kostet eine Menge Geld. Geld, das Lukas nicht hat, sondern immer wieder als Honorarabschlag von Theophilus erbitten, ja, erbetteln muss. Mit diesem Geld – auch das muss er sich eingestehen - ist er bisweilen etwas großzügig umgegangen. Hat die eine und andere Dienstreise um ein paar Tage verlängert, um eigenen Interessen nachzugehen, hat Bücher gekauft, die zwar entfernt mit seinem Thema zu tun haben, mehr aber seine private Bibliothek aufwerten.

„Um das Geld ist es nicht schade“, tröstet Lukas sich, „Theophilus hat genug davon, und meine Forschungsleistung bleibt in jedem Fall unterbezahlt. Man muss auch Auftragnehmer bei Laune halten, damit sie gute Arbeit leisten.“ Was ihn mehr bedrückt, ist das Alter des Theophilus, der das Werk unbedingt noch selbst in die Hände bekommen soll. Denn sonst könnten die Erben womöglich die gezahlten Vorschüsse zurückverlangen. Erben, denkt Lukas, haben selten Sinn für höhere Werte und umso öfter nur für materielle. Das würde bei seinen Kindern wohl nicht anders sein, schießt es ihm durch den Kopf. Der Gedanke ist bitter, und die Bitternis steigt noch, weil Lukas in diesem Moment an sein eigenes Alter denkt. Das liegt deutlich über dem des Theophilus und macht sich besonders an den Augen und am Gedächtnis bemerkbar.

Daraufhin hat Lukas auf seinen Morgenspaziergang verzichtet und sich an die Arbeit gesetzt. Seit einiger Zeit schon ist er damit befasst, eine stattliche Anzahl von Gleichnissen zusammenzustellen, Gleichnisse, die er vor allem bei Markus und in einer anonymen Spruchsammlung gefunden hat. Diese Gleichnisse so zu ordnen, dass ein innerer Zusammenhang entsteht, bereitet ihm Freude, und wo eines nicht ganz passt, greift er auch schon mal redigierend in den Text ein.

Er ist tief in seiner Arbeit versunken, als plötzlich seine Frau vor ihm steht, den Brief des Theophilus in der Hand. „Jetzt haben wir den Salat“, schimpft sie los. „Welchen Salat?“ fragt Lukas, der Schlimmes ahnt und deshalb abwehrend sagt: „Ich mag doch dieses Grünzeug nicht sonderlich, wie du weißt.“ – „Dieser Salat hier“ – und dabei schlägt seine Frau mit der Hand auf den Brief, „dieser Salat hier wird dir noch weniger schmecken. Theophilus will dir den Auftrag entziehen, wenn du nicht binnen dreier Monate das Jesusbuch bei ihm ablieferst. Außerdem hat er dir inzwischen deutlich mehr gezahlt, als ihr vereinbart habt. Damit du es begreifst: Du bekommst keinen Pfennig mehr von ihm, und vielleicht fordert er noch etwas zurück. Woher willst du das wohl nehmen! Lukas, sieh mich an und hör mir mal gut zu: Wenn du den Abgabetermin nicht einhältst, sind wir arme Leute!“

„Ja, ja, ist ja gut“, will er sagen - wie immer, wenn ihm etwas lästig ist und er das Gehörte schnell vergessen will. Doch er verkneift sich diese Antwort, sie würde seine Frau noch mehr aufbringen. Stattdessen sagt er: „Wir haben doch noch einiges an Erspartem. Das müsste doch erst einmal reichen.“ – „Und dann ist es weg, und wir sitzen auf der Straße“, lautet die Antwort, mit der seine Frau das Zimmer verlässt.

Lukas sitzt da, in sich zusammengesunken, die Augen zu Boden gerichtet. Ihm ist leicht schwindelig, und einen klaren Gedanken kann er nicht fassen. Der angedrohte Verlust des Forschungsauftrags hat ihn wie ein Schlag in den Magen getroffen, und den zweiten Schlag hat seine Frau ihm versetzt, indem sie das Zimmer verließ. Denn stets war sie diejenige, die in schwierigen Situationen Auswege und Lösungen finden konnte. Nun hat sie ihn mit den drohenden Sorgen allein gelassen, und das hat ihn noch mehr geknickt als die Drohung des Theophilus.

Nach einiger Zeit dumpfen Trübsalblasens steht er ächzend auf. Er will sich eine Kanne Wein holen, der würde ihm jetzt gut tun. Doch nach wenigen Schritten bleibt er stehen – er kann nicht an den Wein kommen, ohne seiner Frau zu begegnen. Und davor hat er beachtlichen Bammel. Außerdem – das weiß er aus Erfahrung – würde er mit dem Wein seine Sorgen nur vorübergehend vergessen, und schon gar nicht lösen. „Vernünftiger ist es wohl zu arbeiten, um den Termin zu halten“, seufzt er, setzt sich wieder zu seinen Aufzeichnungen und Notizen und wühlt ziellos darin herum. Ein Zettel mit einem einzigen Satz fällt ihm in die Augen, ein Satz ohne Quellenangabe – vermutlich hat er ihn von irgendwem gehört; ein Satz auch, den er bisher noch nirgendwo hat einordnen können: ‚Macht euch Freunde mit ungerechtem Vermögen, damit sie, wenn es euch ausgeht, euch aufnehmen in die ewigen Hütten.’

Jetzt, da ihm Verarmung droht, erkennt Lukas in dem Satz einen Sinn. Für schlechte Zeiten vorzusorgen, ist ja wohl das Dümmste nicht, und sicherlich ist es klüger, sich Freunde zu sichern, als das Geld unterm Bett verschimmeln zu lassen. Das hat doch schon das Buch Sirach empfohlen, erinnert er sich. Er sucht und findet das Buch und darin sogar die Stelle, in der es heißt ‚Verliere lieber dein Geld um eines Freundes willen, als dass du es unter Stein und Mauerwerk rosten lässt.’ In Menschen zu investieren und nicht in Steine, das leuchtet ihm ein, das scheint ihm eine gute Armuts- und Altersvorsorge. Dass es dann wohl klug sei, in junge Menschen zu investieren, überlegt er und denkt an seine Kinder. Die sind zwar schon erwachsen, aber doch noch mit Berufs- und Familienaufbau beschäftigt, und folglich knapp bei Kasse - ohne dass es ihnen schlecht ginge.

Lukas schlägt sich vor die Stirn und ruft aufgeregt nach seiner Frau, ruft noch einmal, als sie nicht gleich kommt. „Hast du dein Jesusbuch etwa fertig?“ fragt sie etwas spitz. Lukas antwortet nicht wie sonst immer mit „Bald“, sondern bittet sie, ihm gut zuzuhören. „Du kennst doch diesen jungen Rotschopf in unserer Gemeinde“, beginnt Lukas, und seine Frau fragt: „Diesen Germanenspross? Was ist mit dem?“ – „Nun“, fährt Lukas fort, „er ist zwar ein unzivilisierter Germane wie seine Eltern, aber er ist ein hoch intelligentes Bürschchen. Leider können seine Eltern ihm keine Ausbildung bezahlen, und er wird sich als Tagelöhner oder als Söldner verdingen müssen.“ – „Oder“, ergänzt die Frau des Lukas, „oder kriminell werden, wie so viele Kinder armer Leute. Das ist eben das Los solcher Kinder, und wir können das nicht ändern.“ Sie seufzt, denn diese Kinder tun ihr leid. „Da hast du recht“, bestätigt Lukas, „das Schicksal aller armen Kinder können wir nicht ändern. Wohl aber das Schicksal eines einzelnen. Und das sollten wir tun.“

Lukas macht eine Pause, seine Frau holt tief Luft und zweifelt an seinem Verstand, wie er ausgerechnet nach dem Brief des Theophilus auf solche Gedanken kommen könne. Lukas lässt sie ausreden, dann bittet er sie, seine Überlegungen zu Ende führen zu dürfen. Sie setzt sich, blickt ihn mit einer Mischung aus Skepsis und Neugier an und hört ihren Mann sagen: „Ich habe mir überlegt: wenn wir diesem Rotschopf eine Ausbildung ermöglichen, etwa zum Kaufmann, wird er uns, falls es uns wider Erwarten einmal schlecht gehen sollte, aus Dankbarkeit unter die Arme greifen. Ehrlich ist er ja und ohne Falsch. Und außerdem: Wird unser Vermögen, so bescheiden es auch sein mag, nicht dadurch ungerecht, dass es herumliegt und niemandem einen Nutzen bringt, uns nicht und keinem anderen? - Oder willst du als Christin dir Geiz vorwerfen lassen?“ schiebt er nach kurzer Pause noch nach, wohl wissend, wie sehr er sie damit trifft. Ihr Hang zur Sparsamkeit ist sehr ausgeprägt.

Doch die erwartete Empörung bleibt aus. Stattdessen strahlt sie ihn an und sagt, so kluge und zugleich praktische Gedanken habe sie von ihm wohl noch nie gehört, seine meisten Gedanken seien nur klug. So ausgegebenes Geld sei kein Almosen und damit einfach weg, sondern eine doppelte Investition in die Zukunft, in die des jungen Rotschopfs – „So bekommen auch die Germanen etwas Kultur“, flicht sie ein – und auch in die eigene Zukunft. Gleich am nächsten Tag wolle sie mit den Eltern des Jungen reden. „Ich mach das“, entscheidet sie, als Lukas etwas sagen will, „und du, du schreibst dein Buch weiter. Vielleicht wird es ja doch noch rechtzeitig fertig.“ Dann drückt sie ihm einen sanften Kuss auf seinen kahlen Kopf und lässt ihn mit seiner Arbeit allein.

Lukas, der vor kurzer Zeit noch doppelt geknickt war, fühlt sich nun wieder aufgerichtet. Nimmt den Zettel mit dem Jesuswort zur Hand und überlegt eine Geschichte dazu, um diesen Satz zu veranschaulichen. Geschichten nämlich lassen sich besser behalten als abstrakte Sätze, und Lukas will, dass alle, die sein Jesusbuch lesen oder vorgelesen bekommen, möglichst viel davon behalten. Das ist er den Worten und Taten Jesu schuldig. Amen

 

 

Gebet:

Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott, von dir. Dank sei dir dafür. Denn mit deinen Gaben können wir in dieser Welt leben, manche recht gut und andere weniger gut. Dass wir das zum Leben Nötige und wenigstens ein wenig darüber hinaus haben, kann uns dazu verleiten, in den Tag hineinzuleben. Davor aber bewahre uns, Gott.

Du bist es, der das Vermögen schafft, und sei es noch so bescheiden. An allem, was wir haben, dürfen wir uns freuen – und wir können uns damit Freunde schaffen. Unser Habe wird und wirkt ungerecht, wenn es weder uns noch anderen Freude bringt; wir vermögen mit unserem Habe Gutes zu vollbringen. Dazu mach du uns bereit.

Guter Gott, am heutigen Tag der Volkstrauer gedenken wir all der Menschen, die Opfer menschlicher Gewalt wie Krieg und Terror wurden, Opfer auch von Gewaltverbrechen und von Gewalt in Familien. Für die Täter bitten wir, dass sie friedliche Wege zur Lösung von Konflikten finden; die Opfer lass uns Verpflichtung zum Frieden sein.

Mögliche Gesänge: 450, 1 – 5; 666, 1 – 4; 414, 1 – 4; 419, 1 - 5



Paul Kluge
Leer
E-Mail: Paul-Kluge@t-online.de

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