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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 22.11.2017

Predigt zu Matthäus 12:33-37, verfasst von Manfred Wussow

Nehmt an, ein Baum ist gut, so wird auch seine Frucht gut sein; oder nehmt an, ein Baum ist faul, so wird auch seine Frucht faul sein. Denn an der Frucht erkennt man den Baum.

 

Ihr Otterngezücht, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid?

Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus seinem guten Schatz; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz.

 

Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie reden.

Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.

 

 

Predigt

 

 

Wes das Herz voll ist …

 

Das hat Martin Luther doch toll übersetzt: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über! Dabei ist das nur ein altes Sprichwort, das Luther aufgreift und, genial wie er war, in seine Übersetzung einführt. Aha-Effekt von Anfang an. Das kennen wir doch! Wir sehen einen Mund sprudeln. Er will gar nicht mehr aufhören. Er schöpft aus dem Vollen. So schnell kommen wir kaum mit. Ohne Punkt und ohne Komma.

 

Ein Kind kommt von der Schule nach Hause. Noch vor dem Essen muss es alles los werden, was es vorhin erlebt hat. So viel! Los werden ist dabei ein schönes Wort. Es meint abgeben, es meint aber auch, frei werden. Das Herz ist wie ein Gefäß, das nicht unbegrenzt gefüllt werden kann. Es kann sogar platzen. Der Mund mag dann wie ein Ventil sein. Und dann ist alles gut.

 

In der Klinik sprudelt ein Patient. Eigentlich unerwartet. Auf einmal kommt alles heraus. Wie aus einer anderen Welt. Die vielen Erniedrigungen und Enttäuschungen kommen ans Licht, müssen ans Licht. Geschichte reiht sich an Geschichte, Gesicht an Gesicht. Ich komme am Ende nicht mehr mit. Der rote Faden verliert sich. Aber im Gewühl der Worte findet ein Mensch Klarheit. Für sich. Ich schweige zunächst. Dann muss ich meine eigenen Worte suchen.

 

Auf einer Parteiveranstaltung geifert ein Redner. Er wird sich heute nicht um Kopf und Kragen reden. Zu viele werden seine Meinungen teilen. Er weiß das. Aus Untiefen werden Ängste geschürt. Aus Untiefen kommt der Hass. Gegen die Fremden, gegen die „da oben“, gegen die Lügenpresse. Gegen. Immer nur gegen. Es muss ja mal gesagt werden dürfen … Doch was hat der Redner in seinem Herzen? Außer – Angst und Hass?

 

Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über! Doch was er sagt und wie er es tut, legt das Herz offen. Das Innere eines Menschen tut sich auf. Die Fassade erlaubt tiefe Durchblicke. Das volle Herz! Es ist nicht ausgemacht, ob die Freude so groß ist, dass das Herz zu platzen droht – oder der Hass. Ob sich Menschen mitfreuen können – oder von Propaganda zugedeckt werden. Ob Liebe leuchtet – oder sich Abgründe auftun. Was ist, wenn sich ein Mund im Herzen verliert? Was ist, wenn sich ein Mund verrät?

Jesus sagt: „Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus seinem guten Schatz; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz.“

 

 

Schätze

 

Schätze haben mich immer schon gereizt und fasziniert. Domschätze. Schatzfunde. Schatzkammern.

Kleinodien in Silber und Gold. Alte Bücher. Dokumente. Gemälde. Statuen. Eine längst vergangene Welt wird verhalten beleuchtet. Und kunstvoll inszeniert. Vor manchem Schatz stehen die Leute Schlange. Schon vor Beginn werden Ausstellungen zu Wunderwerken stilisiert. Was mag ein guter Schatz sein? Der Schatz mit der ungeheuren, fast schon astronomischen Versicherungssumme? – Einen bösen Schatz kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Vielleicht ein Depot von Schwertern, Granaten und Bomben? Wenn ich nur wüsste, einen Schatz gut, einen anderen böse zu nennen.

 

Jesus spricht unbefangen von Schätzen. Er kann sie auch wie selbstverständlich „gut“ und „böse“ nennen. Er meint die Herzen! Herzen als Schätze, Schätze als Herzen. Eine gewisse Plausibilität hat das auch, von guten und bösen Herzen zu sprechen – oder, wie Jesus es auch macht, von guten Bäumen und schlechten, von guten Früchten und schlechten.

 

Dass aus einem guten Herzen gute Worte kommen, aus einem bösen Herzen böse Worte kommen, leuchtet sogar ein. Wenn wir im Bild bleiben, sprudelt ein gutes Herz Gutes, ein böses Herz Böses. Wie Springbrunnen, wie Quellen eben. Doch dann fange ich zu grübeln an. Wie ist ein Herz gut – oder böse? Wie wird ein Herz gut – oder böse? Und lässt sich das immer so sauber trennen, wie es den Anschein hat? Ist ein gutes Herz manchmal nicht auch böse, ein böses Herz manchmal auch gut?

Theoretisch sind die Fragen nicht. Habe ich ein gutes Herz? Ein böses? An dieser Frage könnte ich zerbrechen. Wenn nicht die Schätze wären!

 

Schätze werden immer gesammelt und dann geordnet. Ein Katalog muss nicht sein. Aber die ausgestellten Schätze sollen wenigstens zusammenpassen. Vielleicht können sie miteinander reden? Solche Schätze habe ich auch schon gesehen. Es macht Spaß, ihnen zu lauschen. Einfach machen sie es mir nicht. Ich muss selber schauen. Selber hören. Selber reden.

 

Als Menschen sammeln wir gute Erfahrungen, die wir mit uns und anderen Menschen machen. Das Vertrauen, das uns entgegengebracht wird, vergrößert und vermehrt unser Ur-Vertrauen. Liebe, die wir empfangen, verleiht uns Flügel. Und Liebe, die wir schenken, verwandelt die Welt. Objektiv ist nichts, was uns begegnet.

 

Als Menschen sammeln wir schlechte Erfahrungen, die wir nicht schön reden können. Vertrauen wird zu Misstrauen. Wir fühlen uns nicht angenommen. Wir messen uns und werden dann ganz klein. Unsere Schwäche müssen wir in Stärke verwandeln. Mal spielen wir die Opfer, mal die Maulhelden, mal die Verlorenen, mal die Herren. Den Zwiespalt merken wir nicht einmal. Wir könnten ihn auch nie zugeben. Subjektiv ist alles, was uns begegnet.

 

Was bringen wir hervor aus unserem Schatz? Gutes? Böses? Beides? Von Fall zu Fall, von Gelegenheit zu Gelegenheit? Selbst das Gute kann, Gott sei es geklagt, vergiftet sein.

Die Welt können wir schon am Morgen kalt und unbarmherzig nennen, ihr aber noch vor Abend Wärme und Barmherzigkeit schenken. Wir werden sie dann auch mit neuen Augen sehen lernen!

 

Spätestens jetzt muss es sein: Wir sammeln als Menschen zwar unterschiedliche Erfahrungen und ziehen unsere Schlüsse daraus, aber die Verheißung Gottes ist, dass er der gute Schatz ist. Unser bestes Teil, nennt Paul Gerhardt ihn. Er schenkt uns das Herz, das offen ist für ihn. Er schenkt uns das Herz, in dem er wohnt. Er schenkt uns das Herz, das lieben kann. Dann sind wir nicht nur Produkte wahlweise guter oder böser Erfahrungen, nicht nur Produkte unserer Ängste oder Allmachtsphantasien, nicht nur Produkte unserer Träume und Albträume – wir sind Geschöpfe Gottes. Sein Ebenbild. Seine Kinder.

Jetzt können wir noch einmal ganz neu darüber reden, was für Schätze wir sind!

 

 

Alte Weisheit

 

Die Jesus-Worte, die Matthäus überliefert, sind denkbar einfach und klar. Sie können auf jahrhundertealte Lebenserfahrungen zurückschauen und bewährtes Wissen aufbewahren. Für jede Generation. Kluge Leute haben darum die vielen weisheitlichen Traditionen des Alten Israel als Autoritäten herangezogen. Tust du das Gute, geht es dir gut – tust du das Schlechte, ergeht es dir schlecht. Aber so einfach und klar kenne ich die Welt nicht, in der ich lebe – und die ich liebe. Und selbst im alten Israel ist dieses Denken in eine schwere Krise geraten. Warum denn geht es den Guten oft so schlecht – und den Bösen so gut? Menschen, die über die Ungerechtigkeiten in ihrem Leben und ihren Lebensumwelten stolpern, stimmen Klagelieder an. Viele von ihnen begegnen uns in den Psalmen. Gott wird angerufen und herausgefordert, die Weltordnung wieder herzustellen. Du, Gott, stehst doch treu zu deinem Wort – hast du gesagt. Lass mich doch nicht ins Leere gehen! Enttäusche mich nicht! Bewahre mich davor, zum Gespött zu werden! Ein Drängen liegt in diesen Stimmen. So kann es doch nicht weitergehen! Gott, mach dich nicht lächerlich!

 

Heute, am Buß- und Bettag, bekommen wir Gelegenheit, über unsere Worte und Herzen nachzudenken. Auch über die Worte, die sich über uns ergießen. Auch über die Herzen, die sich auftun. So oder so.

Wir werden jeden Tag von Worten eingedeckt oder auch zugeschüttet. Manchmal sind wir wie Lawinen oder Dampfwalzen. Wir wollen Deutungshoheit, vielleicht auch einfach das letzte Wort. Unbewusst ist das Wort längst auch im Kreis der Gutmenschen die letzte Waffe geworden, die wir noch einsetzen können. Wir reden … und wir reden. Die Welt ist voller Worte. Aber sie haben ein Eigenleben bekommen. Sie können Schatten werfen, tarnen sich aber als Licht. Sie kommen als Licht daher, aber uns wird schwarz vor Augen.

 

In der 62. These, die Luther im Ablassstreit 1517 formulierte, heißt es: Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes.

 

 

Buß-und Bettag

 

Durch das „Reichsgesetz über die Feiertage“ vom 27. Februar 1934 wurde der Buß- und Bettag gesetzlicher Feiertag im gesamten Deutschen Reich. 60 Jahre später, 1994, wurde beschlossen, den Buß- und Bettag als arbeitsfreien Tag - mit Ausnahme des Bundeslandes Sachsen - mit Wirkung ab 1995 zu streichen, um die Mehrbelastung für die Arbeitgeber durch die Beiträge zur neu eingeführten Pflegeversicherung durch Mehrarbeit der Arbeitnehmer auszugleichen. Der Buß- und Bettag wurde der Pflegeversicherung geopfert. Die inzwischen verstummten Versuche, den Tag doch noch zu retten, brachten schon keine Mehrheiten mehr. So richtig geliebt war der Tag allerdings von Anfang an nicht. Als arbeitsfreier Tag konnte er lange Zeit aber ein Bonbon sein.

 

Heute steht der Buß- und Bettag immer noch im Kalender. Wie eine Erinnerung. Ein Merkposten.

Wir brauchen den Tag, um über uns in einem Gottesdienst nachzudenken, Gott um Erbarmen zu bitten und unsere Mitmenschen, unsere Brüder und Schwestern, um Verzeihung. Heute sind es, wenn wir dem Evangelium folgen, unsere Worte, die auf eine Waage gelegt werden. Ob sie zu leicht befunden werden? Zu schwer?

 

Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

Ich möchte die Gnade Gottes rühmen, seine Liebe bekennen.

Ich möchte allen Hass überwinden.

Über die dunklen Stellen in meinem Herzen möchte ich reden.

Mit ihm, der Licht und Leben ist.

Enttäuschungen, Bitterkeit und Angst aber will ich bei ihm ablegen.

Herr, erbarme dich.

 

Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre unsere Herzen und Sinne

in Christus Jesus,

unserem Herrn.



Manfred Wussow
Aachen
E-Mail: M.Wussow@gmx.de

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