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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Totensonntag / Ewigkeitssonntag, 26.11.2017

Predigt zu Matthäus 25:31-46(dänische Perikopenordnung), verfasst von Elof Westergaard

Das Kirchenjahr schließt mit einem Blick in die Zukunft und einem Ruf an uns, jetzt und hier verantwortungsvoll zu leben, das Rechte zu tun und einen Blick für einander zu haben. Die Verkündigung Jesu bezieht sich somit sowohl auf eine Zukunft, wo wir uns vor Gott verantworten müssen, als auch ein Jetzt, wo wir aufmerksam sein sollen und für einander Verantwortung tragen.

Wenn Jesus das Weltgericht ankündigt und schildert, wie der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit um zu richten, zu segnen und zu verdammen, die Schafe von den Böcken trennt, dann zeichnet Jesus nicht nur ein kraftvolles und dramatisches Bild von einer ungewissen und gerichtsschwangeren Zukunft. Er fordert uns auch indirekt auf, die Verantwortung für unseren Nächsten wahrzunehmen.

Wer sind die, die der Menschensohn segnet, und wer sind die, die einem himmlischen Licht entgegengehen? Welche Kriterien legt der Menschensohn seinem Urteil zugrunde?

   Die Gesegneten sind die, sagt Jesus, die ihm zu trinken gaben, als er durstig war, Essen, als er hungrig war, Kleider, als er nackt dastand, und es sind die , die sich seiner annahmen, als er in Not war.

   Und die Verdammten sind die, die dem Nackten nicht halfen und den Fremden nicht aufnahmen.

   Das Gericht bezieht sich also, ja verhält sich zu dem Leben, das wir miteinander leben.

 

*

 

Das Bedenkenswerte an der Rede Jesu vom Weltgericht ist freilich, dass sowohl die, die gesegnet werden, als auch die, die verdammt werden, den Menschensohn fragen: „Wann sahen wir dich als einen Fremden und nahmen dich auf? Wann sahen wir dich krank?“

   Weder die Gesegneten noch die Verdammten haben ihn also vorher gesehen oder entdeckt. Er muss sowohl zu den Schafen wie den Böcken, den Gesegneten wie den Verdammten sagen: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“. „Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan“.

   Es ist ganz aufschlussreich, wie blind wir alle sind. Weder die einen noch die anderen können den Menschensohn sehen, und damit sehen, wie wir Menschen im Bilde Gottes geschaffen sind, wie wir in unserer Schwachheit zusammengehören und auch einander verpflichtet sind.

   Sind es unsere harten oder ängstlichen Herzen, die uns blind machen?

   Sind es die Geschäftigkeit, die Eile und das tempovolle Leben, die die Bewegungen unseres Körpers diktieren, und das ruhelose Flackern unserer Augen, die bewirken, wenn wir unsere Hände den Schwachen reichen, dass wir den nicht wahrnehmen, dem wir helfen?

   Oder ist der Grund, dass wir so in uns selbst verliebt sind und dem Nutzen unserer eigenen Taten, dass andere Menschen für uns nur Schatten sind?

   Oder ist es Mutlosigkeit, die unsere Hilfskräfte schwächt und uns so unfähig macht, unsere Umwelt wahrzunehmen?

   Ich weiß es nicht, aber es ist aufschlussreich, dass alle in der Verkündigung Jesu vom Weltgericht, sowohl die Gesegneten als auch die Verdammten, nicht sehen können, wo sie dem Menschensohn schon begegnet sind.

Gleichzeitig ist es dann eben diese Blindheit, die mir einen gewissen Trost gibt. Denn so entlarvend es ist, dass wir den Menschensohn und damit die Spuren Gottes in der Welt nicht sehen können, so befreiend ist es zu wissen, dass wir also nicht selbst sehen und beurteilen können, wann wir genug getan haben, um im Gericht zu den Gesegneten gehören zu können.

   Wenn ich mir die Zukunft und die Kriterien für das Gericht Gottes ausrechnen könnte, dann würde ich ja vollkommen wissen, was nötig ist, um auf der Seite der Schafe zu stehen. Und ich könnte ganz ruhig daran arbeiten, zu den Gesegneten zu gehören, ein Schaf zu werden, und ich könnte vielleicht sogar selbst ein wenig dazu mithelfen, die Pforte in das Reich Gottes aufsuchen. Aber die Verkündigung Jesu vom Weltgericht macht deutlich, dass wir das nicht können. Weder der Gesegnete noch der Verdammte kann sehen, was im Gericht den Ausschlag gibt. Es sind nicht unsere Urteile, die gelten, wenn es gilt. Gott ist der Richter, und wir sollen im Vertrauen und in der Hoffnung darauf leben, dass er ein gnädiger Richter ist.

 

*

 

Gott ist Richter über die Lebende und die Toten, so beginnt ein neueres dänisches Kirchenlied. Das ist wahr, denn das Gericht findet nicht nur am Jüngsten Tage statt. Das Gericht ist die ganze Woche über uns.

   Das Gericht steht nicht über uns wie ein Atompilz im Himmel oder eine angstvolle Drohung von kommendem Terror und Krieg. Und das Gericht ist auch nicht nur eine tägliche Entlarvung unserer Herzlosigkeit und unseres Dranges zur Selbstdestruktion.

   Das Gericht Gottes folgt uns jeden einzigen Tag, und es erinnert und vor allem daran, wer wir sind, und was wir sollen. Das letztere sagt Jesus ganz klar und deutlich: Wir sollen den Menschensohn sehen, und wir sollen ihn in dem Geringsten sehen, in ihm oder ihr, die unsere Hilfe brauchen.

   Unser eigenes Leben ist schwach, und unsere Motive zu handeln, wie wir es tun, sind oft zweideutig. Aber trotz aller unserer Mängel ist im Gericht ein Ruf an uns, der einfach und klar ist: Lebe dein Leben, habe ein Auge für deinen Nächsten, den Menschensohn in der Welt. Amen.

 



Bischof Elof Westergaard
DK-6760 Ribe
E-Mail: eve(at)km.dk

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