Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Totensonntag / Ewigkeitssonntag, 26.11.2017

„Macht Glaube klug?“
Predigt zu Matthäus 25:1-13, verfasst von Dietz Lange

Liebe Gemeinde!

„Macht Glaube klug?“ Diese Frage habe ich meiner Predigt als Überschrift gegeben. „Selten dumme Frage“, mag der eine oder die andere gedacht haben: „Natürlich nicht!“ Eine solche Antwort muss nicht durch die pseudowissenschaftliche Auffassung motiviert sein, alle Religion diene nur der Volksverdummung. Auch gläubige Menschen antworten manchmal so, in der Meinung, ihr Glaube sei tatsächlich komplett irrational und müsse den Widerspruch zum wissenschaftlichen Wahrheitsbewusstsein und zur Weltklugheit einfach ertragen. Wieder andere Leute behaupten, man könne ganz im Gegenteil schlüssig nachweisen, dass religiöser Glaube die einzig vernünftige Lösung der Welträtsel zu bieten habe. Das Gleichnis, das der Predigt zugrunde liegt, schließt sich keiner dieser Antworten an. Wenn Sie neugierig geworden sind, dann hören Sie sich jetzt das biblische Gleichnis an, über das wir heute nachdenken wollen.                     (Verlesung des Textes).

Bevor wir sagen können, was denn die Klugheit und was die Dummheit der jungen Frauen ausmacht, müssen wir uns erst diese Szene bildhaft vor Augen führen. Denn die Ausleger haben lange an ihr herumgerätselt, ja manchmal sogar gemeint, das sei eine von vorne bis hinten unmögliche Geschichte. Erst die neuere Forschung hat, wie ich meine, eine wirklich einleuchtende Lösung gefunden.

Beschrieben wird eine orientalische Dorfhochzeit. Da holt zunächst der Bräutigam seine Braut aus deren Elternhaus ab und führt sie zu sich nach Hause. Das tut er nicht alleine, sondern die Gäste aus dem Brauthaus ziehen mit. Dazu gehören die zehn jungen Frauen, die vielleicht die Freundinnen der Braut sind. Sie warten zusammen mit der Braut im Haus. Aber der Bräutigam verspätet sich. Warum, erfahren wir nicht; deutsche Bemerkungen über orientalische Unpünktlichkeit sind jedenfalls unangebracht. Es wird Nacht. Die zehn jungen Frauen werden müde und schlafen ein. Da ertönt plötzlich der Ruf, der Bräutigam sei endlich angelangt. Die Frauen machen ihre Fackeln zurecht, die sie für den hinterher vorgesehenen Fackeltanz auf dem Dorfanger mitgebracht haben. Die Fackeln sind lange Stangen, an denen oben ein Gefäß mit Lappen angebracht wird. Die müssen mit Öl getränkt werden, das dann angezündet wird. Fünf von den Frauen haben Öl dabei, den anderen fünf fällt jetzt erst ein, dass sie versäumt haben welches zu kaufen. Ihre Bitte an die anderen, ihnen etwas abzugeben, wird abgelehnt. Während sie sich auf den Weg zum Dorfladen machen, setzt sich der Hochzeitszug in Bewegung. Als diese Gäste im Haus des Bräutigams angekommen sind, schließt dieser hinter ihnen die Tür ab. Viel später kommen die anderen Fünf an die Pforte und begehren Einlass. Doch der Bräutigam weist sie brüsk ab: „Ich kenne euch nicht.“

Ich denke, diese kurze Nacherzählung ergibt einen geschlossenen Zusammenhang. Aber einige Züge darin zeigen, dass diese Hochzeit nicht so ist wie alle anderen. Das ist einmal die verschlossene Tür. Normalerweise bleibt auf so einer Feier die Tür offen, denn das ganze Dorf beteiligt sich daran, gerne auch noch die später Kommenden. Die zweite Merkwürdigkeit besteht darin, dass die Säumigen den Bräutigam mit „Herr, Herr“ anreden, und dass dieser behauptet, sie gar nicht zu kennen.

Damit wird die Erzählung transparent für einen tieferen Sinn. Er besteht in zweierlei Zum einen: Der „Herr“, also der Bräutigam, steht für Gott selbst, und die Hochzeit bedeutet, wie auch sonst öfters in der Bibel, die Vereinigung mit Gott in der Ewigkeit. Zum anderen: Das Freudenfest bekommt durch die Abweisung der fünf törichten jungen Frauen eine dunkle Kehrseite: Es wird zugleich zum Gericht über ein unangemessenes Verhalten. Die törichten Fünf werden für immer in die Kälte der Gottferne abgeschoben. Jetzt lässt sich auch die merkwürdige Verspätung des Bräutigams erklären. Die älteste christliche Gemeinde lebte in der Erwartung, dass die Welt ganz bald untergehen würde und dass dann Christus zurückkehren sollte, um seine Gläubigen zu Gott einzuholen. Dann verzögerte sich das aber – daher die Ermahnung am Schluss, wach zu bleiben, nicht nachzulassen in der Hoffnung,.

Wenn wir das so hören, liebe Gemeinde, dann stellt sich bei uns wohl ein Gefühl tiefer Fremdheit ein. Mehr noch: die Verstoßung der fünf jungen Frauen am Ende hat für uns etwas Erschreckendes. Sie passt so gar nicht zu der freundlichen und friedlichen Stimmung, die viele Christen heute mit ihrem Glauben verbinden. Ist denn Christus nicht gekommen, um am Ende die große, ungetrübte Harmonie zu stiften? Und was die Erwartung eines baldigen Weltendes angeht, so scheint das heute eher ein Thema für irgendwelche Sekten zu sein. Zwar sehen wir Heutigen klar die Möglichkeit einer ökologischen Katastrophe vor uns, aber einstweilen doch noch in einiger Entfernung von uns, und mit einer Wiederkunft Christi verbinden wir sie eher nicht.

Unsere Vorstellungswelt ist sehr anders geworden als damals, keine Frage. Und doch steckt in diesem Gleichnis etwas, das uns über all die geschichtlichen Veränderungen hinweg auch heute unmittelbar betrifft. Fangen wir mit der Vorstellung vom Ende der Welt und der Wiederkunft Christi an. Dass dies zeitlich nahe bevorstehe, sticht uns beim Betrachten der Geschichte besonders ins Auge. Die Menschen haben sich das damals tatsächlich so vorgestellt, Jesus selbst übrigens auch – und doch ist die zeitliche Nähe nicht das eigentlich Wichtige daran. Es geht vorrangig darum, dass Gott selbst uns in der Rede Jesu unausweichlich auf den Leib rückt, dass er uns näher rückt als wir uns selbst sind. Das kommt spätestens am Ende unseres Lebens heraus, das für unser Erleben gleichbedeutend ist mit dem Ende der Welt.

Es kann sein, dass wir die Nähe Gottes lange Zeit hindurch gewissermaßen verschlafen. Kaum jemand von uns wird so intensiv leben, dass er oder sie der Gegenwart Gottes von morgens bis abends in jedem Moment mit allen Fasern des Daseins gewärtig ist. Das gilt erst recht von jedem Gedanken an den eigenen Tod. Eher leben wir so, als ob alles immer so weitergehen würde. Das trifft sogar auf uns Ältere zu. Der amerikanische Senator John McKain, der eine Operation an einem sehr aggressiven Hirntumor hinter sich hat, sagte neulich in einem Interview mit dem ihm eigenen Humor: „Ich weiß zwar, dass die Sterberate unter den Menschen 100% beträgt, aber ich habe immer gedacht, ich könnte doch eine Ausnahme sein.“ Er ist schon über 80!

Mit der Ermahnung zum Wachsein meint Jesus nicht eine ununterbrochene, ängstliche innere Anspannung, und erst recht nicht, dass die Gottesgewissheit jederzeit neurophysiologisch nachweisbar sein müsste. Die jungen Frauen im Gleichnis dürfen schlafen, und zwar alle. Und doch besteht ein entscheidender Unterschied zwischen ihnen: Die einen sind klug, weil sie an das Öl gedacht haben, die anderen dumm. Diese Klugheit ist tatsächlich nichts anderes als Glaube. Vielleicht kommt Ihnen das sonderbar vor. Aber Glaube ist etwas anderes als theologische Kompetenz. Die kann zwar nicht schaden, schon gar nicht in einem kirchlichen Examen. Aber Glaube ist kein intellektueller Akt, sondern eine innere Einstellung im Verhältnis zu Gott, die sich am besten mit Zutrauen und Sinn für das, was wichtig ist, beschreiben lässt. Diese innere Einstellung könnte man als von Gott geprägte Lebensklugheit bezeichnen. Sie steht keineswegs, das sollte in einem Universitätsgottesdienst auch gesagt werden, im Widerspruch zu der intellektuellen Klugheit eines Wissenschaftlers. Sie verleiht dieser vielmehr die Qualität des Respekts vor der Wahrheit.

Die Lebensklugheit des Glaubens kommt nicht in jedem Augenblick als Gedanke oder als ausgesprochenes Wort zum Ausdruck. Aber sie bestimmt aus dem Hinterkopf heraus, wenn ich so sagen darf, all unser Denken und Handeln. Genau das ist die Haltung der klugen jungen Frauen im Gleichnis. Sie sind gewissermaßen latent ständig der Gegenwart Gottes gewärtig. Es bleibt freilich nicht immer bei dieser Latenz. Es gibt in jedem Leben Entscheidungssituationen, in denen plötzlich der Gesamtsinn meines Lebens auf dem Spiel steht. Da gilt es, entweder offen zu seinem Glauben zu stehen oder den Mund zu halten, entweder einem bedrohten Menschen nach Kräften beizustehen oder ihn im Stich zu lassen. Ein gläubiger Mensch wird so eine Situation jedenfalls im Nachhinein als eine wirkliche Begegnung mit Gott verstehen.

Es bleibt noch die Frage, wie es mit den fünf dummen jungen Frauen weitergeht. Die meisten von uns werden wohl ehrlicherweise zugeben, dass sie ihnen manchmal viel ähnlicher sind als den Klugen. Meine Antwort darauf ist: Das abrupte Ende des Gleichnisses ist als Warnung gemeint, dass Gott nicht Hoppereiter mit sich spielen lässt. Diesen letzten Ernst aus dem Glauben entweichen zu lassen wie das Gas aus einem Ballon ist tödlich. Das schließt aber nicht aus, dass Gott auf ein ehrliches Gebet schließlich doch hört. Daran halten wir uns als Christen letzten Endes alle.

 

                                                                                                            Amen.



Prof. em. Dr. Dietz Lange
Göttingen
E-Mail: dietzclange@online.de

(zurück zum Seitenanfang)