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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 17.12.2017

Adventliche Aufgaben
Predigt zu Römer 15:4-13, verfasst von Stefan Knobloch

Die heutigen Gesellschaftsfragen des Klimawandels, der Migration, sozialer Gerechtigkeit, der Digitalisierung und andere Fragen stehen an Heftigkeit wohl kaum jener Auseinandersetzung nach, der sich die ersten Christen der Gemeinde Roms ausgesetzt sahen. Bei ihnen ging es damals um eine rituell-kultische Streitfrage, die in unserem Abschnitt aus dem Römerbrief zwar im Hintergrund bleibt, auf die sich aber die Ermahnung des Paulus zu Geduld und Ausdauer bezog. In Rom war eine Gemeinde entstanden, die sich aus zu Christen gewordenen Juden und aus konvertierten „Heiden“ gebildet hatte. Bei dieser Konstellation brach die Streitfrage aus – für uns heute vielleicht nur schwer nachvollziehbar -, ob man als Christ Götzenopferfleisch oder, wie konvertierte Juden empfanden, unreines Fleisch essen durfte. Eine Frage, die damals bis in den konkreten Alltag hereinspielte, bis dahin, was bei den Leuten auf den Tisch kam.

 

Die heute diskutierte Migrationsproblematik

Vor diesem Hintergrundproblem holt Paulus in der heutigen Lesung zu einer Argumentation aus, die     weit über die ursprüngliche Frage hinausreicht, nämlich wie man sich als Christ gegenüber der nichtchristlichen Welt, gegenüber – wie Paulus in seinem damaligen Kontext sagt – „Heiden“  und Andersgläubigen verhalten soll. Diese Frage weist gewisse Parallelen zu unserer heutigen Frage des Umgangs mit Flüchtlingen aus Ländern mit anderen Kulturen und anderer Religion auf.

 

Können uns in unserer heutigen Problematik die Ausführungen des Paulus hilfreich sein? Kann er uns für heute verwertbare Einsichten liefern? Sicher nicht das gesamte Paket betreffend, aber vielleicht einige Aspekte betreffend.

 

Ein Eingeständnis müssen wir wohl dabei vorausschicken: Die Selbstverständlichkeit, mit der Paulus mit der Heiligen Schrift umgeht (das bedeutet bei ihm, mit dem Alten Testament), ist uns nicht zu Eigen. Er leitet aus ihr Trost- und Durchhalteappelle ab, die ihre Begründung letztlich in Gott haben. Gott ist für Paulus das Fundament, der Wurzelgrund allen Durchhaltens, allen Trostes. Nicht aus uns, aus Gott kann die Hoffnung erwachsen, in der wir uns den Fragen des Lebens, den Fragen der Zeit stellen.

 

Gottes Erbarmen wölbt sich über alle

Paulus hat dabei seine Zeit vor Augen. Im Auseinanderdriften der beiden Gruppen der römischen Gemeinde ruft Paulus beide Seiten auf, einander anzunehmen, wie Christus sie angenommen habe. Dabei trifft Paulus eine überraschende Feststellung. Einerseits habe sich Christus der Beschnittenen, das heißt der Angehörigen des auserwählten Volkes, angenommen, indem er sie zur Erfahrung führte, dass sich in Christus die Verheißungen erfüllt hatten, die ihnen durch die Propheten gegeben worden waren. Auf der anderen Seite haben nach Paulus durch Christus auch die anderen Völker gelernt, Gott für das ihnen erwiesene Erbarmen zu rühmen und zu preisen, egal ob es sich um Heidenvölker, um Ungläubige oder um welche auch immer religiös suchende Kulturen und Zivilisationen handelt. Paulus hebt zwischen Christen und Heiden keinen unüberbrückbaren Graben aus. Er sieht sie alle unter dem Schirm des Erbarmens Gottes versammelt. Psalm 18 preise Gott mitten unter den Völkern. Andere Stellen im Alten Testament sprechen davon, dass sich die Heidenvölker am Gottesvolk erfreuen. Sie lobten den Herrn. Und der Spross aus der Wurzel Isais werde auch über die Heidenvölker herrschen, und sie würden ihre Hoffnung auf den Herrn setzen.

 

Blicken wir von da aus auf unsere heutige Situation: Unsere durch die Migrationsbewegung ausgelösten Gesellschaftsprobleme werden gewiss nicht unter religiöser Perspektive verhandelt. Sie unterscheiden sich von der Situation der ersten Christen Roms. Andererseits muss man zugeben, dass an der Willkommenskultur des Jahres 2015 auch christliche Motive erkennbar wurden, wie zum Beispiel das Motiv der Nächstenliebe. Die Willkommenskultur brachte unserem Land eine breitgestreute Anerkennung. Was Bund, Länder, Gemeinden und private Initiativen leisteten, war in der Tat beachtlich. Mit der Zeit freilich nahmen die gesellschaftlichen Sorgenfalten zu. Die Erfahrung der Überfremdung durch das Fremde und durch die Fremden schien für manche die eigene Identität in Frage zu stellen.

 

Gottes Offenbarung in allen Religionen

Was ist angesichts diese Lage unsere Aufgabe? Es scheint notwendig zu sein, heute, wie Paulus, nicht auf das Trennende, sondern auf das Verbindende und Gemeinsame zu setzen. Aus christlicher Sicht gründet diese Haltung in der Überzeugung, dass Gott sich nicht nur mit dem Christlichen, mit dem Christentum, sondern mit allen Religionen der Welt verbunden hat und verbunden ist. Im Bereich der katholischen Kirche hat das Zweite Vatikanische Konzil hier erste entsprechende Denkansätze gewagt, die heute soweit gediehen sind, dass man nicht zögert, von der Gegenwart der göttlichen Offenbarung in allen Religionen zu sprechen.

 

Wir sollten fähiger werden, gelassener und vertrauensvoller mit den Menschen anderer Kulturen, anderer Religionen umzugehen, die aufgrund lebensbedrohlicher Notlagen in ihren Ländern zu uns gekommen sind und kommen. Sie treffen diese Entscheidung nicht aus Jux und Tollerei. Und es wäre gänzlich unangemessen, angesichts der derzeitigen Entwicklung das Menetekel des Untergangs des christlichen Abendlands an die Wand zu malen. Und was das vielfach überschätzte Gefahrenpotenzial in unserem Land für Recht und Ordnung betrifft, tun unsere Sicherheitsorgane das Ihre, um Sicherheit und Ordnung aufrechtzuhalten. Wichtiger ist es, die Menschen, die zu uns kommen, als Menschen mit ihrer Geschichte und Kultur anzunehmen, sie in ihrer Individualität und Andersartigkeit wertzuschätzen. Für sie sind im Übrigen auch wir umgekehrt Andersartige. Sie kommen zu uns, weil sie vor Krieg, vor Zerstörung, vor Gewalt, vor unzumutbaren Lebensbedingungen fliehen. Sie fliehen aus Staaten, deren Infrastruktur zerstört ist. Aber auch die, die zu uns kommen, weil auf dem Weltmarkt die Verdienstrelationen zwischen den einzelnen Arbeitsmärkten völlig aus dem Lot geraten sind, auch die sollten wir zunächst aufnehmen, auch wenn sie nach unserer Rechtslage kein Bleiberecht zugesprochen bekommen. Es ist eine traurige Wirklichkeit, dass, wer männlich, schwarz und schlecht gebildet ist, in vielen Ländern der Erde schnell auf der Straße landet.

 

Ein interreligiöses Problem als adventliche Aufgabe

Das alles entpuppt sich als ein komplexes Bündel aus individuellen, gesellschaftlichen und interreligiösen Problemen. Wir dürfen uns hier nicht hinter einer Wagenburg des „christlichen Abendlands“ verschanzen. Eine Formel, die manche aufgrund ihrer Angst vor Überfremdung für sich in unseren Tagen wieder entdeckt haben. In der Begegnung mit Menschen anderer Religion und anderer religiöser Praxis ist unsere Offenheit gefragt, gerade auch dann, wenn wir meinen, selbst kaum noch aus religiösen Bezügen zu leben. Dabei kann es sein, dass wir in der Begegnung mit Menschen anderer religiöser Prägung und Traditionen an uns die Entdeckung machen, dass wir selbst (als säkulare Menschen) eine Reihe verdeckter und versteckter religiöser Bezüge mit uns herumtragen, bis in die Gestaltung unseres Alltags hinein.

 

In Summe ist hier das Aushalten, die Geduld gefragt, von der Paulus spricht. Gerade weil heute vieles in Fluss ist, was in seiner Entwicklung nicht leicht einschätzbar ist, worauf wir aber alle gestaltenden Einfluss nehmen können.

 

Paulus ermahnte die Christen in Rom, einander über Unterschiede hinweg anzunehmen, weil Gott alle Menschen angenommen hat. Uns stellt sich heute die Aufgabe, uns in unserer Gesellschaft, bis in die Gemeinden, bis in die Familien hinein, bis dahinein, wie wir über Flüchtlinge reden, um Anerkennung des Fremden, der Fremden zu bemühen. Es geht um eine Anerkennung, die das Anderssein, die Differenz des anderen anerkennt. Zur Lösung dieser Aufgabe können Zivilgesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und die Religionen gemeinsam beitragen. Es ist eine adventliche Aufgabe, bei der noch vieles zu tun ist und bei der uns Gott zur Seite steht.



Prof. em. Dr. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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