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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 17.12.2017

Predigt zu Lukas 1:67-80(dänische Perikopenordnung), verfasst von Jens Torkild Bak

Zu der Erzählung, dass Gott auf die Erde hinabstieg und in Jesus von Nazareth ein Mensch von Fleisch und Blut wurde, gehört auch der Grundriss eines Familienportraits. Jesus ist nicht allein in der Welt, Jesus hat eine Familie mit irdischen Eltern, mit Geschwistern – und mit dem fast gleichaltrigen Vetter, Johannes, dem Sohn von Elisabeth und Zacharias.

Wie ist die Beziehung zwischen den beiden Jungen, Jesus und Johannes?

Johannes mit dem Beinamen der Täufer ist eine zweideutige Gestalt. In der üblichen Erzählung über ihn wird er zu einem Vorläufer von Jesus, zwar keineswegs auf demselben Niveau wie dieser, aber doch der, der den Weg für ihn bereitet – den Weg für ihn in irgendeinem Sinne bereitet! Diesen Eindruck erhält man auch durch die Prophezeiung des stolzen Vaters Zacharias von dem Wirken des Sohnes und seiner Bestimmung im Leben, so wie wir es gerade gehört haben:

Und du, Kindlein, wirst Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes.

Aber eine Sache ist es, dass Johannes nicht auf gleichem Niveau ist wie Jesus. Etwas anderes ist die Frage, ob die beiden (wie das Zitat andeutet) auf demselben Wege sind. Will Johannes dasselbe wie Jesus? Denkt er so wie Jesus? Nein, das tut er offensichtlich nicht.

Wenn wir versuchen, uns einen umfassenden Eindruck von den beiden zu machen, dann sind es vor allem die Unterschiede, die auffallen. Sie haben beide einen Ruf, aber aus dem Ruf, den sie beide erhalten haben, ziehen sie ganz unterschiedliche Konsequenzen.

Johannes zieht sich aus der Welt zurück, aus der Zivilisation, um sein Dasein einer extremen religiösen Disziplin zu unterwerfen. Von seiner Position außerhalb der Zivilisation kritisiert Johannes die Hohlheit der herrschenden Kultur und die sittliche Verkommenheit der Herrschenden. Das wird ihm schließlich das Leben kosten, aber lassen wir das einmal zunächst auf sich beruhen. Es ist möglich, dass er auch etwas Nettes zusagen hat über die Vergebung der Sünden und die Barmherzigkeit Gottes, aber das ist ganz offensichtlich nicht das Entscheidende. Was er von Menschen verlangt, die draußen in der Wüste zu ihm kommen, um ihn zu hören, ist Umkehr, wenn sie sich Hoffnung machen wollen, dem bevorstehenden Zorngericht Gottes über die sündige Welt zu entgehen! Wohlgemerkt nicht eine Umkehr, die nur im Kopf stattfindet, sondern eine Änderung der ganzen Lebensführung, so dass sie tatsächlich mit dem übereinstimmt, was Gott fordert.

Jesus zieht sich nicht aus der Welt zurück. Er bleibt mitten in der Zivilisation stehen. Für ihn beginnt das Leben mit der Gnade Gottes – nicht mit dem, was ein Mensch leisten kann in Form einer religiösen Selbstdisziplinierung. Für ihn beginnt das Leben mit dem Vertrauen auf die Gnade und Liebe Gottes als die entscheidende Voraussetzung dafür, dass ein Mensch etwas mit sich und anderen anfangen kann. Ohne dieses Vertrauen gibt es überhaupt kein Leben, oder richtiger: Ohne dieses Vertrauen wird das Dasein zu einem Kampf, den der einzelne gewinnen soll, indem er durch seine Werke das Besondere, Unfehlbare, Perfekte leistet.

Damit sind wir wieder bei Johannes draußen in der Wüste – und nun schließlich bei der Frage, in welchem Sinne Johannes nun ein Vorläufer Jesu ist und ihm den Weg bahnt.

So wie die Finsternis den Weg bereitet für die Freude und das Licht, bahnt Johannes den Weg für Jesus, indem er zeigt, was geschieht, wenn die Werkgerechtigkeit konsequent gelebt wird. Die Werkgerechtigkeit endet, und das hier um buchstäblichen Sinne, in einer Wüste. Draußen. In einem unversöhnlichen Verhältnis zur Welt, zu den anderen Menschen. Die Werkgerechtigkeit kann noch so sehr das Recht und die Wahrheit auf ihrer Seite haben. Sie ist dennoch kein Leben. Das Leben beginnt damit, dass man mit sich selbst und anderen etwas zu tun hat, oder mehr theologisch formuliert: Das Leben beginnt mit dem Vertrauen auf die Liebe Gottes.

Nun werden viele vielleicht einwenden, dass Werkgerechtigkeit kein aktuelles Thema ist und schon gar nicht das Problem der Menschen von heute.

Aber es ist nun nicht so sicher, dass dies Phänomen jede Aktualität verloren hat. Die Werkgerechtigkeit scheint vielmehr in immer neuen Formen zurückzukehren. Wie der frühere Bischof von Hadersleben Niels Henrik Arendt in seinem seinem Buch mit dem Titel „Freiheit“ sagt, das er noch vor seinem Tod vor zwei Jahren schrieb. Hier schreibt er in einer Darstellung des Kerns lutherischer Auffassung vom Christentum u.a. folgendes (entschuldigen Sie das lange Zitat):

Viele Menschen sind heute der Auffassung, dass sie ihre Daseinsberechtigung durch Arbeit beweisen. Das ist in unserer ganzen Kultur angelegt: Du bist, was du tust. Aus demselben Grund stellen wir an einander höhere Forderungen und Erwartungen, bis hin zu dem Perfekten. Immer wieder müssen wir uns qualifizieren, für eine Ausbildung, einen Job, eine Beförderung – oder um das besser zu machen, was wir schon tun. Wir erliegen einem Leistungsdruck. Viele, nicht zuletzt junge Leute, reden davon, dass sie gerne „einen Unterschied machen wollen“.

Ist das [fragt Arendt] nicht in Wirklichkeit eine nichtreligiöse Form der Selbstrechtfertigung? Wir fürchten heute nicht so sehr, von Gott verworfen zu werden. Aber wir haben Angst, von Ausbildungsinstitutionen, dem Arbeitsmarkt, dem Partner verworfen zu werden – und so das Glück zu verlieren, von dem wir glauben, dass es uns erwartet. Und dann müssen wir etwas tun. Man kann sehr wohl fragen: Steht dieses Fixierung auf das, was uns unser Handeln bringt, nicht unserem Lebensglück und unserer vollen Gegenwart in dem, was wir tun, im Wege? Mit der Konsequenz, das Stress eintritt statt Arbeitsfreude, und Selbstbetrachtung statt unmittelbarer Anteilnahme und Gegenwärtigkeit im Leben mit anderen? Luther entdeckte, dass es wichtiger war zu empfangen als zu leisten. Ende des Zitats.

Es kann sehr wohl sein, dass Johannes der Täufer in Wirklichkeit gerne etwas anderes wollte, ja dass er die Verfehltheit seines eigenen Lebens einsieht (und deshalb auf Jesus hinweist als die Wahrheit und nicht auf sich). Es kann sehr wohl sein, dass er gerne etwas anderes will, aber nur seinerseits unwiderruflich gefangen ist von dem Schicksal und der Werkgerechtigkeit, die unablässig ihren Wert durch neue Leistungen erweisen muss. Ganz gleich wie sehr ihn dieses Schicksal quält, so wie es viele moderne Menschen quält, ohne dass sie jedoch von ihm loskommen.

Dann ist das, was man hoffen kann, dass da immer einer ist, der protestiert, wie zum Beispiel ein Psychologiestudent, der anlässlich der berüchtigten leistungsorientierten Studienreform in einem Leserbrief an die dänische Wochenzeitung Weekendavisen schrieb: Meine lieben Herr und Frau System! Wann haben wir uns darauf geeinigt, dass das Ziel des Lebens ein Wettlauf für das System ist? Wir handeln, als ob da ein allmächtiger Gott am Ende der Welt sitzt – bereit, die Tür zu schließen, wenn die Gesellschaft nicht schnell genug vorankommt. Ich will gerne für eine bessre Zukunft arbeiten, aber vielleicht könnten wir für dieses Ziel zusammenarbeiten, ehe wir apathisch nach vorwärts marschieren? Ende des Zitats. Das letzte klingt richtig, auch wenn ich nicht genau sagen kann, was der Student damit meint. Aber das erste klingt hier am dritten Advent nach der Peitsche und dem Gerichtsdenken von Johannes dem Täufer.

Da ist ein phantastisches Detail an der Statue, die nun von Ansgar südlich des Doms von unsrem Dom in Ribe steht – auch wenn ich mich im Übrigen persönlich nicht auf eine nähe Deutung dieses Werkes einlassen möchte. Das sind die Füße. Der Körper ist geschunden, verdreht, grob und gespalten. Er stellt ein Menschenleben dar mit allem – schonungslos.

Aber die Füße sind glatt, fein. Sie sind gleichsam direkt aus der Erzählung herausgetreten, die man im Johannesevangelium findet, von Jesus, der am letzten Abend vor der Hinrichtung die Füße der Jünger wäscht als Zeichen der Gnade und Liebe, die zu verkündigen er in die Welt gekommen ist. Das ist das Zeichen, auf dem unser Leben gründen soll, wenn es ein Leben sein soll. Das ist das Zeichen, nach dem wir unseren Weg gehen sollen. Einen frohen Sonntag. Einen frohen Advent! Amen.

 



Dompropst Jens Torkild Bak
DK-6760 Ribe
E-Mail: jtb(at)km.dk

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