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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heilig Abend - Christvesper, 24.12.2017

Predigt zu Lukas 2:1-20(dänische Perikopenordnung), verfasst von Margrethe Dahlerup Koch

Es ist nicht, weil jemand etwas verraten hat über das, was in den Paketen liegt, in die sie vielleicht nicht hineinschauen durften. Und es ist auch nicht, weil alle anwesenden Väter sich da ganz sicher sein können. Aber vielleicht sind da ja einige von ihnen, die heute Abend ein Paar Socken auspacken?

    Das ist vielleicht eines der mehr unbedeutenden Rätsel des Lebens, aber trotzdem: Warum bekommen Väter Socken zu Weihnachten? Ja, Ihr glaubt vielleicht, dass smarte Sockenproduzenten das erfunden haben, oder dass Väter auf nichts anderes kommen können, was sie sich wünschen. Aber es gibt eine andere viel spaßigere Erklärung. Väter bekommen Socken zu Weihnachten, weil ein fürsorglicher Vater am allerersten Weihnachten barfuß durch die Weihnachtstage gehen musste. Ich meine Joseph. Joseph und seine Socken. Ja, ihr kennt sicher die Geschichte nicht. Denn sie ist mit der Zeit in Vergessenheit geraten – so sehr in Vergessenheit geraten, dass die von euch, die für einen Vater Socken gekauft haben, sicher gar nicht wissen, dass das etwas mit dieser Geschichte zu tun hat. Diese Geschichte steht nicht in der Weihnahtgeschichte oder sonst wo in der Bibel. Sie hat ihr eigenes Leben gehabt, erzählt von Mund zu Mund von Menschen im ganzen Mittelalter, und zu einem Zeitpunkt ist sie an den Altar in der Kirche von Astrup gelangt in Vendsyssel im Norden Dänemarks – Ihr könnt es auf dem Bild sehen.

   Die Geschichte ist die, dass Joseph, als die Geburt in Gang ging, hinauslief, um eine Hebamme zu finden und etwas zu finden, worin er das Kind wickeln konnte. Er hat eine kleine Stalllampe mitgenommen – es ist ja mitten in der Nacht – aber er kann nichts finden, weder eine Hebamme noch Windeln. Als er in den Stall zurückkommt, ist das Kind schon geboren – und Joseph nimmt das nächste, was er hat, um das Kind zu wickeln: seine eigenen Socken. Ihr könnt es sehen auf dem Altarbild, er steht mit ihnen in der Hand. Und ihr könnt auch den Blick sehen, den Maria dem armen Mann schickt. Sie meint wohl, er hätte etwas Besseres finden können, um das neugeborene Kind zu wickeln. (Das sei zum Trost gesagt für die Männer, die immer wieder hören müssen, dass sie die Kinder falsch angezogen haben. Das haben Mütter schon immer gesagt). Aber diese alte Geschichte aus dem Mittelalter erzählt also, das es dies war, worin Jesus in der Weihnacht gewickelt wurde: Josephs Socken. Und, füge ich hinzu: Deshalb haben Kinder seit dem ihren lieben Vätern zu Weihnachten Socken geschenkt.

 

Es gibt einen Ausdruck auf Dänisch, der heißt, dass man mit dem Hut in der Hand dasteht. Das bedeutet, dass man nichts mit hat, mit dem man beitragen kann. Aber Joseph steht mit seinem Socken in der Hand, um uns das Gegenteil zu sagen: Wir brauchen nicht mit dem Hut in der Hand zu stehen. Wir haben etwas, mit dem wir kommen können. Eine Fürsorge und Liebe, die Gott braucht.

   Die meisten, die mit einem Neugeboren gestanden haben, kennen die Nervosität und die Unsicherheit, die einen ergreifen können. Wie in aller Welt soll man z.B. so ein Wesen tragen? Hebammen und andere erfahrene Leute um einen herum versichern zwar, dass so kleine Wesen also nicht so leicht kaputt gehen, aber das ist schwer zu glauben. Bis diese erfahrenen Leute gegangen sind, und man allein ist mit dem Kind. Denn dann geschieht in der Regel dies: Eine ganz neue Tatkraft ergreift einen. Man weiß, dieses Kind will man für alles in der Welt beschützen und bewahren. Die eigenen Bedürfnisse sind nicht mehr so wichtig. Dafür ist man nicht im Zweifel, dass man für das Kind wichtig ist.

  Woher kommen die neue Tatkraft und das neue Selbstverständnis? Woher kommt das Gefühl, dass man in aller seiner Unsicherheit und Verwirrtheit erwählt ist und bedeutend? Das kommt von dem Kind. Genauer gesagt vielleicht von dem Blick des Kindes. Säuglinge haben eine ganz besondere Art des Blickes. Sie sehen so direkt und intensiv, dass man dabei fast verlegen werden kann. Das Kind sieht auf einen mit Augen, die alles andere um einen herum ausschließen. Die Augen kennen einen ja nicht. Sie wissen nichts darüber, was einem leid tut, worauf man stolz ist, worüber man sich freut, was einem peinlich ist. Die Augen eines Säuglings bitten nicht um eine Erklärung oder Entschuldigung. Sie blicken einen nur an. Sehen unsere Augen und unser Gesicht. Das kleine Kind ist neu und unbekannt in der Welt, aber wenn es einen anblickt, dann ist es, als wäre ich es, der neu ist und unbekannt, und als sage das Kind: „Willkommen in der Welt, in meiner Welt“. Und der Blick, der selbstverständliche, offene und empfangene Blick des kleinen Kindes, weckt die Liebe, den Mut und die Fürsorge im Erwachsenen.

   In der Weihnacht schickte Gott uns einen solchen Blick eines kleinen Kindes. Um uns und unsere Liebe und unseren Mut zu wecken. Um uns zu sagen, dass Gott uns will uns etwas von uns will. Hier in dieser Welt, die ihm gehört.

   Und als das Kind in der Krippe erwachsen wurde, was das besondere an ihm, dass er diesen offenen und empfangenen Blick eines kleinen Kindes auf andere bewahrte. Jesus fragte nie nach Gründen, Erklärungen oder Entschuldigungen, wenn er Menschen begegnete. Er fragte nicht nach der Vergangenheit von Leuten, und er war nicht daran interessiert, davon zu hören, warum sie in Armut geraten waren, in Krankheit, Prostitution und staatsschädigende Aktivitäten. Wenn Jesus Menschen begegnete, zählte stets nur dieser Augen-Blick, in dem er und sie einander begegneten. Und deshalb rief die Begegnung – dieser Blick – etwas Neues in den Menschen hervor. Neue Stärke, neue Freude, neues Vertrauen und neuen Glauben. Wie wenn ein Säugling Fürsorge und Liebe in verwirrten Menschen hervorruft.

 

„Ich bin wichtig, weil ein anderer wichtig ist“. Das entdeckt, der ein Kind bekommt, um das er sich kümmern muss. Deshalb kam Gott Weihnachten als ein Kind in die Welt. Und deshalb kommen wir seitdem nicht darum herum, Gott eben hier zu begegnen – in der Welt. In dem Menschen, der uns braucht, und in dem Menschen, den wir brauchen.

   Weihnachten. Das ist Gott, der in unserer Welt zu finden ist, und das ist Gott, der alles, was zu uns gehört, auf sich nahm. Das ist es auch, was die Legende von Josef und seinen Socken sehr handfest und humorvoll verkündet. Wenn andere in eine unglückliche Situation geraten sind, sagen wir schadenfroh, „ich würde lieber nicht in seinen oder ihren Schuhen stecken“. Aber das will also Gott. In unseren Schuhen stecken – oder in unseren komischen Socken. In Jesus nahm Gott unser Leben auf sich. All das, was unser ist, wurde auch seins. Er wollte da sein, wo wir sind. Damit wir sein und bleiben können, wo er ist. Das ist der große Tausch von Weihnachten: Gott wurde ein Kind auf Erden wie wir. Und wir wurden und bleiben seine himmlischen Kinder.

 

Heiligabend. Das ist der beste und der schwerste Abend des Jahres. Denn jetzt werden unsere innersten Träume deutlich. Jetzt wird uns allen klar, die sonst das ganze Jahr tun, was wir können, um die Dinge selbst in Ordnung zu bringen, dass wir im Innersten von etwas ganz anderem träumen. Denn Heiligabend wollen wir zusammen sein. Alle die, die wir gekannt haben und mit denen wir im Laufe der Jahre Weihnachten gefeiert haben, sind heute bei uns. Können sie ist es nicht physisch sein, so in unseren Gedanken. Die Gedanken, die aus demselben Grund heute Abend erfüllt sind von Dankbarkeit, Freude, Sehnsucht und Trauer. Da ist eine Verletzlichkeit, die wir besonders zu Weihnachten spüren. Eine Verletzlichkeit, die auch einen Platz am Tisch haben soll und die wir auch am Weihnachtsbaum mit uns tragen.

   Denn das ist die Freude, von der die Engel in dieser Nacht singen: Dass Gott Mensch wurde, damit wir und alle die, die uns fehlen, bei Gott sind und bleiben.

   Das ist der eigene große Traum Gottes, den er erfüllte, al er in der Krippe lag. Fürsorglich gewickelt eben als der, der er war, der neugeborene Heiland:  Das erste und größte, kleine, arme Weihnachtssockengeschenk.

Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geist, jetzt und immerdar. Amen.



Pastorin Margrethe Dahlerup Koch
DK-6950 Ringkøbing
E-Mail: mdk(at)km.dk

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