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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Weihnachtstag, 26.12.2017

Predigt zu Matthäus 10:32-42 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Peter Fischer-Møller

Weihnachten ist für viele von uns ein familiäres Ereignis. So sehr, dass es einen schockiert, wenn man am zweiten Weihnachtstag in die Kirche kommt und dann mit so heftigen Dingen konfrontiert wird: Erst hörten wir davon, wie Stephanus gelyncht wurde, der erste christliche Märtyrer, der seinen Glauben an das Kind in der Krippe und den Mann am Kreuz mit dem Tode bezahlen musste. Und dann wirft Jesus einen Molotowcocktail mitten in das Familienidyll. „Ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter“. Sind wir bei demselben Weihnachten – er und wir? Ja, das sind wir, und ich würde wünschen, dass wir heute genauso viele in der Kirche wären wie Heiligabend, denn Weihnachten erhält Profil und Tiefe, wenn wir den zweiten Weihnachtstag mitnehmen.

   Was heute von dem erwachsenen Jesus über die Familienbeziehungen gesagt wird, liegt ganz auf der Linie dessen, was jedes Mal gesagt wird, wenn wir in der Kirche die Taufe feiern. Jedes Mal, wenn ein Kind – oder ein Erwachsener – getauft wird, dann verspricht Jesus diesem Menschen, dass er sich zu ihm oder ihr Gott gegenüber bekennen will, den er „meinen Vater im Himmel“ nennt. Und wir schlagen das Zeichen des Kreuzes über dem Gesicht und der Brust des Kindes, um anzuzeigen, dass die Taufe mehr ist als eine niedliche Zeremonie für die Namensgebung: Dass unser Leben mit der Taufe an die Geschichte einer Liebe und einer Wahrheit gebunden wird, für die stets zu kämpfen ist, für die wir die Verantwortung tragen, sie mit uns zu tragen und an andere weiterzugeben.

  Die Taufe ist wie Weihnachten zu einem Familienereignis geworden. Daran ist nichts falsch. Ich freue mich darüber, dass wir oft viele Leute in der Kirche sind, wenn die Taufe gefeiert wird. Es ist gut, dass wir auf diese Weise eine gute Entschuldigung haben, einmal in die Kirche zu kommen – auch wenn nicht Weihnachten ist. Aber es geschieht immer etwas, wenn ein Kind zur Taufe getragen wird – und für einen Augenblick aus der liebevollen Umklammerung der Familie gelöst wird. Uns wird gesagt, dass das Kind Gott gehört, ehe es ein Sohn oder eine Tochter ist, ein Bruder oder Schwester oder ein Enkelkind. Und wir, die wir nicht zur Familie des Täuflings gehören, sondern nur in die Kirche gekommen sind, weil wir die Kirchenglocken läuten gehört haben, uns wird gesagt, dass wir das Taufkind als unser eigenes Kind annehmen sollen. Die Taufe schafft neue familiäre Bande.

   In der Taufe wird unser Leben an den erwachsenen, den gekreuzigten und auferstandenen Christus gebunden. Es begann natürlich mit dem Kind in der Krippe, von dem wir vorgestern und gestern gehört haben, aber das war nur der frühe Beginn einer Geschichte, die sich in und mit dem erwachsenen Jesus entfaltet. Was er als Erwachsener sagt und tut, kann uns wirklich anregen und unserem Leben eine Perspektive geben. Er ist es, der unsere Vorurteile und Gewohnheiten ändern kann. Natürlich ist seine Geburt zur Weihnacht wichtig. Dass Gott Mensch wurde, ist das innerste Geheimnis des Christentums. Dass Gott geboren wurde von Maria wie wir mit Nabenschnur, Mutterkuchen und allem, was dazugehört. Wurde ein Mensch wie wir mit Kindheit und Jugend und einem Leben als Erwachsener. Das ist der Kern in der Freude der Weihnacht, dass Gott in Jesus das Leben mit uns teilen wollte, dass er sich mit uns solidarisierte, dass er am eigenen Leib spürte, was das beutete, wie wir zu sein. Als Mensch gehört Jesus wie wir zu einem Geschlecht, er ist Teil einer Familie, aber seine Geschichte ist kein Familienidyll. Im Gegenteil: Die Familiengeschichte Jesu ist von Anfang an schief. Seine Mutter wird schwanger vor der Ehe. Vor hundert Jahren wäre er als „unechtes Kind“ in den Kirchenbüchern registriert worden. Joseph hätte Maria steinigen lassen können – das war damals die vorgesehen Strafe für Untreue. Er wollte stattdessen die Verlobung aufheben, aber dann sprach Gott zu ihm in einem Traum, und Joseph wurde dazu überredet, Maria zu heiraten. Sie bekamen viele Kinder. Jesus hatte eine unbekannte Anzahl von Geschwistern. Die Namen von vier seiner jüngeren Brüder kennen wir: Jakob, Joses, Judas und Simon. Und dann hatte er Schwestern. Wir wissen nicht, wie viele, und wir kennen nicht ihre Namen. Jesus wurde Zimmermann wie sein Stiefvater, aber als zwölfjähriger Konfirmand hat er seine pubertäre Protestphase. Er geht seine eigenen Wege, um mit seinem himmlischen Vater im Tempel von Jerusalem Kontakt aufzunehmen. Und als er 30 wird, wirft er sich auf das Projekt seines Lebens, nämlich sein Volk, ja dann auch alle Menschen der Welt zu einer großen Familie zu machen. Das kommt eines Tages stark und provozierend zum Ausdruck, als er bei einem Fest ist und von seiner Mutter und seinen Brüdern aufgesucht wird. Da hebt er die Hände und sagt: Siehe, hier ist meine Mutter und hier sind meine Brüder. Denn wer das Wort Gottes hört und nach ihm handelt, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. Damals wie heute starker Tobak! Wirklich provozierend hier, während wir noch immer den Gesang der Engel am Heiligen Abend im Ohr haben: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens, dass Jesus sagen zu hören: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter“. Das sind ja alles Beziehungen, die wir hochschätzen. Die Familie kann sehr wohl eine komplizierte Größe sein – das merken viele an Weihnachten, wo wir tagelang zusammen sind und versuchen, all das Gewirr zu steuern mit meinen und deinen Kindern, Expartnern und angeheirateten Leuten. Aber wir wollen ja gerne, dass das gelingt. Und die wenigsten können ehrlicherweise sagen, dass es ihnen egal ist, ob nun die Konflikte in der Familie bedeuten, dass sie ihre Enkelkinder oder Schwiegereltern an Weihnachten nicht sehen. Zurzeit Jesu waren die zehn Gebote in der Gesellschaft verbindliche Norm. Das sechste Gebot lautet: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“. Mit diesem Gebot im Ohr haben die scharfen Worte Jesu fast wie eine Gotteslästerung gewirkt. Und das wurde nicht viel leichter für die Christen, die ja nicht nur an der Geschichte Jesu sondern auch seiner Vorgeschichte, dem Alten Testament und den Zehn Geboten festhielten.

   Wenn wir nun am zweiten Weihnachtstag in die Kirche kommen, nachdem die Familie einige Tage lang gebührend gepflegt wurde, so ist es gut, dass Jesus hier mit gutem Grund unsere Faulheit und Bequemlichkeit und Selbstgefälligkeit angreift – und auch das Leid und die Enttäuschungen, die immer lauern, wenn die die Familie als tiefsten Sinn und Zentrum des Lebens betrachten. Das genügt nicht. Das Leben ist viel mehr als das. Und mit sich selbst als Frontfigur uns dem Einsatz seines eigenen Lebens öffnet er den Weg zu einer größeren Familie, einem größeren Leben, einer größeren Welt. Es geht nicht darum, die egen Familienbande zu lösen, es geht darum, den Raum für neue Bande zu öffnen. Wie Jesus am Kreuz, als er zu seinem Freund Johannes und zu seiner Mutter Maria sagt: Johannes, hier ist deine Mutter, und Mutter, hier ist dein Sohn. Sie werden nun die Trauer gemeinsam tragen und sie werden nach der Auferstehung einander helfen, den weiteren Weg im Leben zu finden.

   Wir sind die lebendigen Menschen Gottes. Das wissen wir von unserem großen Bruder, dem Kind in der Krippe von vorgestern. Und das ist gut für die dänische Kernfamilie, die gefühlsmäßig überlastet ist, wenn wir versuchen, sie zum einzigen Inhalt unseres Lebens zu machen, und die nicht gedeihen kann, wenn wir sie in einer Weise idyllisieren, die sich schon an einigen Weihnachtstagen als unhaltbar erweist.

   Der Realismus des zweiten Weihnachtstages ist wichtig für uns, die eine Familie haben und uns bemühen, in der Familie liebevolle, wahrhaftige und verantwortungsvolle Mitspieler zu sein. Und die Botschaft, dass wir quer durch die Familienbande Menschen Gottes sind, ist mindestens genauso wichtig für die Menschen mit kaputten Familien, die Singels, Witwen und Witwer.

   Das ist die Perspektive des zweiten Weihnachtstages mit seinen dramatischen Geschichten, hier wo Jesus die Ligusterhecken herunterschneidet und die Fenster öffnet, dass etwas Luft in die Stuben kommen kann. Denn das Kind in der Krippe ist nicht aus Marzipan, er ist aus Fleisch und Blut und zusammen mit ihm sind wir eine Familie über Grenzen von Sprache, Kultur und Erdteilen hinweg. Ja auch mit meinem schwierigen Nachbarn – vielleicht sollte man es versuchen mit einem freundlichen Nicken oder einer Einladung zu einem kleinen Glas og einer Schokolade – es bleibt ja in einer gewissen Weise in der Familie. Amen.

 

 

 

 

 

 



Bischof Peter Fischer-Møller
DK 4000 Roskilde
E-Mail: pfm(at)km.dk

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