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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Neujahrstag, 01.01.2018

„Lass Dir nicht grauen!“ (Ein Eintrag im Tagebuch der Menschheit)
Predigt zu Josua 1:1-9, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

der heutige Bibeltext hat die Überschrift: „Zurüstung für den Einzug ins gelobte Land“. Heute ziehen wir zwar nicht in ein fremdes Land, aber in ein nächstes Jahr. Wird es „ein Jahr des Heils“? Machen wir mit, mit Lust auf Zukunft? Im Predigttext wird Josua ermutigt, die Umzugsvorbereitungen ins Land Kanaan unverzagt anzugehen. Aus seiner Beauftragung können wir Einiges lernen, auch über den Jahreswechsel hinaus.

Doch beginnen möchte ich mit einem kurzen Erlebnis aus der Vorweihnachtszeit. Ich wollte im Diakoniekaufhaus etwas kaufen, um es beim „Wichteln“ zu verschenken. Vor einem Wühltisch stand ein großer Koffer quer. Ich fragte die drei Männer, die dabei standen, wovon einer antwortete: „Das ist meiner.“ Ich sagte: „Na dann, gute Reise!“ Er erwiderte: „Ja, in 14 Tagen nach Amerika!“ „Ja klar!“ sagte ich amüsiert, doch er korrigierte: „Nein, ich besuche einen Onkel. Und das da ist mein Cousin. Der freut sich total auf Weihnachten. Der wird wieder für 500 Euro Polen-Böller kaufen!“ Eigentlich wollte ich klarstellen: „Oh, die sind eher für Silvester!“ Aber warum korrekt sein, wenn die Ungenauigkeit so fröhlich macht?

Der syrische Mann erzählte, dass er nach Flucht und Asyl in den letzten 9 Jahren eine neue Bleibe gefunden hat, mit fester Arbeit, eigener Wohnung und ersparter Urlaubskasse. Bei meinen Eltern war es nach dem 2. Weltkrieg ähnlich. Getrennt geflohen, Grausames mitangesehen, Zwangsarbeiter in Frankreich, Neuanfang im Wunderland BRD. Und zwischendurch 7 Kinder in die Welt gesetzt.

Beides sind Beispiele für das Einwandern im Kleinen. Der Wechsel von der Wüste ins Kulturland aber betraf das Volk Israel, auch als ein Stück Menschheitsgeschichte. Dazu hören wir aus dem Buch Josua: „Nach Moses Tod sprach Gott zu Josua, dem Diener Moses: Mose ist gestorben; so zieh nun über den Jordan, du und das Volk. Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben. Von der Wüste bis zum Libanon und vom Euphrat bis zum Mittelmeer soll euer Gebiet sein. Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt; denn du sollst diesem Volk das Land austeilen, das ich ihnen zum Erbe geben will.“

 

Liebe Gemeinde,

so lautet die Beauftragung des Josua, dass er die Israeliten aus der Wüste ins Gelobte Land führen soll. Danach wird er stellvertretend für sein Volk auf die Befolgung der Gesetzesbücher verpflichtet. „Sei nur getrost und unverzagt, dass du tust in allen Dingen nach dem Gesetz, das dir Mose, mein Knecht, geboten hat. Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken, damit du es recht ausrichten kannst, wohin du auch gehst. Murmele es Tag und Nacht, damit du darauf achtest in allem so zu handeln, wie es in ihm geschrieben ist. (1) Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen und du wirst es recht ausrichten. Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn ich bin mit dir in allem, was du tun wirst.“ (Josua 1, 1-9 mit Kürzungen)

In einem aktuellen Schlager singt Adel Tawil: „Es fühlt sich an, als wärst du ganz alleine. Auf deinem Weg liegen riesengroße Steine, und du weißt nicht, wohin du rennst…Manchmal fragst du dich: Ist da jemand, der mein Herz versteht … und mich sicher nach Hause bringt? Ist da jemand, der mich wirklich braucht? Ist da jemand?“ (2)

Falls Josua ähnliche Fragen hatte, gab ihm Gott darauf eine klare Antwort: „Josua, Du bist sein Nachfolger, führe das Volk ins Gelobte Land. Überquere den Fluss Jordan und lass sie siedeln in dem Gebiet, dass ich den Erzeltern versprochen habe. Ich bin bei Dir wie mit Mose, also sei unverzagt.“

Doch noch stehen sie alle mit den Füßen im Sand der arabischen Wüste. In den Jahrzehnten zuvor hatten sie Gottes Gebote auf zwei Steintafeln bei sich. Diese trugen sie mit anderen symbolischen Gegenständen in einer Truhe vor ihnen her, der „Bundeslade“, die sie „Die Treue Gottes“ nannten. Der Zug durch die Wüste war also ein Hinterhergehen hinter der Treue Gottes. Das empfinde ich als Anregung für den Rückblick über unsere letzten Monate und Jahre. Denn das haben wir in unserer Nachfolge erfahren; dass das Durchqueren einer Wüste uns gelang, weil die Treue Gottes vor uns her zog.

 

Liebe Gemeinde,

wird uns Gott leiten auch jenseits der Wüste? Beim Mose tat er das nicht. Der durfte nur von weitem ins Gelobte Land spähen, dann starb er. Mit einem unvollendeten Auftrag und ohne eine Nachfolgeregelung. Wolfgang von Goethe und Siegmund Freud mutmaßten, Mose könnte als Märtyrer vom eigenen Volk umgebracht worden sein (3). Doch Gott geht ganz nüchtern „zurück auf Anfang“. Mose ist tot - punktum; Josua ist dran - punktum. So wie Mose den Auszug aus Ägypten anführte, soll Josua den Einzug ins Gelobte Land durchführen. Gott steigt um auf Plan B, aber verspricht Josua die gleiche Treue wie Mose. Wir können das auf uns übertragen; trotz schwieriger Abbrüche hält Gott die Linien seiner Treue durch.

Schwieriger wird es, wenn wir Gott nationalistische Parolen in den Mund legen, egal ob auf das Staatsgebilde Israel bezogen, das „Heilige römische Reich deutscher Nation“ oder „Gods own country“, also Amerika. Bisher lehrt uns die Geschichte, dass Kalifate und Gottesstaaten meist in Blutströmen enden.

Mose hatte vorab zwölf Spione ausgesandt. Zwei davon waren Josua und Kaleb. Sie brachten eine Weintraube zurück, die so groß war, dass sie sie auf einer Stange schultern mussten - wie die Bundeslade. Diese „Kalebstraube“ war das Leitbild für das damalige und auch unser Bedürfnis, wieder zurück ins Paradies einziehen zu dürfen (4). Dagegen berichteten die 10 anderen Spione, dass das Land uneinnehmbar sei und die Bevölkerung keinerlei Willkommenskultur beweisen würde. Soviel Realismus musste sein.

Nun aber war Josua dran, seine Prophetie zu beweisen und sein Lumpenproletariat in das Land zu führen, in dem angeblich Milch, Honig und Wein als Bäche sprudeln. Bis aber „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“ alle Claims abgesteckt waren, dauerte es viele Generationen. Gott stellte ihre Füße „auf weiten Raum“, doch diese Räume waren nur eine Dauerleihgabe. Gott gab weder damals dem Abraham noch jetzt dem Josua einen amtlichen Siedlungsplan mit. Und für die Geschichte Gottes mit seiner Menschheit wissen wir: Wir haben nur ein Bürgerrecht im Himmel - den Mutterboden müssen wir uns friedlich teilen. Wann aber gehen wir diese Neuorientierung weltweit „getrost und unverzagt“ an?

Josua bekam eine interessante Qualifizierung für den Einzug ins Gelobte Land. Gott sagte ihm mentale Stärke zu: „Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt.“ Ich finde aber noch ein Detail interessant. Es steckt in der Zusage: „Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben.“ Damit sind aber nicht die Soldatenstiefel einer Besatzungsmacht gemeint (5). Im Urtext steht dort: „Alle Orte, über die sich eure Fußsohle bewegt…“ (6) Das zielt auf Feinfühligkeit und Bewegung und Ausrichtung auf die Wege des Friedens. So „wandert in die Zeit. Gott will, dass ihr ein Segen für seine Erde seid!“ (7)

 

Liebe Gemeinde,

Mose war zugerüstet, das Volk aus der Sklaverei Ägyptens zu entführen; Josua war qualifiziert, das Volk ins Gelobte Land einzuführen. Der dritte Umzug war eine Deportation, dazu wurde es abgeführt. 40 Jahre - wie damals auf der Sinai-Route - 40 lange Jahre dauerte die Babylonische Gefangenschaft. Reichten aber in der Wüste lediglich zwei Gebote-Tafeln zum Überleben, wurden jetzt mehrere Bücher mit über 600 Einzelgesetzen vonnöten. Denn sowohl im Wohlstand der Königszeit wie auch in Babylonien musste das Volk Israel zusammenhalten im Stresstest alternativer Religionen.

In der Wüste riskierte jeder alles, wenn er des Nächsten Wasserflasche begehrte. Jetzt mussten aber ganz genau die Körperhygiene, die Nachbarschaftskonflikte und die Speisenzubereitung geregelt werden. Diese 614 Mitzwot waren ein Schutzwall, der den Zusammenhalt in der Fremde sicherte. Hielt das Volk in der Wüste noch als überschaubare Kleingruppe zusammen, so wurde es jetzt auseinandergerissen durch attraktive Kulte und Gottheiten. Deswegen wurde es noch vor dem Betreten des Kulturlands auf die Gebote verpflichtet, die es erst Jahrhunderte später entwickelte und brauchte. Dazu ordnete Gott an: „Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken, damit du es recht ausrichten kannst, wohin du auch gehst. Lass das Buch dieses Gesetzes nicht von deinem Munde kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht, dass du in allen Dingen ihm entsprichst. Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen und du wirst es recht ausrichten.“

 

Für die Verschleppten ist Babylon eine Weltstadt, ein Schlaraffenland und ein Götterbasar zugleich. Wenn sie sich alles davon einverleiben, verlieren sie ihren Zusammenhalt und ihre Mitte. Deswegen verbietet ihnen Gott, weder „zur Rechten noch zur Linken“ abzuweichen. (8) Auch wir spüren, dass Größenwahn uns auseinanderreißt und entfremdet. Je komplexer die Systeme um uns herum werden, umso intensiver brauchen wir Inseln. Je mehr wir die Götter der Absicherung, der Wellness und der Gier integrieren, umso mehr wächst in uns das Verlangen nach dem authentischen Gott, der nur ein Ziel hat: Ausrichtung auf ihn und Frieden auf Erden. Jahr für Jahr, Tag für Tag.

So gibt Gott seinen Menschen eine interessante Zurüstung für die Orientierung im Gelobten Wohlstand. Er sagt uns eine mentale Mitte zu: „Wohl dem, der nicht sitzt, wo die Spötter sitzen. Wohl dem Volk, das Gottes Gebote im Herzen und auf den Lippen hat, so, wie ein Bach sprudelt!“ Diese Zurüstung zielt auf Feinfühligkeit und Bewegung und Ausrichtung auf die Zukunft des Friedens.

Kam es bisher auf die Feinfühligkeit der Fußsohlen an, so kommt nun die Sensibilität unserer Sprache hinzu. Beide prägen unseren Tatendrang viel stärker als wir dachten. Wir werden neugierig und innovativ. „Lass Dir nicht grauen“ ist Gottes Impuls zur Umzugsvorbereitung (9). „Sei getrost“ ist sein Lockruf gegen die Verzagtheit. Wie aber wirkt sich dieses „Unverzagtsein“ aus beim Einstieg in einen fremden Lebensabschnitt, beim Wechsel in ein schwieriges Jahr, bei der Einverleibung der Zukunft? Was ist eigentlich mein persönliches Hilfswort gegen so viele Verzagtheiten? Mir hilft dazu unsere Übereinkunft: „Gott hat uns nicht gegeben einen Virus der Verzagtheit, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Tim 1,7) Deswegen singe ich gerne mit Adel Tawil, dem Sänger aus den Maghrebstaaten: „Dann ist da jemand, der dir den Schatten von der Seele nimmt und dich sicher nach Hause bringt.“ Oder auch die Liedstrophe, die den Untergang der DDR vorausahnte: „Der uns in frühen Zeiten das Leben eingehaucht, der wird uns dahin leiten, wo er uns will und braucht.“ Amen

 

1) V.8 nach: Bibel in gerechter Sprache

2) Adel Tawil, auf: „So schön anders“ 2017

3) vgl Wikipedia bei: “Mose”; 1.5. Der Tod des Mose

4) auch Motiv in alemannischen Fastnachtsumzügen

5) Die Volxbibel übersetzt gangstermäßig: „Ihr werdet alles und jeden plattmachen!“

6) Übersetzung Martin Bubers

7) Klaus-Peter Hertzsch, in: EG 395; DDR 1989

8) im Sinne von: „Nicht die Juden halten die Beschneidung, sondern die Beschneidung hält die Juden.“ Quelle unbekannt

9) Carel van Schaik und Kai Michel, in: „Das Tagebuch der Menschheit - Was die Bibel über unsere Evolution verrät“; Rowohlt 2016, insb S. 157ff



Pfarrer Manfred Mielke
Reichshof
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

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