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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Neujahrstag, 01.01.2018

Gottvertrauen
Predigt zu Josua 1:1-9, verfasst von Güntzel Schmidt

Nachdem Mose, der Knecht des Herrn, gestorben war, sprach der Herr zu Josua, den Sohn Nuns, den Diener des Mose:

„Mose, mein Knecht, ist tot.

Nun auf, überquere den Jordan, du und dieses ganze Volk, in das Land, das ich ihnen gegeben habe, den Kindern Israels. Jeden Ort, an den eure Füße treten, gebe ich euch, wie ich Mose gesagt hatte. Von der Wüste bis zum Libanon und bis zum großen Fluss, dem Fluss Euphrat, das ganze Land der Hetiter, und bis zum großen Meer im Westen sei euer Gebiet.

Niemand wird vor dir standhalten dein Leben lang.

Wie ich mit Mose gewesen bin, werde ich auch mit dir sein. Ich werde dich niemals verlassen.

Sei fest und stark, denn du sollst diesem Volk das Land als Erbe übergeben, von dem ich ihren Vätern schwor, es ihnen zu geben.

Nun sei ganz fest und stark, dass du darauf achtest, alle Weisungen zu befolgen, die dir Mose, mein Knecht, geboten hat. Weiche nicht davon ab, weder zur Rechten noch zur Linken, damit du Erfolg hast, wohin immer du auch gehst. Entferne das Buch der Weisungen/ die Tora nicht von deinen Augen* und lese darin bei Tag und bei Nacht, damit du darauf achtgibst, alles zu tun, was in ihm geschrieben steht, denn dann wird dein Weg erfolgreich sein, und dir wird es gelingen.

Habe ich dir nicht geboten, fest und stark zu sein?

Fürchte dich nicht und verliere nicht den Mut! Denn der Herr, dein Gott, ist mit dir, wohin immer du auch gehst.

(Eigene Übersetzung)

_____

* ) Wörtlich: Von deinem Mund - gedacht ist dabei an ein murmelndes Lesen, bei dem sich die Lippen mit den Worten bewegen. Wir lesen i.d.R. nicht mehr so.

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

das Kind ist gestürzt und hat sich das Knie aufgeschlagen; das Knie blutet.

Es weint - wohl eher über den Schreck, das Blut zu sehen, als über den Schmerz.

Was sagt man dem Kind? Mit welchen Worten tröstet man es?

Was würden Sie ihm sagen?

 

Eine Freundin berichtet davon, dass ihre Beziehung zerbrochen ist.

Sie ist am Boden zerstört und weiß nicht, wie es weitergehen soll.

Was sagt man der Freundin? Mit welchen Worten tröstet man sie?

Was würden Sie ihr sagen?

 

Es ist schwer, tröstende Worte zu finden.

Bei einem Kind fällt es leichter als bei einem Erwachsenen.

Warum fällt es bei einem Kind leichter?

Weil man einem Kind noch etwas erzählen, etwas vormachen kann.

Eine Erwachsene lässt sich nichts erzählen.

Sie durchschaut die leeren Floskeln, entlarvt die Worte der Ermutigung als hohle Phrase.

 

I. Josua, der Diener des Mose, befindet sich in einer ähnlichen Lage:

Auch er ist verzweifelt, weiß nicht, wie es weitergehen soll und sucht dringend Trost und Ermutigung.

Bis eben war er noch Moses Diener: Bei allem dabei, aber ohne die Verantwortung.

Jetzt soll er der Anführer sein, mit allem, was dazugehört - und hat verständlicherweise Angst davor.

Das hätten wir wohl auch. Bestimmen, was gemacht wird, das macht jede und jeder gern. Aber die Verantwortung übernehmen, wenn etwas schief geht, wenn man sich geirrt hat - das doch lieber nicht!

 

In seiner Not sucht Josua Hilfe bei Gott. Er sucht Beistand und Trost.

Aber Gott antwortet: „Ich habe dir geboten, fest und stark zu sein!“

Tapferkeit und Zuversicht auf Befehl?

Man kann es sich auf dem Kasernenhof vorstellen, wo der Spieß einen Soldaten anbrüllt: „Nun reißen se sich mal zusammen, Mensch!“ - und der Soldat tut es, allein aus Angst vor dem Feldwebel.

Aber Josua ist ja nicht auf dem Kasernenhof. Auch wenn der Übertritt über den Jordan eine Kriegserklärung an die bedeutet, die in dem Gebiet wohnen, das Israel besiedeln wird.

Und Gott ist kein Feldwebel - so stellt man ihn sich jedenfalls nicht vor.

 

Tapferkeit und Zuversicht auf Befehl - geht das überhaupt?

Kann man tatsächlich mutig sein, wenn es einem befohlen wird?

Oder fühlt Josua sich jetzt nicht erst recht allein und verlassen,

wenn Gott ihm den Mut, den er sucht, nicht gibt,

sondern ihm befiehlt, sich gefälligst zusammenzureißen?

 

II. Wie ist es Ihnen ergangen, wenn Sie Trost brauchten und ihn bei anderen suchten?

Wie oft haben Sie Sätze gehört wie „Kopf hoch, das wird schon wieder!“; „Das Leben geht weiter!“; „Nach Regen kommt Sonnenschein!“ oder „Nur Mut!“.

Und wie oft haben Sie selbst schon solche und ähnliche Sätze gesagt?

Wenn man sich diese Sätze näher ansieht, fällt auf, dass sie nichts anderes sind als das „nun reißen se sich mal zusammen“ vom Kasernenhof: Es sind Befehle.

 

Ein Mensch sucht Trost, erwartet Verständnis und Hilfe und bekommt - den Befehl, sich zusammenzureißen. Und mit diesem Befehl wird ihm vermittelt:

„Du musst dir selbst helfen. Von mir kannst du keine Hilfe erwarten. Ich bin genauso hilflos wie du. Ich weiß auch nicht, was man machen kann, wie es weitergehen soll“.

Aber das sagt man nicht. Das wäre ja schrecklich.

Doch der andere hört trotzdem, was nicht ausgesprochen wurde - so, wie wir es gehört haben, als wir auf diese Weise „getröstet“ wurden.

 

Was unterscheidet aber nun Gottes Befehl an Josua, er solle „fest und stark“ sein, von unseren in einen Zuspruch verkleiden Befehlen, sich zusammenzureißen?

- Da gibt es keinen Unterschied, fürchte ich.

Hatte Gott das Volk Israel in der Wüste noch selbst geführt, als Wolkensäule bei Tag und als Feuersäule bei Nacht; hatte der durch die Hand des Mose das Meer geteilt, Wasser aus dem Felsen springen, Manna und Wachteln regnen lassen, so scheint er sich jenseits des Jordan nicht mehr zuständig zu fühlen.

Im eigenen Land ist Israel auf sich allein gestellt; da muss es selbst sehen, wie es fertig wird.

Mit dem Übertritt über den Jordan geht Israel wie über eine Schwelle:

Es lässt Gottes Führung und Beistand hinter sich und wird sozusagen erwachsen, muss und kann auf eigenen Beinen stehen.

 

III. Gottes Befehl an Josua, fest und stark zu sein, unterscheidet sich nicht von unseren Aufforderungen, sich zusammenzureißen - auf den ersten Blick.

Dann aber fällt ein wichtiger Unterschied auf:

Gottes Befehl ergeht nicht, ohne dass er dafür eine Grundlage geschaffen hätte.

Ein doppeltes Fundament sogar, eine doppelte Absicherung.

Die erste Grundlage ist ein Versprechen:

„Wie ich mit Mose gewesen bin, werde ich auch mit dir sein.

Ich werde dich niemals verlassen“.

Josua hat gesehen und erlebt, wie Gott die Israeliten rettete und ihnen immer wieder aus der Patsche half. Als Diener des Mose hat er gelernt, dass man sich auf Gott verlassen, dass man Gott vertrauen kann.

Die zweite Grundlage sind die Weisungen, die Tora, wie sie auf Hebräisch heißt:

„Wenn du dich ständig mit meinen Weisungen beschäftigst und dich daran hältst, wird dir alles gelingen“, sagt Gott zu Josua.

 

Gott hilft Josua nicht, wie er sich das wohl gewünscht hätte und wie wir es uns wünschen würden: Er nimmt ihm nicht die Verantwortung ab, und er erspart es ihm nicht, selbst tätig zu werden.

Aber Gott sorgt dafür, dass Josua ein Fundament hat, von dem er ausgehen und auf das er sich verlassen kann:

Das Vertrauen auf Gottes Nähe und Beistand gibt ihm Halt, und die Weisungen der Tora geben ihm eine Richtschnur für sein Handeln.

 

IV. Schön und gut, wird man jetzt denken, eine schöne Geschichte.

Aber was nützt uns ein Märchen aus uralten Zeiten,

die wir an der Schwelle eines neuen Jahres stehen?

Wir sehen es schon vor uns liegen mit seinen Anforderungen an uns und seinen Herausforderungen, mit seinen Sorgen und Problemen.

Manche bekommen vielleicht jetzt schon weiche Knie, weil sie schon genau wissen, was sie im neuen Jahr erwartet. Weil sie ihre Belastungen und Sorgen, eine Krankheit oder ein Problem wie ein schweres Päckchen mit über die Schwelle schleppen.

Was kann uns Josuas Beispiel da helfen?

 

Zunächst einmal wird man sagen müssen: Nichts.

Denn die ernüchternde Botschaft dieser Geschichte ist ja, dass Josua sein Päckchen nicht los wird. Er muss es selber schleppen.

Aber die Geschichte ist auch nicht so unbarmherzig, dass sie nicht einen Weg zeigt, wie dieses Päckchen leichter wird: Durch Gottvertrauen.

 

Gottvertrauen - das ist doch auch bloß eine fromme Floskel.

Wie soll man Gott vertrauen, wenn man Gott nicht sieht; wenn Gott nicht eingreift und die Dinge zum Guten ändert?

 

Vertrauen kann man nicht sofort. Vertrauen muss wachsen, über eine lange Zeit.

Man vertraut ja auch keinem wildfremden Menschen, sondern lernt sie oder ihn erst einmal kennen. Man erlebt, dass er verlässlich ist, einem hilft, und man erlebt Enttäuschungen. Und mit der Zeit, wenn man an der Beziehung, an der Freundschaft festhält, wächst Vertrauen.

 

So ist es auch mit dem Gottvertrauen. Es muss wachsen, muss Enttäuschungen erleben und überstehen, wie es Momente der Nähe braucht, wo man das Gefühl hat: Da war Gott bei mir, war mir ganz nah.

Deshalb ergeht die Aufforderung an Josua, sich Tag und Nacht mit der Tora zu beschäftigen. In der Beschäftigung mit Gottes Wort, mit der Bibel, kann eine Beziehung zu Gott entstehen; da kann Gottvertrauen wachsen.

 

V. Das neue Jahr liegt vor uns, und wieder wird uns nichts geschenkt. Wieder muss jede und jeder für sich sein Päckchen schultern und es über die Schwelle schleppen.

 

„Fürchte dich nicht und verliere nicht den Mut!

Denn der Herr, dein Gott, ist mit dir, wohin immer du auch gehst.“

Gott verspricht uns, dass er mit uns geht.

Und mehr noch: Gott verspricht, dass unser Leben gelingen wird.

Wir können unser Ziel gar nicht verfehlen, und wir werden es auf jeden Fall erreichen:

Das Land, das unseren Vorfahren versprochen wurde.

Dieses Land ist das Reich Gottes,

von dem Jesus sagte, dass es nahe herbeigekommen sei.

Jenseits der Schwelle können wir einen Lichtstrahl dieses Reiches sehen.

Wir gehen darauf zu.

Das Leuchten leitet uns, und es macht es hell,

wenn es um uns dunkel oder das Päckchen auf unseren Schultern uns zu schwer ist.

Im Vertrauen auf dieses Versprechen, im Vertrauen auf Gott gelingt es uns,

zuversichtlich über die Schwelle ins neue Jahr zu gehen.



Pfarrer Güntzel Schmidt
Meiningen
E-Mail: guentzel.schmidt@gmx.de

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