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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Neujahrstag, 01.01.2018

Was dürfen wir glauben?
Predigt zu Josua 1:1-9, verfasst von Jörg Coburger

Das neue Jahr hat begonnen, zumindest dem Kalender nach. Wir könnten ja auch den 1. Advent ganz als Neuanfang ernst nehmen. Ob das immer ein fetziger Familiengottesdienst so schafft, muss von Zeit zu Zeit neu überdacht werden. Wann ein neuer Anfang ist, wissen wir nicht immer. Wenn ein Kind geboren wird, haben wir es leicht, da ist alles von der Ankunft eines Menschen überstrahlt, da spüren alle bis in die Nachbarschaft, dass es Großes geschehen ist. Oder wenn jemand endlich einen neuen und diesmal auch hoffentlich besseren Job gefunden hat. Oder wenn eine Familie nach vielen Jahren eingeschliffener Traditionen das Fest zu feiern, sich im Advent gemeinsam besprach, es solle dies Jahr etwas aber deutlicher anders werden, damit alle Ruhe und Frieden finden, bitte kein Geschenke- Stress mehr oder ähnlich.

 

Neu anfangen zu dürfen gehört zum tiefsten und wahrhaftigsten Wesen menschlicher Existenz. Die Bibel ist voller Zeugnisse darüber. Durch Personen und Ereignisse hat Gott immer wieder mit Adresse und Datum gehandelt. Sara, Ruth, Maria, Petrus, Zachäus, Lydia, Paulus. Gott hat viele Namen. Einer seiner Namen ist: „Der neu anfängt“ und auch Josua, „Gott ist die Hilfe“ oder auf lateinisch: Jesus.

 

Hier geht es ebenfalls um einen Neuanfang. Gott redet in den ersten Versen. Danach Josua, Moses Nachfolger, denn Mose war bereits tot und hatte vom Berg Nebo einen nur Blick ins verheißene Land werfen dürfen. Dtn. 32,48ff. Schließlich redet als drittes die Gemeinde.

 

Auch wenn es eigenartig klingt: Wir hören jetzt eine Predigt über eine Predigt aus Josua 1.

Die Landnahme, der Weg ins verheißene Land ist gebunden an die Weisungen Gottes. Die Gemeinde hatte erlebt, wie der Herr für sie streitet, aber sie selbst stille sind. Ex.14,14

Bis heute hat sich das nicht geändert. Wir sind vergesslich. Wir haben nicht nur Erinnerungen, wie man einen Regenschirm hat, sondern wir machen Erinnerungen, lückenhaft, wetterwendig, launisch, mit oft undurchschaubaren Auswahlkriterien und werden immer neu gefragt: Wisst ihr denn nicht mehr? Erinnerung, die schöne Lügnerin! Hier bei Josua jedenfalls spricht die Zeit des Exils. So, wie es erzählt wird, muss es bereits alles verspielt sein.

 

Immer wieder haben Redakteure dieses alte Bild, den alten Text von Josua 1 nach schlimmen Ereignissen erinnert, wieder zur Hand genommen, sich an die wunderbare, von Gott gewährte Aufbruchstimmung aufgeschrieben und zur Mahnung und Ermutigung weitergeschrieben. Israel wird eines Tages das verheißene Land verloren haben, der Tempel durch die Babylonier 587 v. Chr. zerstört sein und die Frage stand im Raum: Weshalb, was ist geschehen?

Nein, ich werdet hoffentlich bemerkt haben, dass ich nicht sagte: Alles lediglich nur nachträgliche Deutung hier bei Josua! Aber Bibeltexte dürfen wachsen, wie z.B. – wir sprachen schon oft davon – die Erkenntnis Dreieinigkeit wachsen durfte. Es ist so, und biblisch nicht das einzige Mal, als ob sich in der Stunde des Scheiterns die einstmals Liebenden an die Zeit des ersten Glücklichseins erinnerten. ( Im Hosea- Buch ist das ein wichtiger Vergleich. ) Viel ist seitdem geschehen und das Gottesvolk ist wohl oft über dünnes Eis gegangen und hat es erst danach oder nie bemerkt, weil es bewahrt und gerettet worden sind. Rettung erfahren und dankend, lobend beantworten kann doch nur einer, der merkte, in welcher Gefahr er war. Ich erinnere mich hier immer an die Situation aus Lukas 24: „Brannte nicht unser Herz“ Zurückdenken, noch einmal alles wachrufen um es so für den Weg in die Zukunft mitnehmen zu können. Verheißungen haben also immer auch mit Erfahrungen zu tun, sind also keine Utopien oder Illusionen, sondern Hoffnung. Brannte nicht unser Herz. Im Rückblick wissen um zukunftsträchtige Erfahrungen.

 

Die Gegenwart wird von der Vergangenheit her beleuchtet und von der Zukunft her gedeutet. Wir stehen als die jüngeren Geschwister des Gottesvolkes nun stille dabei und hören, was hier steht: Das Leben in Zukunft wird nur mit Gehorsam Gottes Weisungen gegenüber gelingen. 1 In einer wiederholten Rückbesinnung hat man den alten Text wieder hervorgeholt, ihn also nicht vergessen, die Zeit der erste Liebe, die Verheißungen nach allem Scheitern und lässt das Volk, nachdem Gott und Josua gesprochen hatten, wie Kinder vor ihrem Vater stehen und versprechen: Das alles wollen wir ganz gewiss tun!

 

Liebe Gemeinde, uns geht es heute nicht um die Landnahmetradition. Viel mehr um die Zukunft und der Frage nach dem Gelingen. Oft sind wir eine verzagte Kirche. Deshalb ist uns wohl Josua 1 zum Hören und Nachdenken aufgegeben. Denn gefährdet sind wir auch. Hoffnungen sind etwas Zartes, leicht zerbrechlich, oft sind es tausend Dinge, die gegen Zuversicht sprechen und nur ein einziger, der uns hält und trägt. Womit können wir zuversichtlich und unverzagt ins neue Jahr gehen? Jahresrückblicke erfreuen sich großer Beliebtheit und meistens ist zu erkennen, welch einen – manchmal gar tendenziösen - Blickwinkel die Herausgeber dabei haben. Denn im Rückblick fallen die Entscheidungen, was wir an guten und tragenden Erfahrungen mitnehmen können. Das ist der Punkt, wo die Väter anhalten, staunen, erschrecken und einen Haltepunkt, ein Stopp, eine Wegmarke, einen Gedenkstein bauen: Pniel. Gn. 31, 31ff Hier ist Gottes Angesicht. Im einfachen Weiterrasen geschieht das nicht. Insofern auch ist uns dieser Gottesdienst, dieses Innehalten jetzt gesegnet. In den Rückblick fällt auf, dass oft nur vom Scheitern, von Skandalen und Katastrophen, von einem politischen Eklat, davon gab es jede Menge in den vergangenen Monaten.

 

„Habe ich dir nicht geboten: Sei getrost und unverzagt? Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott ist mit dir in allem, was du tun wirst“ 2

 

Drei Aspekte leuchten heraus:

Eine Verheißung, eine Bedingung, eine Ermutigung.

 

Unser Glaube hat Erfahrungen gemacht, die er nicht preisgeben will. Unsere Zukunft ist nicht ein leeres Blatt, dass wir erst noch zu beschreiben hätten, Es ist gefüllt mit den Verheißungen und Zusagen Gottes. Gewiss liegt vor uns eine schwere Zeit, weil unser Mut und unsere Civilcourage immer stärker gefragt sein wird, wollten wir den Populisten nicht unser christliches Zeugnis vom menschenfreundlichen Gott entgegenhalten. Ja, wir in der DDR-Zeit werden wir ganz neu zu lernen haben, dass wir dafür werden einstehen müssen, was wir glauben.

 

Es steht zudem die Frage: Wird die Kirche wieder in zwei Lager zerrissen, oder ist sie es längst, nämlich in solche die so sprechen: „Ich bin zwar nicht rechts, aber kein Wunder, wenn die AfD gewählt wird, die Leute haben einfach die Schnauze voll…“ und andere, die sich dem mit eher nachdenklichen Tönen und einem Menschenbild, wie sie es aus der Bibel kennen, zu Wort melden.

 

Was Gott mit uns vorhat, ist die Frage. Dass wir nicht schweigen dürfen. Das ist die Aufgabe heute. Einerseits gibt es politische Kräfte, die Kirche zu marginalisieren, wie wir es fast vornehmen ausdrücken, andererseits die kirchliche Selbstkastration, unsere immer wieder selbst gewählte Isolation, sich nicht zu outen, nicht Stellung beziehen. Die Situation Josuas muss nicht gewaltsam zu uns heute hin gepresst werden, aber auch wir gehen in eine spannende und sicher auch schwierige Zeit. Da können wir Ermutigung wohl gut gebrauchen.

 

Ohne Glauben wird es nicht möglich sein. Ohne Verheißungen zu buchstabieren und überhaupt zu kennen, werden wir nicht bestehen können. Womit sollten wir den Gott in den Ohren liegen, als Wächter ( besser: Mahner! ) wenn wir nicht mehr wissen, was wir schrein.

( Jes. 62, 6ff ) Gehör- Sam heißt die Bedingung, woraus das uns verhasste Wort Gehorsam wurde. Das ist die Bedingung. Die Landverheißung galt nicht bedingungslos. Das 4. Gebot Vater und Mutter zu ehren, also vom Schutz der Generationen hat eine klare Begründung: Damit ihr leben könnt in dem Land, dass ich euch gegeben habe. Wir brauchen keine eigenmächtigen Ziele. Verheißungen bauen sich von außen, extra nos. Wir haben nichts als Gottes Verheißungen. Nicht mehr und nicht weniger. In solcher Rückblickstunde spricht einmal der Hebräerbrief vom Anker der Hoffnung. ( Hebr.6, 19 )

 

Das Zurücksehnen in volkskirchliche, soll ich sagen, konstantinische Verhältnisse, ist keine gute Möglichkeit und keine Lösung. Wir sind sicher derzeit eine fleißige Kirche. Ein Event jagt das andere. Ein wenig wie in der Industrie ist es geworden: Immer weniger arbeiten immer mehr. Unsere Kraft liegt jedoch in der Stille, im hörenden Gebet. Strukturen und auch deren Veränderungen sind dringend nötig, aber die Kirche erneuert sich nicht schon dadurch, dass sie sich seit nunmehr Jahrzehnten ( mein Überlick mag „östlich“ geprägt sein ) mit kräftezehrenden Umstrukturierung beschäftigt. Wir müssen wieder eine mehr hörende Kirche werden. In diesem Zusammenhang finde es durchaus als merk – würdig und hoffnungsvoll, wenn in den letzten Jahren sicher leise und wenig sensationell eine neue Sehnsucht nach dem Abendmahl entstanden ist.

 

Was dürfen wir glauben? Dass der gebieterische Ton keine Lieblosigkeit ist, dass wir gefälligst getrost und unverzagt sein müssten, dazu auch keine Debatte über: „Wenn wir nur glaubwürdiger lebten…“ – ach, es sind so viele, die das gerade vorbildhaft tun! – sondern der Ton meint die große Verheißung. Gott steht selbst dafür grade. Er erklärt sich unsere Zukunft betreffend für zuständig! Bewährungsproben des Glaubens sind viele vorhanden und genau sie sind Gelegenheit, Gott zu zeigen, dass wir wenig besorgt um uns selbst, ganz in seine Hand geben. „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht.“ Jes. 7,9

 

Lasst mich mit einem Beispiel schließen: Seit meiner Zeit in der Jungen Gemeinden vor gefühlten hundert Jahren, waren wir u.a. mit dem Thema beschäftigt, dass die Gemeinden immer kleiner werden und dabei sich um einen nicht kleiner gewordenen Bestand an Gebäuden, Friedhöfe etc. zu kümmern haben. Das bindet nicht nur finanzielle Kräfte. Nun können wir es heute vor allem in große Städten wie Frankfurt, Hamburg, Köln u.a. nicht mehr übersehen: Die Kirche muss sich von Immobilien trennen. Kirchen werden entwidmet, auch abgerissen. Ja, ein schmerzlicher Prozess. ( Hier von Gesundschrumpfung zu reden, halte ich für puren Zynismus! ) Wenn Gott uns aber wieder einen Aufbruch schenkt und Wachstum, dass wir wieder neue Kirchen brauchen, werden diese auch Mittel und Wege finden, irgendwo eine alte Fabrik, ein Gartengrundstück, eine Brache etc. zu erwerben, um ganz von vorne anzufangen. Wir müssen uns nicht aber vor weniger Finanzen fürchten, sondern dass die Kirche geistloser wird.

 

1 Schwienhorst- Schönberger, Luger; Artikel: Land/ Land und Gebote in „Wörterbuch alttestamentlicher Motive“ WAM, Darmstadt 2013, S.299ff.

 

2 Luther-Bibel 2017, z. St.



Pfarrer Jörg Coburger
Weissbach
E-Mail: joerg.coburger@gmx.de

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