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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 28.01.2018

Predigt zu Matthäus 25:14-30 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Thomas Reinholdt Rasmussen

Als Gott den Menschen schuf, gab er ihm die Begründung, dass es nicht gut ist für den Menschen, allein zu sein. Der Mensch ist also nach dieser jüdisch-christlichen Auffassung ein Gemeinschaftswesen. Der Mensch ist ein Individuum, zugleich nicht zum Alleinsein geschaffen, sondern dazu, teilzuhaben an Zusammenhängen und Ganzheiten, die uns u.a. zu dem machen, was wir sind.

Der Mensch ist nicht dazu geschaffen, allein zu sein. Und diese Worte haben über Generationen als Überschrift über das Menschenleben gestanden. Das Menschenleben hat sich hier zwischen Individuum und Gemeinschaft abgespielt, und beides ist entscheidend gewesen für die Gesellschaft, in der wir leben.

Denn die Gemeinschaft ist ein Garant der Freiheit gewesen. Das mag paradoxal klingen, ist aber dennoch richtig: Nur durch die Gemeinschaft kann man Freiheit erfahren. Wenn man darüber aus der Perspektive des Individuums spricht, dann ist von Rechten die Rede. Der Freiheit der Gemeinschaft und dem Recht des Individuums.

Freiheit und Recht.

In unseren Tagen, wo sich der Schwerpunkt von der Gemeinschaft zum Individuum verlagert hat, hat sich der Schwerpunkt auch von der Freiheit zum Recht verlagert.

In Dänemark haben wir zurzeit eine große Debatte über die Beschneidung von kleinen Jungen. Viele sind der Meinung, dass das falsch ist. Man darf nicht Kinder beschneiden, wie man sagt. Die Debatte macht zwei Dinge deutlich: Einmal eine Verarmung des geistlichen Niveaus, wo man das nicht aus geistlicher Perspektive sieht. Dann eine abstrakte und oberflächliche Diskussion, die sich überhaupt nicht zu der Frage verhält, was wir dann mit unseren muslimischen und jüdischen Mitbürgern tun sollen bei einem eventuellen Verbot. Wenn man sich nicht seriös auf diese Frage einlässt, dann handelt ist sich um ein Verbot der Beschneidung ohne wirklichen Ernst. Selbst meine ich, dass die Beschneidung problematisch ist, aber ein Verbot noch mehr problematisch. Eine Möglichkeit könnte sein, die Taufe zu propagieren, die jeder in Freiheit annehmen kann, und damit würde Beschneidung bekanntlich von selbst verschwinden. Aber das ist eine andere Sache.

Aber das ist eine grundsätzliche Frage: Wir können an dieser Debatte sehen, dass das Individuum Vorrang hat vor der Gemeinschaft. Das Individuum ist unantastbar, das ist die Gemeinschaft nicht, und die Freiheit, die die Gemeinschaft gewährt, hat sich den Rechten des Individuums unterzuordnen.

Recht geht über Freiheit. Das ist die Lage.

Diese Debatte, und viele andere Fragen in unserer modernen Gesellschaft, sagen uns, dass wir in einer Zeit der Rechte leben und nicht der Freiheit. Einer Zeit, wo das Recht wichtiger ist als die Freiheit und wo das Individuum über der Gemeinschaft steht.

Und vielleicht geht es eigentlich darum im heutigen Evangelium von den anvertrauten Talenten. Ein Mann muss ins Ausland reisen und ruft seine drei Knechte zu sich. Er vertraut ihnen jeder seine Portion Talente an und reist fort.

Die beiden ersten brauchen die Talente und vermehren sie, aber der dritte Mann vergräbt sein Talent i der Erde, so dass er es nicht zurückgeben kann.

Die ersten brauchten ihre Talente und werden von ihrem Herren gelobt, als er heimkehrt. Aber der dritte wird gescholten.

Und die Pointe ist, dass der dritte alles hätte verlieren und alles verspielen können, denn es ist nicht dies, dass er sein anvertrautes Vermögen nicht umgesetzt und vermehrt hat, sondern dass er nichts gewagt hat. Sein Glaube an seinen Herrn hat ihm nicht die Freiheit gegeben etwas zu wagen.

Denn er antwortet ja seinem Herrn, dass er ihn kennt als einen harten Mann, der erntet, wo er nicht gesät hat, und sammelt, w er nicht ausgestreut hat, und deshalb hat er das Talent in der Erde vergraben.

Es war der fehlende Glaube an die Gnade seines Herrn, der ihn seine Freiheit verlieren ließ. Er klammert sich an sein Recht, dass er das Talent bekommen hat, es bewahrt hat und nun zurückgibt. Und er verliert dadurch die Freiheit, etwas zu wagen. Das Wagnis einzugehen, alles zu verlieren, weil er an die Gnade seines Herren glaubt.

Ist es das, was wir in Wirklichkeit heute erleben? Dass wir den Glauben an die Gnade verloren haben und uns deshalb am unsere rechte klammern? Dass wir durch den Verlust des Glaubens an die Gnade die Freiheit verlieren, die der Glaube an die Vergebung schenkt? Und dass wir, indem wir uns an unsere rechte klammern, den Raum der Vergebung verlieren?

Vielleicht. Einiges deutet darauf hin.

Die drei Knechte handelten aus dem daran, wer ihr Herr ist. Dieser Glaube färbt ihr Leben. Ein Glaube an die Vergebung und Gnade verleiht dem leben eine Farbe, die anders ist als ein Glaube an Millimetergerechtigkeit.

Vielleicht sollten wir etwas mehr an die Gnade glauben. Mehr Raum geben, denn die Gnade gibt Raum. Die Gnade schenkt einen Raum, in dem man sein kann und Gemeinschaft haben kann, Gemeinschaft um den Glauben an die Gnade und damit im Glauben daran, dass es eine Freiheit zum Wagnis gibt, Freiheit zu wagen und zu leben. Eine Freiheit auch in den Werken der Liebe einmal Fehler zu machen, denn man glaubt an die Gnade des Herrn.

Das ist das Entscheidende. Dass uns durch den Glauben an die Gnade Gottes in Christus ein Raum geschenkt wird, in dem wir sein können, wo wir einander etwas zutrauen und etwas wagen. Dass wir hier in eine Freiheit gestellt sind. Und wenn wir nur auf die Rechte des Individuums sehen, dann kommt uns das Leben aus dem Blick. Dann wird der Raum enger. Darauf deuten viele unserer Diskussionen und Debatten leider hin.

Wir sollen an die Gnade glauben. Wir sollen im Raum der Gnade miteinander leben. Dem Raum der Gnade, der gerade die Verschiedenheit der Gemeinschaft schenkt.

Glaube an die Gnade – das ist die ganze Aufgabe, denn dann kommt der Rest von selbst. Amen.

 



Propst Thomas Reinholdt Rasmussen
DK 9800 Hjørring
E-Mail: trr(at)km.dk

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