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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Sexagesimae, 04.02.2018

Predigt zu 2. Korinther 12:1-10, verfasst von Nadja Troi-Boeck

Schriftlesung moderne Fassung von 2. Kor 12,1-10 (als Whatsappgespräch in dem sich zwei im Angeben überbieten)



Wir lernen Paul und Levi kennen. Paul und Levi sind zwei junge Männer, so Mitte/Ende 20. Sie sind beide Wissenschaftler auf dem Gebiet der Astrophysik und kämpfen um die Leitungsposition in einer Forschungsgruppe. Levi ist gutaussehend und ein Frauenschwarm. Er kann seine Positionen sehr gut mündlich vertreten und ist für die anderen mit ihren Anliegen immer da. Paul dagegen ist reist viel durch die Welt, hat schon Forschungsaufenthalte in den USA und Neuseeland gemacht. Er ist viel allein. Er leidet an einem Geburtsgebrechen, hat eine Wirbelsäulenfehlstellung und dadurch oft Schmerzen und läuft krumm. Als Kind wurde er deswegen oft gehänselt. Er hat für die Forschungsgruppe neue Ideen, hat aber Schwierigkeiten, sie mündlich zu vertreten. Wenn er seine Paper schriftlich abgibt, wird es eher akzeptiert. Während Paul in Neuseeland war, hat Levi andere Forschungsmethoden eingeführt. Sie unterscheiden sich gar nicht so gross von denen Pauls und da er vor Ort ist und sie gut vertritt, wendet sich die Gruppe seinen Ansätzen zu. Paul ärgert es, dass Levi nun viel mehr Einfluss in der Forschungsgruppe hat und damit so ziemlich klar ist, dass Levi die Leitung bekommen wird. Deshalb hat er noch einmal ein Forschungspaper vorgelegt, damit die Gruppe wieder seinen Methoden folgt. Er war aber selbst nicht anwesend, weil er gerade in den USA für einen Vortrag war, sondern das Paper wurde in der Gruppe gelesen und dann diskutiert. Nach heissen Diskussionen, welche Ansätze nun vorzuziehen sind und ohne einen endgültigen Entscheid zu treffen, gehen die Wissenschaftler_innen auseinander. Am Abend schreiben Paul und Levi sich Whatsappnachrichten auf dem Handy 

(Paul und Levi unterhalten sich im Chat – wird per Beamer an der Leinwand sichtbar)

 

Levi: He Paul, also deine Paper sind ja immer gut, guter Inhalt. Aber deine Live-Auftritte, ehrlich, die sind so schwach. Echt kläglich. Du kannst einfach nicht reden.

 

Paul: Aber es geht doch um die Inhalte. Und meine Ansätze sind wirklich gut.

 

Levi: Vielleicht auch um die Ergebnisse. Ich sage dir, ich habe die Chance in einem Jahr auf die Internationale Raumstation zu fliegen, um dort zu forschen. Da können deine Methoden noch so gut sein. Ich habe das Projekt im Weltall bekommen.

 

Paul: Okay, dann machen wir es auf dieser Schiene: Preisen wir uns selbst. Müssen wir halt, nützt zwar nichts, aber dann will ich mich auch rühmen.

 

Levi: Oha.

 

Paul: Ich bin nicht so schön wie Du, habe nicht so viele Freundinnen, eigentlich gar keine, aber, wenn ich nicht angebe, komme ich wohl nicht weiter: Ich sage die Wahrheit, wenn ich sage, dass ich den richtigen Weg habe. Lach mich halt aus, weil ich stottere, lach mich aus, weil ich krumm gehe.

 

Levi: He Mann, so hab ichs ja nich gemeint.

 

Paul: Ich bin guten Mutes, egal, wie du mich behandelst. Ich bin zwar schwach im Umgang mit anderen, aber mein Wissen ist stark.

 

Levi: Ja is gut, komm wieder runter. Wir besprechen das morgen noch mal in Ruhe, okay?

 

Eine Geschichte, wie wir sie doch alle kennen. Hier sind es zwei Wissenschaftler, aber es könnten auch zwei Mütter sein, die sich rühmen, die besseren Mütter zu sein, oder zwei Kinder, die angeben besser malen zu können. Kinder rühmen sich meistens noch lautstark selbst, sie haben den gesellschaftlichen Codex noch nicht verinnerlicht, dass man das ja nicht macht. Vor allem Mädchen wird aber sehr schnell erklärt, dass sich das nicht gehört. Das Angeben ist deshalb sehr unterschiedlich je nach Geschlecht. Ich sage damit nicht, dass Frauen nicht angeben, oh nein, aber sie machen es meistens anders, subtiler, hintenherum, anders als Männer, denn Jungen werden in der Erziehung oft viel mehr ermutigt Konkurrenz und Hahnenkämpfe auszutragen, zu streiten.

 

Übrigens auch ein Grund, warum es Frauen oft sehr schwer haben in Leitungsfunktionen grosser Firmen zu kommen, weil sie den Konkurrenzkampf anders austragen. Klar heraus zu sagen: Ich mache das besser, das trauen sich Frauen selten. Denn ich weiss noch gut, wie mir meine Grossmutter Moralpredigten gehalten hat, dass sich das nicht gehört. Aber angeben ist etwas sehr menschliches. Und wenn es um den eigenen Status, das Ansehen, den eigenen Erfolg geht, dann wird Angeben plötzlich etwas ganz existenzielles. In unserem Beispiel: Paul und Levi versuchen sich durch das gegenseitige Angeben durchzusetzen. Paul hat die viel schlechteren Karten, denn es ist tatsächlich so, das hat die psychologische Forschung breit nachgewiesen, dass Menschen die gut Aussehen eher Erfolg haben in Gruppen. Paul hat gute Inhalte, aber kann sie nicht rüberbringen. Eine verzweifelte Situation. Was macht er, auch ganz typisch, er weiss, er kann nicht auf derselben Ebene mithalten, wie Levi, gibt zu, wo er schwach ist, aber streicht seine andere Stärke hervor. Ob er sich so durchsetzen kann, das bleibt dahingestellt.

 

Fragen Sie sich inzwischen, warum erzählt sie uns das eigentlich?

Angeben, sich selbst rühmen, um Einfluss streiten, ist etwas sehr Menschliches. Hören wir unsere Geschichte von Paul und Levi noch einmal, aber so wie sie vor 2000 Jahre klang. Leider haben wir die Nachrichten von Levi nicht überliefert bekommen, aber die vom Paul, der damals Paulus hiess.

 

2.. Korinther 12,1-10 (Luther 2017)

1 Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn.

2 Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es nicht; Gott weiß es –, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel.

3 Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es –,

4 der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann.

5 Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit.

6 Denn wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich kein Narr; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört.

7 Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.

8 Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche.

9 Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.

10 Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

Paulus rühmt sich seiner Schwachheit im zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth. Korinth ist eine griechische Hafenstadt. Eine bedeutende Stadt zu Paulus Zeiten, die Gemeinde ist ihm besonders wichtig, schon zweimal hat er sie besucht. Die Kapitel 10-12 sind sehr persönlich und biographisch. Wir bekommen einen Einblick, was Paulus für ein Mensch war. Was war passiert, dass Paulus sich so rühmen muss? Nachdem Paulus Korinth verlassen hatte, haben sich andere Apostel, deren Namen wir nicht kennen, in der Gemeinde engagiert und dort gepredigt. Sie waren sehr erfolgreich, auch sehr beliebt. Hatten ein glänzendes Auftreten und waren präsent.

Von Paulus selbst erfahren wir, dass die Superapostel, wie er sie nennt, auch Juden waren. Sie predigten dieselbe „Gute Botschaft“ wie Paulus. Es war kein Streit um Inhalte. Sondern ein Streit um Ansehen und Einfluss. Denn tatsächlich wurde Paulus vorgeworfen, dass seine Reden erbärmlich seien. Und sein persönlicher Auftritt keinen Eindruck hinterlasse, nur seine Briefe seien voller Kraft. Der Vorwurf war, er wolle die Gemeinde mit den Briefen unter Druck setzen. Es ging aber auch noch um Mehr, nämlich um Geld. Paulus wollte ja, dass die Korinther Geld für die arme Jerusalemer Gemeinde gesammelt hatte. Aber seine Forderung nach einer Grossspende blieb undurchsichtig, wogegen die neuen Apostel nur einen ehrlichen Lohn für ihre Arbeit forderten. Scheinbar wurde Paulus vorgeworfen, er sei zu weit weg und es sei unklar, wofür er das Geld eigentlich wirklich brauche.

Paulus ärgert sich über seine Gegner und ist ziemlich eifersüchtig auf deren Einfluss. Und ich glaube, er war auch verzweifelt. Wie sollte er aus der Ferne seinen Einfluss aufrecht erhalten. Das ist ziemlich schwer, wenn man nicht vor Ort ist. Und wenn es um einen Streit um Macht und Einfluss geht, dass geht es doch immer sehr viel Emotionen. Also verteidigt sich Paulus, versucht es mit der besten antiken Rhetorik und auch mit ziemlich wilden Schmähreden gegen die anderen. Die anderen Apostel würden nur sich selber loben. Und merkwürdige Geschichte über Himmelfahrten erzählen. Dagegen sei er dem Messias viel näher  und habe viel mehr erlitten haben, um ein guter Apostel zu sein - und wir sind es gewohnt, Paulus‘ Argumentation zu folgen und halten diese Gegner Paulus für falsche Apostel.

Aber ist es nicht auch irgendwie nachvollziehbar, dass die Gemeinde in Korinth lieber auf diejenigen hört, die vor Ort gute Predigten halten, die transparent machen, wofür sie ihren Lohn bekommen. Paulus könnte einfach sagen: Okay, es gibt ja nicht nur mich, es gibt andere Apostel und sie machen einen guten Dienst, ich reise weiter. Ach nein, da war ja noch das Problem mit der Spende für Jerusalem. Das hatte er sich zu seiner Hauptaufgabe gemacht und um alles in der Welt will er dieses Geld von den Korinthern, es ist ja für einen guten Zweck. Deshalb beginnt Paulus sich zu verteidigen – indem er sich selbst lobt. Meisterlich ist der rhetorische Schachzug, dass er den Vorwurf der Schwachheit zu seinem Vorteil wendet und sich seiner menschlichen Schwachheit rühmt und sie zugleich mit göttlicher Macht verbindet. Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.

Eigentlich eine schöne Aussage. Normalerweise würde ich jetzt sagen, ja genau so ist es, Christus ist mit uns in unseren Schwächen und Fehlern und macht uns stark. Aber wissen Sie, der Satz stört mich hier, denn missbraucht Paulus die göttliche Kraft hier nicht für seine Rhetorik? Er muss Recht haben, kann nicht zurückstehen und weil er weiss, dass er nicht durch sein Aussehen oder durch seine Reden gewinnen kann, sucht er eine andere Vergleichsebene, die Schwachheit. Er prahlt mit seiner Schwäche, mit seiner Krankheit, seiner Not und ich wette, da reagieren dann die anderen ähnlich wie Levi und sagen, sorry, so hab ichs ja nich gemeint. Denn wie sollen wir sonst reagieren, wenn jemand uns alle Nöte aufzählt, die er durchgemacht hat. Da müssen die Gegner verstummen. Und so schön der Satz auch ist: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Paulus nutzt ihn um seine Gegner zum verstummen zu bringen, und durch die Jahrhunderte wurde er auch genutzt um Menschen zum schweigen zu bringen: Menschen, die aufbegehrten, die stark sein wollten und Nöte verändern. Diesen Menschen wurde der Satz um die Ohren geworfen, sehr oft gerade auch Frauen.

Ach ehrlich ich wäre irgendwie froh gewesen, hätte Paulus anerkennen können, dass die anderen gute Arbeit machen und hätte sie nicht so runtergeputzt. Aber eben, es zeigt, Paulus ist auch nur ein Mensch, und zwar ein sehr eifriger. Er wollte nun mal seine Sache durchsetzen und irgendwie tut er mir ja auch leid in seiner Verzweiflung, denn er hat ja wirklich sein ganzes Herz an seine Arbeit gehängt. Zum Glück sind es ja nur rhetorische Mittel mit denen er kämpft und nicht das Schwert, wie auf unserem Kirchenfenster. Aber scharfe Stiche mit Worten können ebenso verletzen.

Paulus ein eifriger, eifersüchtiger, auch streitbarer Mann. Er hat sich gerühmt und gestritten, wie wir es auch tun. Ja, wir dürfen uns auch ab und zu selbst rühmen, dürfen streiten, auch wir Frauen – aber he, bitte fair bleiben und fair streiten, ohne die anderen mit Hieben und Stichen zum Schweigen zu bringen, das sage ich jetzt zum Paulus und das sage ich zu uns.

Amen

 



Pfrn. Dr. Nadja Troi-Boeck
Regensdorf, Zürich, Schweiz
E-Mail: nadja.troi-boeck@gmx.ch

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