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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 11.02.2018

Predigt zu Lukas 18:31-43 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Elof Westergaard

Ps. 31, 2-6; 1. Kor. 13 und Luk. 18, 31-43

 

Neige deine Ohren zu mir … In deine Hände befehle ich meinen Geist. So betet der alttestamentliche Psalmendichter zu Gott. Der Psalmist redet konkret von Gott. Gott wird als eine Person mit Ohren und Händen geschildert. Er kann zuhören und umarmen.

Gott trägt deutlich menschliche Züge, aber er trägt zugleich mehr und anderes in sich als das, was in einem Menschen wohnt. Er wird auch als der Beständige geschildert, der feste Fels, und als die Burg, deren Mauern gegen alle Feinde standhalten.

Die Doppelheit in der Darstellung von Gott ist für das Verständnis Gottes und seiner Gegenwart in der Welt wichtig. Wir Menschen sehen jetzt zwar nur in einem Spiegel, in einem Rätsel, aber Gott trägt menschliche Züge und Züge aus den mehr festen, stabilen und dauerhaften Elementen der Natur.

Es kann uns schwer fallen, diese Doppelheit im Wesen Gottes anzunehmen und daran zu glauben. Das offenbart der Bericht des Evangeliums an diesem Sonntag von dem Unverstand der Jünger, als sie hören, wie Jesus einen eigenen kommenden Tod ankündigt. Die Jünger zweifeln vermutlich nicht daran, dass Gott Ohren und Hände hat, aber der Gedanke daran, dass Jesus, der eigene Sohn Gottes, gefangengenommen werden wird, verhöhnt und verspottet und misshandelt, um dann an ein Kreuz gehängt zu werden, ist für die Jünger völlig unverständlich. Das sind, so formuliert es der Evangelist, Worte, deren Sinn ihnen verborgen ist.

Gott als eine persönliche Macht mit Ohren und Händen, das ist zu verstehen, aber nur wenn er ein mächtiger König ist, nicht ein hingerichteter Verbrecher. D.h. die Worte Jesu haben für die Jünger keinen Sinn. Sie können nicht sehen, dass der Tod Jesu nur deutlich machen soll, wie Gott Mensch wurde und wie weit er für uns zu gehen bereit ist.

Der blinde Bettler, der draußen am Weg nach Jericho sitzt, kann dagegen – und das ist ganz paradoxal – die Weite und Breite des Seins in der Welt vom Sohn Gottes sehen. Der Blinde versteht nicht nur, sondern glaubt voll und ganz daran, dass Jesus die Barmherzigkeit in seinem Wesen trägt und dass Jesus ihm deshalb sein Augenlicht wiedergeben kann. Und nichts kann den Blinden zurückhalten in seinem Rufen und Schreien nach Jesus. Der Blinde weiß, wer Jesus eigentlich ist. Er sieht ihn als den, der er ist.

Es ist an sich merkwürdig, dass die Jünger, die zusammen mit Jesus Tag für Tag durch die Felder Galiläas und in die Städte ziehen, die Tiefe der Menschlichkeit Gottes in Jesus nicht sehen können. Sie waren vielleicht so sehr auf das Felsenhafte an ihm fixiert, sehen Jesus nur als Autorität, den großen Lehrer und Wunderheiler. Jesus lehrt sie über das Reich Gottes und heilt Kranke, aber was den Jüngern verborgen bleibt, ist die Botschaft des Evangeliums davon, wie weit Gott eigentlich mit uns Menschen gehen will. Die Jünger sehen nicht, was es eigentlich bedeutet, dass der Sohn Gottes geboren wurde und in eine Krippe gelegt wurde, und sie können deshalb auch nicht verstehen, dass sein Leben an einem Kreuz und in einem Grab enden muss. Ohne diesen Weg keine Auferstehung, keine Hoffnung.

 

                                                                     ¤

 

Das ist das Geheimnis des Evangeliums, das den Jüngern und wohl eigentlich auch uns allen schwerfällt. Ich las neulich in den Ich las neulich in den Syllogismen der Bitterkeit des rumänischen Autors und Philosophen Emil Mihai Cioran. Er schreibt spitz folgendes über das Wort Mysterium – ein Wort, dessen wir uns bedienen, um andere zu betrügen, um sie glauben zu machen, dass wir tiefsinniger sind als sie. Cioran sei dafür gedankt, dass er die Gefahr angesprochen hat, die immer mit der Selbstbehauptung des Menschen verbunden ist, und das kann auch gelten, wenn wir die Grenzen sprengende Botschaft des Evangeliums als ein Mysterium hervorheben. Aber diese Kritik ist, aus meiner Sicht, schon in dem Bericht dieses Sonntags enthalten, wenn wir hören, wie die Jünger blind sind, während der Blinde sieht. Die, die nahe am Mysterium sind, die es am besten wissen müssten und es aus der Nähe beobachten, sind eigentlich im Grund blind für die Liebe, die das ganze Wirken und Leben Jesu trägt. Aber der Blinde, den niemand für einen Jünger oder einen tiefsinnigen Menschen hält, sondern nur für einen armen hilflosen Bettler, er sieht alles.

So ist das Evangelium sowohl eine Entlarvung der Blindheit bei uns Menschen und eine Hoffnung auf Sehen für Blinde. Lasst uns das Gebet des blinden Bettlers annehmen: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Im Namen Jesu. Amen.



Bischof Elof Westergaard
Ribe, Dänemark
E-Mail: eve(at)km.dk

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