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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Okuli, 04.03.2018

Der Strick ist zerrissen
Predigt zu 1. Petrus 1:18-21, verfasst von Eberhard Busch

Das ist alles ein einziger Satz, überbordend reich, aber nicht gerade leicht verständlich. Um zu begreifen, um was es da geht, achten wir zunächst auf die Worte: „Wisst, das ihr erlöst seid!“ Ob wir auch nur dies verstehen? Wenn man sich sorgt um einen Mitmenschen oder wenn man wegen der eigenen Gesundheit Befürchtungen hat, und es kommt schließlich doch gut, dann ist man „wie erlöst“. Da kann man aufatmen. Man ist befreit von einer Last. „Wie erlöst“, sagt man und deutet an, dass solche Erfahrungen Gleichnisse sind. Um eine noch andere Erlösung geht es in unserem Bibeltext.

Es ist die Erlösung, die schon in einem Psalm (124,7) besungen wird: „Unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Strick des Vogelfängers. Der Strick ist zerrissen und wir sind frei.“ Meinen wir nicht so schnell, dass wir ohnehin schon freie Menschen sind: Weil wir beliebig dies und das können, was uns gerade in den Sinn kommt! Tatsächlich sind wir so genannten freien Menschen gefangen durch die Bindung an unseren uns anhaftenden Charakter und unser Milieu, in dem wir uns aufhalten; wir sind geprägt durch die herrschenden Meinungen und durch die auf uns berechneten Reklamen, sind gefangen durch die Flut der Irrungen und Wirrungen. Und nun wird uns auf den Kopf zu gesagt: „Wisst, dass ihr erlöst seid!“ Es ist ernst gemeint, ihr könnt tief aufatmen. Eure Fesseln sind euch abgenommen. Erlösung heißt Befreiung.

Gewiss können wir nicht all jenen Bindungen entfliehen. Wir müssen es auch gar nicht. Wir dürfen mitten unter ihrem Zugriff dennoch freie Menschen sein. Und können ihnen je und dann einen kleinen Fußtritt verabreichen oder einen netten Streich spielen. Gewiss ist es auch Ernst mit dem, was der Apostel Paulus sagt: „Wir wandeln im Glauben und nicht, noch nicht im Schauen“ (2Kor 5,7). „Und wenn ich gleich nichts fühle,“ ich habe mir wieder und wieder sagen zu lassen, dass alle irdischen Gewalten trotz allem keine Gewalt über mich haben. Und weil wir das so oft vergessen und weil wir es nicht wahrhaben können, haben wir es eben nötig, dass uns das jedes Mal neu gesagt wird: „Bitte, wisst ihr denn nicht, dass ihr erlöst seid?!“

Wissen wir das? In einem Gespräch äußerte jemand seinen Kummer über eine Predigt, in der unser Christenleben als ein stetes Suchen bezeichnet wurde. Man müsse vielmehr sagen können: „Ich habe nun den Grund gefunden, der meinen Anker ewig hält.“ Was soll man dazu sagen? Fein, wenn du im Augenblick so sprechen kannst! Aber sieh, wenn auf einmal Lasten zu tragen sind, dann halten wir uns nicht mehr daran, dass wir auch jetzt erlöst und befreit sind. Und dann muss es uns aufs Neue zugesprochen werden: „Wenn wir in höchsten Nöten sind und wissen nicht wie aus noch ein,“ dann dürfen wir wissen, dass wir erlöst sind! Und „wenn böse Zungen stechen, mir Ehr und Namen brechen,“ dann halte dich daran, dass du erlöst bist! Und „wenn ich einmal soll scheiden“, so ist es selbst dann mir ein letzter Trost, dass ich auch jetzt nicht von Gott und allen guten Geistern verlassen bin.

Warum dürfen wir denn so gewiss sein, dass wir schon erlöst sind, selbst wenn wir, dem Augenschein nach, noch so tief in Unerlöstheiten stecken? Woher wissen wir das? Wir wissen das nicht, wenn wir auf uns selbst blicken, auf unsere vermeintlichen oder tatsächlichen Vorzüge oder religiösen Anlagen. Aber schauen wir auf unseren Erlöser, Jesus Christus! Auf ihn weist uns ja unser Bibelwort hin: „Ihr seid erlöst – nicht mit vergänglichem Silber und Gold, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.“ Hört, es gibt für uns einen Schatz, der wertvoller und haltbarer ist als selbst Silber und Gold, das uns das Beständigste dünkt und das uns doch aus der Hand geschlagen werden kann. Unsere Befreiung erfordert einen viel höheren Preis. Sie kostet mehr, als wir es je bezahlen könnten.

Jetzt wird die Grenze sichtbar, die eine der gewaltigsten Großmächte dieser Welt hat: Silber und Gold, die Geldmacht, der Finanzmarkt, so wichtig, dass wir in den Nachrichten Tag für Tag über den Stand der Börse informiert werden, über den Dax und den japanischen Nikkei-Index. Mein einstiger Mathematik-Lehrer pflegte bei sonst für uns unlösbaren Aufgaben zu sagen: „Mit Geld geht’s immer“. Hat er nicht recht? Leben wir nicht in einer Welt, in der mit Geld alles zu ergattern ist? Wie schon der Dichter Goethe sagte: „An dem Gelde hängt, / an dem Gelde klebt doch alles“! Warum rennt denn alles dem Geld nach, ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Beachtung derer, die dabei unter die Räder kommen?! Wohl darum, weil man von Geld und Gut und Besitz sich das verspricht: Erlösung! Befreiung! – vom Druck all der Kümmerlichkeiten. Wir verstehen, warum Jesus das Geld einen Gott genannt hat, den Mammon-Gott (Mt 6,24).

Aber eben, nun zeigt sich die Überlegenheit des wahren Gottes über diesen Gegengott darin, dass die Geldmacht an ihm auf ihre Grenzen stößt. Er bürgt dafür, dass es jedenfalls Eines gibt, das für niemanden käuflich ist. Hier wird die Geldmacht geradezu ohnmächtig. Hier erweist es sich, „wie aller Welt Macht, Ehr und Gut / vor ihm nichts gilt, nichts hilft noch tut“ (Martin Luther). Genau hier dürfen wir hinschauen zu dem, der das, was wir nicht vermögen, vollbracht hat. Er hat den Preis für unsere Befreiung bezahlt. Das kam für ihn teuer zu stehen. „Sein Bestes ließ er’s kosten“, heißt es im Lied. Und die Bibel sagt: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eigenen Sohn hergab“ (Joh 3,16). Genau das ist der Preis, den wir nicht zahlen können, den jedoch der heilige Gott zahlt – zu unsrer Entlastung.

„O Lamm Gottes unschuldig, ... all Sünd hast du getragen, sonst müssten wir verzagen.“ Und der Komponist Johann Sebastian Bach hat angesichts dessen gesungen: „Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn, ist uns die Freiheit kommen. Denn gingst du nicht die Knechtschaft ein, müsst unsre Knechtschaft ewig sein.“ Das, was uns eine schwere Last ist, die Seufzer und die Tränen, die Irrungen und Wirrungen hat er weggeschafft. So ist er unser Erlöser, der „Durchbrecher aller Bande“ (Gottfried Arnold). So hat er uns erlöst – so, dass wir nichts dazu beitragen konnten. Für uns ist dies gratis. Aber denken wir nur ja nicht, dass sie darum eine billige Sache ist. Dietrich Bonhoeffer hat gesagt: Gottes Gnade ist eine teure Gnade – teuer, weil unsere Erlösung erworben ist mit dem „teuren Blut Christi“, weil sie Gott selbst verwundet hat.

Wir leben in einer Zeit, in der man enorm billige Produkte kaufen kann. Das ist auch eine Folge der Herrschaft der Geldmacht: Billigprodukte, die wenig kosten, die uns darum zum Kauf anlocken. Doch kaum ausgepackt, sind sie schon zum Wegwerfen. Ganz im Gegensatz dazu ist unsre Erlösung kein Billigprodukt. Sie ist erworben durch das Allerteuerste, wertvoller als Gold und Silber. Erworben durch Gottes eignes Herzblut, durch den, der von allem Anfang an zu seinem Einsatz für uns parat war und der kraft der Auferweckung Christi noch nach unserem Ende uns heilsam mit seiner Liebe umfängt. Seine Gabe ist „unzerreissbar und unzerstörbar, unverwüstlich, wetterfest, lichtecht, waschecht“ (Walter Lüthi). Und wenn alles hinfällig wird, dieses Eine nicht: Ihr könnt euch darauf verlassen, „dass ihr erlöst seid.“

Gut, aber nun gibt sich unser Bibeltext damit nicht zufrieden. Er sagt uns: Solches Erlöstsein wird sich bei uns kundtun in einem Lebensstil, in dem wir uns jetzt auch benehmen als Erlöste. Wenn Dietrich Bonhoeffer gerufen hat zur Erkenntnis der teuren Gnade, so hat er den Finger sogleich darauf gelegt, dass diese Gnade auch uns etwas kostet. Er schrieb: Teuer ist die Gnade, weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist. Teuer ist sie, weil sie uns in die Nachfolge Jesu ruft. Teuer ist sie, weil sie uns das Leben kostet, nämlich das allzu bequeme bisherige Leben. So sagt es in der Tat unser Bibeltext: „Ihr seid erlöst von eurem sinnlosen Leben, das ihr nach alter Weise geführt habt.“ Ihr seid erlöst von dem packenden Zugriff des Mammon. Ihr seid frei von den Stricken der Geldmacht. Sie ist euch nicht länger attraktiv. Ihr seid so davon erlöst, dass beim Spenden aufsmal eure Linke nicht mehr weiß, was die rechte Hand tut (Mt 6.3). Unsre Nächsten bekommen da etwas Gutes zu sehen.

Bekommen sie es? Der Philosoph Friedrich Nietzsche bemerkte einst: „Erlöster müssten die Erlösten aussehen, damit ich an ihren Erlöser glauben könnte.“ Steht es heute damit besser als einst im 19. Jahrhundert? Wenigstens der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch hat gedichtet: „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit, / Gott nahm in seine Hände meine Zeit.“ Und kürzlich standen in den Herrnhuter Losungen seine Worte: „Jeder soll es sehen und nach Hause laufen und sagen: Er habe Gottes Kinder gesehen und die seien ungebrochen freundlich und heiter gewesen ...“ Also denn: Wisst ihr, dass ihr erlöst seid, so benehmt euch danach!



Prof. Dr. Eberhard Busch
Friedland, Deutschland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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