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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 29.03.2018

Tischmanieren - entspannt
Predigt zu 1. Korinther 10:16-17, verfasst von Jochen Riepe

I

Sich zurücklehnen und entspannen. Die Stille eintreten lassen. Andacht. ‚Gott ist in der Mitte /, alles in uns schweige‘ (EG 165,1) haben wir eben mit Gerhard Tersteegen gesungen. ‚In der Ruhe liegt die Kraft‘, sagt der Weise. ‚Maranatha - Unser Herr, komm(t)‘, riefen die Korinther bei ihren Gottesdiensten (1.Kor.16,22).

II

Ich habe die Seminarsitzung nie vergessen. Als die Studenten allzu eifrig, allzu besserwisserisch und unduldsam, ja, ‚über‘ Gott sprachen, unterbrach der Professor: ‚Seien Sie vorsichtig, er könnte Ihnen ja zuhören‘. Nicht wahr, du redest über jemanden, redest und redest, und endlich geben dir die anderen ein Zeichen, daß der hinter dir steht … Erschrecken, Scham, betretenes Schweigen, gewiß... Damals im Seminar geschah aber auch noch etwas anderes: Ein stilles Aufatmen, Innehalten, eine Ahnung von der Verantwortung für das eigene Sprechen, von der Verantwortung gegenüber dem, von dem man spricht, und für die, mit denen man spricht. Von Gott sprechen ist doch immer zuerst ein zu und vor Gott sprechen.

III

Wenn Christen miteinander das Abendmahl feiern, wenn sie den Kelch segnen und das Brot brechen, dann geschieht dies in der Gegenwart Christi – er ist ‚als Princeps, Tischherr und Gastgeber personal zugegen‘*. Wir sitzen mit ihm zu Tische. ‚Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?‘ Menschen können aus vielen Gründen zusammen kommen und miteinander tafeln. Wenn sie in der Gemeinde das Mahl feiern, dann um die Gegenwart ihres Herrn zu erfahren und in ihm, bei ihm ein Leib zu werden.

Gegenwart Christi: Wie die Korinther damals sind auch wir unterschiedliche Menschen, mit anderen, mitunter kontroversen Meinungen, anderen Gaben, Sorgen und Erwartungen. Am Tisch des Herrn, des Gekreuzigten und zu Gott Erhöhten, in seinem gastgebenden Geist entsteht ‚Kirche‘ – ecclesia,‘ die Herausgerufene‘, für eine begrenzte Zeit in einem begrenzten Raum. Ja, wirklich: der ‚Garten Gottes‘ (3,9) oder wie Paulus auch sagen kann: der ‚Tempel Gottes‘ (3,16), ein wertvoller, kostbarer, ja: exklusiver Ort, den der Herr eifersüchtig bewacht (10,22). Ein Ort der Freiheit und doch nicht der Beliebigkeit: ‘Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf‘(10,23), ein Ort schließlich, den man wehrhaft gegen Eindringlinge verteidigen muß.

IV

Das Letzte klingt hart, angestrengt - fast schon ‚verbissen‘. Ist das nicht bei Tisch etwas ‚zu viel des Guten‘? Paulus wirbt deshalb um Einsicht. Er appelliert an die Urteilskraft der Gemeinde. Etwa so:   Die ‚Atmosphäre‘, der Geist der Christus-Gegenwart ist wahrhaft ‚kraft-voll‘, ,eine Aufladung der interpersonalen Begegnung‘**, ein Machtbereich, in dem Menschen Rettung und Heil erfahren, aber keine Rettung ohne kritische Unterscheidung, ohne ‚Kränkung‘ ***. Keine Inklusion ohne – erschreckt bitte nicht! - Exklusion (5,13): ‚Verstoßt ihr den Bösen aus eurer Mitte‘. Und das beginnt selbstkritisch mit dem eigenen Bösen: ‚Herr, bin ich’s?‘ Wo der Herr der Gastgeber ist, wo wir mit ihm / in ihm den Kelch segnen und das Brot brechen, da müssen andere Mächte - der Apostel spricht von Götzen und Dämonen - weichen. Da werden Hochmut und ‚Eitelkeiten‘ (EG 165,3) vergehen. Da werden schließlich unsere persönlichen Vorzüge, Erkenntnisse und Fähigkeiten vor der Liebe zurücktreten oder besser: in ihr ‚getötet‘, verwandelt und gestaltet werden. Das ist ein Grundsatz der Kirchen- und Abendmahlslehre: ‚Die Erkenntnis bläht auf, aber die Liebe baut auf‘ (8,1).

Um welche Konflikte ging es damals in Korinth? Es reicht, zu wissen: Es gab in der Kirche zu allen Zeiten Menschen, Brüder und Schwestern in der Gemeinde, die andere bevormunden, kommandieren oder dominieren wollen - ‘Herr, bin ich’s?‘ Menschen, die vielleicht nicht einmal zu Unrecht stolz darauf sind, was sie können oder was sie als ‚Freigelassene‘ (7,22) in Christus erkannt haben. Paulus‘ Punkt ist: Am Tisch des Herrn ist etwas anderes wichtig. Gemeinsames Essen bei diesem Tischherrn ist das Ende von Belehrung, Erziehung oder Manipulation. Im Gottesgarten gibt Gott selbst das ‚Gedeihen‘.

V

Stille sein. Entspannen. Beten, Hören und Segnen. ‚Seien Sie vorsichtig‘, sagte der Lehrer, ‚der Gott, über den Sie so gut Bescheid wissen, er könnte Ihnen ja zuhören…‘ 

Gewiß, das will bedacht sein: Es gibt eine ‚Präsenz‘, die ist bedrückend und einschüchternd. ‚Unser Herr, komm(t)‘ - der gottesdienstliche Ruf der Korinther wird manchen Älteren vielleicht an die Kindheitsrufe erinnern: ‚Vater kommt !‘ Oder: ‚Der Lehrer kommt!‘ und dann galt es, schnell umzuschalten, Platz zu nehmen, die Augen niederzuschlagen und ein braves Kind zu sein. Es gibt auch heute Autoritäten, deren Auftreten und Anspruch, deren ‚Ausstrahlung‘ eben, andere buchstäblich mundtot macht. Denkverbote. Sprechverbote. Und das nicht nur bei den Kindern der Welt, sondern mitten in der Kirche Christi.

Dann aber wird die Gegenwart Christi eine Unheils-Gegenwart, ein Kuschen, ein ‚Sich-unterwerfen‘ vor dem, nein: nicht vor dem Herrn, sondern seinen anmaßenden Dienern oder Vertretern. Wie kann es sein, daß in vielen Gemeinden und Dienststellen der Freimut zur Rede – aus dem Paulus (2.Kor.3,12;7,4) und auch Petrus (Apg 4,13 ) lebte – unterdrückt wird? Dass Kontroversen in den Presbyterien gescheut werden aus der Angst davor, man würde Beifall von der falschen Seite bekommen? Dass in den Dienstgesprächen die Meinung eines Vorgesetzten unhinterfragt oder unwidersprochen bleibt, weil keiner sich die Gegenrede traut? Dann kommt sie, diese verordnete Stille, macht sich breit und tötet alle Lebendigkeit ab.

VI

Paulus geht es um eine andere Stille. ‚Denn ein Brot ist’s: So sind wir viele ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben‘. Diesen Satz werden wir gleich ‚sehen und schmecken‘. Im einen Brot werden wir einer Gemeinschaft teilhaftig, in der Christus uns zusammen schließt zu einer Gemeinde – und zwar zu einer ‚Gemeinde der vielen‘: ‚Ein Leib – viele Glieder‘ (12,12). Viele, wenn sie mehr sein wollen als eine empörte Menge, eine bedrückte Versammlung, eine gewalttätige Rotte oder eine räuberische Bande, bedürfen der Ordnung (manchmal auch der Einordnung) und dies ist für den Apostel die Ordnung der Liebe. Die Gegenwart Christi ist die Gegenwart seiner Liebe. In ihrem Kraftfeld gelingt Gemeinde, sofern jeder in ihr im Liebes-Geist die Gabe empfängt, sich selbst zurückzunehmen, zu verzichten: Das Brot des Lebens – das Brot der Demut. Ich muß keine Angst um mich haben. Die Macht der Sorge (7,32) muß weichen. Der Kiefer darf sich lockern.

Man hat dies die ‚geist-liche‘ Gabe ‚freier Selbstzurücknahme‘ (M.Welker) genannt. Keine Tisch – oder keine Tafelkultur ohne soz. entspannte Tischmanieren, ohne Takt und Höflichkeit. Eine gelassene, englische, ‚Anstellkultur‘ statt Geschubse und Gedränge, wie es neulich der Leiter der ‚Essener Tafel‘ nannte (SZ vom 23.2.18). So wie der Herr uns ‚aufwartet‘ (11,33), warten wir aufeinander und warten einander auf! Übrigens: Paulus schildert im 1. Korintherbrief im Kapitel zuvor, wie sein Dienst als Apostel diese Selbstzurücknahme sehr konkret– in seinem Portemonnaie nämlich - ‚ausweist‘: Er hätte wie andere Diener der Religion für seine Arbeit durchaus Lohn bzw. Bezahlung verlangen können (9,14f). Er hat es aber ehrenamtlich getan so wie die, die uns heute den Tisch deckten.

VII

Darum also wollen wir bitten: Um Christi Gaben, um seine wohltuenden Worte, in deren Gegenwart man sich zurücklehnen, andächtig werden – und auch sich freiwillig einordnen kann. Stille. Empfangsbereitschaft. Die Christus-Gegenwart und -Gastgeberschaft ist bei aller Wehrhaftigkeit doch ihren Tischgenossen gegenüber dezent. Aufmerksam, gewiß, und zurückhaltend zugleich. ‚Strenge die Wahrheit nicht allzu sehr an‘, rät Bert Brecht: ‚Sie verträgt es nicht‘.****

Gelungene Tischgemeinschaft im Garten Gottes, im Tempel Gottes, das ist die Fähigkeit, hier und jetzt, in der ‚kurzen Zeit‘(7,29), den anderen als meinen Bruder, als meine Schwester anzunehmen, ihn und sie zu grüßen (16,20) und mit ihm und ihr das Brot zu teilen. Unser Glaube hat gewiß einen weiten, einen ‚Welt-Horizont‘, aber gewiesen sind wir zunächst einmal an den – Nächsten (5,10), und das ist der, der am Tisch neben mir sitzt. Am anderen findest du deine Grenze, oder besser: dein Gegenüber. Die Liebe ist der Leib der Freiheit.

VIII

Maranatha. Seien wir also vorsichtig. Er könnte uns ja ernst nehmen, den Ruf hören, ,… selbst das Brot uns brechen‘ (eg 225,2) und den Kelch reichen. Könnte? Die Verheißung ist: Er wird es tun. ‚Unser Herr kommt‘.

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*s. P. Lampe, Vielfalt als intrinsisches Merkmal frühen Christentums, S.55 (in: K. Viertbauer, F. Wegscheider (Hg),Christliches Europa ? Religiöser Pluralismus als theologische Herausforderung,2017 )

**s. M. Josuttis, Segenskräfte. Potentiale einer energetischen Seelsorge, 2000, S. 105

***‘den alten Menschen kränke‘, sang Elisabeth Cruciger 1524 (eg 67,5)

****Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band, 9. Aufl. 1997, S.1017: ‚Sag nicht zu oft, du hast recht, Lehrer! / Laß es den Schüler erkennen! / Strenge die Wahrheit nicht allzu sehr an: / Sie verträgt es nicht. /Höre beim Reden!  Fragment.‘



Pfr. i. R. Jochen Riepe
Dortmund, Deutschland
E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

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