Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 29.03.2018

Der Gastgeber Jesus Christus lädt alle ein
Predigt zu 1. Korinther 10:16-17, verfasst von Klaus Wollenweber

16 Beim Mahl des Herrn trinken wir aus dem Becher, für den wir Gott mit einem Dankgebet preisen. Bedeutet das nicht, dass wir alle Anteil an dem haben, was das Blut Christi für uns bewirkt hat? Wir brechen das Brot in Stücke und essen davon. Bedeutet das nicht, dass wir alle Anteil an dem haben, was Christus durch die Hingabe seines Leibes in den Tod für uns getan hat?

17 Es ist ein Brot, und weil wir alle von diesem einen Brot essen, sind wir alle – wie viele ´und wie unterschiedlich` wir auch sein mögen – ein Leib.

 

Liebe Abendmahlsgemeinde am Gründonnerstag,

vor wenigen Wochen sah und hörte ich einen Bericht im Mittagsmagazin des Fernsehens über das Thema „Einsamkeit“. Es wurde darüber informiert, dass Einsamkeit in unserer Gesellschaft nicht nur ein häufig auftretendes Problem bei Senioren ist, sondern ebenso schon bei Jugendlichen und besonders vermehrt bei alleinstehenden Erwachsenen vorkommt. Denn diese sind in der Woche intensiv und stark beschäftigt, aber sitzen dann am Wochenende allein in ihrer Wohnung. Dort haben sie keinen Ansprech-partner, keine Ansprechpartnerin, wobei die digitalen Möglichkeiten die persönliche Kommunikation und Nähe nicht ersetzten können. In England, so wurde weiter berichtet, hätte Premierministerin Theresa May bereits eine „Ministerin für Einsamkeit“ berufen, um der zunehmenden Vereinsamung von großen Teilen der Bevölkerung entgegenzuwirken.

Nicht von Einsamkeit, sondern von Gemeinschaft spricht der für den heutigen Abendmahlsgottesdienst vorgeschlagene biblische Text. Jedoch sind die einsamen Menschen in gleicher Weise angesprochen. Ist uns aufgefallen, dass Paulus ausdrücklich von „wir“ schreibt, von der Gemeinschaft, die durch das Abendmahl gestiftet wird? Aber sind wir hier wirklich eine fest zusammengefügte Gemeinschaft wie die zwölf Jünger? Sicher gibt es unter uns einsame Menschen, genauso wie ganz individuelle Personen, die gerne allein sind und doch auch zeitweise eine Gemeinschaft mögen. Ich weiß auch von Gemeinde-mitgliedern, die bewusst zu diesem Abendmahlsgottesdienst am heutigen Gründonnerstag  kommen und die sich gerade in dieser gottesdienstlichen Gemeinschaft wohlfühlen.

 Ich erinnere daran, dass das Passahmahl, das Jesus am Abend vor seiner Verhaftung und Kreuzigung mit seinen Jüngern gefeiert hat, im Judentum bis heute ein Gemeinschaftsereignis ist. Alleine kann man nicht Passah feiern. Ja, es ist geboten, dass man zum Passahfest Nachbarn mit einlädt, wenn man selbst in seinem Haus zu wenige Personen zählt. Die urchristliche Gemeinde hat diese Tradition übernommen: das christliche Abendmahl ist ein Gemeinschaftsmahl; ich kann nicht allein Abendmahl feiern! Wir stehen in dem gemeinschaftlichen Kreis um den Altar und nehmen Hostie oder Brot von dem einen Teller und trinken aus dem einen Kelch, bzw. tauchen die Hostie in den Kelch. Wir sind ganz verschiedene Menschen, aber uns verbindet die eine selbe Handlung. Möglicherweise unterscheiden uns auch die Glaubensvorstellungen im Blick auf die Anwesenheit Christi im Abendmahl, wir sind jedoch alle gemeinsam ohne Unterschied am Tisch des Herrn Gäste des Gastgebers Jesus Christus. Er ist der Hausherr, der Herr des Verfahrens, der die Gemeinschaft stiftet.

Liebe Gemeinde, ich finde dies ganz wichtig: Bei der Feier des Abendmahls ist Jesus Christus der Gastgeber, - nicht die Kirche, nicht der Pfarrer, nicht der Priester. Das bedeutet, dass wir uns auch nicht die Rolle eines Gastgebers zueignen oder anmaßen dürfen. Wir können nicht beurteilen und festlegen, wer zum Empfang würdig genug ist und wer möglicherweise für die Gemeinschaft unwürdig dabeisteht. Es steht keinem von uns zu, jemanden vom Empfang der Gaben und somit von der Gemeinschaft mit Christus auszuschließen. Jeder Gast selbst entscheidet für sich, ob sie oder er die Einladung zur Gemeinschaft am Tisch des Herrn annimmt. Für christliche Abendmahlsgemeinschaften kann es keine Ausgrenzungen, keine Abgrenzungen und schon gar keine konfessionelle, rassische oder andere diskriminierende Grenze geben. Eine Entscheidung, ob ein Mensch zur Teilnehme „würdig“ ist oder nicht, liegt nicht bei uns. Der Gastgeber Jesus Christus lädt  a l l e  ein!

Wenn wir Christen das letzten Passahmahl Jesu mit seinem Jüngern zur Grundlage unseres Abendmahls machen, dann dürfen wir uns auch daran erinnern, dass mit seinen Jüngern der Judas dabei war, der Jesus anschließend verraten hat, und der Petrus, der Jesus kurze Zeit später dreimal verleugnete, und die anderen Jünger, die alle aus Angst und Schrecken abgehauen sind, und nicht zu vergessen der Thomas, der bis zuletzt an der Auferweckung Jesu gezweifelt hat. Verrat, Verleugnung, Angst und Zweifel – das ist doch die weite Palette auch unserer Emotionen und Handlungsweisen, die immer wieder unsere mitmenschliche Gemeinschaft beeinflussen und zerreißen, zumindest in der Praxis das Zusammenleben schwierig machen. Diese Unvollkommenheit unserer Gemeinschaften ist damals wie heute in unserer Gesellschaft Realität. Was wir allerdings in unserem Lebensumfeld sehen und erfahren, was wir verstehen und für wahr halten, ist nicht alles, was diese Realität unseres Lebens ausmacht. Es gibt existentielle Not und Schuld, Leidvolles und Grausames, das schwer sagbar und nicht darzustellen ist und das wir dennoch in uns und mit uns tragen. Zum Abendmahl können wir diese persönliche Last mitbringen. Da muss niemand Skrupel haben, er könne der Einladung Jesu zu seinem Mahl nicht folgen. Denn schlechter als die Jünger damals sind wir heute auch nicht.

Der Gastgeber gibt uns Brot und reicht uns den Kelch. Das ist ja nicht viel, aber Paulus betont, dass es nicht nur etwas Materielles ist, sondern dass Jesus uns damit Anteil gibt an seiner ganzen Lebensgeschichte, die den Tod und die Auferstehung mit einbezieht. Brot und Wein sind Segensgaben, die uns teilhaben lassen an Gottes Liebe zu uns in unserer eigenen zerrissenen Lebensgeschichte. Mit der Abendmahlsfeier leuchtet schon das ferne heilvolle Zusammenleben von uns unterschiedlichen Menschen mit Gott in der Ewigkeit auf. Als Gäste nehmen wir jetzt nicht nur am Mahl teil, sondern wir sind ein Teil des gemeinsamen Erlebens: wir sind mit dem auferstandenen Christus verbunden. Wir haben im Abendmahl teil an der Auferstehung Christi. Das Wie dieser Auferstehung bleibt jedoch ein Geheimnis unseres christlichen Glaubens.

In ähnlicher Weise bleibt jeder Mensch auch ein Geheimnis. Was macht denn unsere Persönlichkeit aus? Ist es allein der sichtbare äußere Körper? Nein! Zu jedem Menschen gehört auch Seele und Geist. Und dann gibt es noch eine vom Menschen ausgehende Strahlkraft, die nicht sichtbar, eher spürbar ist. Diese kann sich positiv auf die menschliche Gemeinschaft bei der Abendmahlsfeier auswirken.  Sichtbar ist jedoch oftmals, dass wir uns im Abendmahl meist sehr distanziert zueinander verhalten. Und wenn wir dann bedrängt werden, gerade im Abendmahl mehr Nähe zueinander zu praktizieren, dann kann dies eher unangenehm sein, als dass es dem Gemeinschaftsgedanken förderlich dient. Es fällt vielen Menschen aufgrund ihrer religiösen Tradition schwer, im Kreis der Teilnehmenden am Altar einander anzusehen und einen freundlichen Blick oder gar ein Wort zu wechseln.

Ich frage aus meiner Erfahrung und vielen Gesprächen in Gemeinden heraus: Hat das Abendmahl in seiner Heiligkeit und traditionellen Feierlichkeit mehr den Charakter einer rein rituellen Gemeinschaft? Das mag von außen her so aussehen. Denn wir sind eine Gruppe von Menschen, die sich wenig oder gar nicht kennt. Aber der Glaube verbindet uns, und die Gegenwart Jesu Christi stärkt unser Leben allein und miteinander. Weil wir alle an dem Leben Jesu teilhaben, sind wir dennoch nicht automatisch alle gleich. Wir bleiben verschieden – auch im Glauben. Das ändert nichts daran, dass wir alle eingeladen sind. Wenn wir jedoch  an Tod und Auferstehung Jesu Christi  glauben und  auf die eigene Auferstehung hoffen, dann sind wir hier schon eine Gemeinschaft der mit Christus versöhnten Menschen; wir bilden in aller Verschiedenheit eine Einheit in den Augen des Auferstandenen. Wir Gäste des Gastgebers Jesus Christus können im Kreis der am Abendmahl Teilnehmenden aufatmen, brauchen uns nicht zu verstecken. Wir sind eingeladen, alles, was unser Gewissen belastet, was uns Angst bereitet und was uns befangen macht, beiseite zu werfen. Wir sind eingeladen, uns in unserer Verschiedenheit angenommen und ernst genommen zu fühlen. Wir gehören zusammen, weil die Nähe Christi uns zusammenführt.

Deshalb ist die Tischgemeinschaft mit Jesus Christus und untereinander mehr als essen und trinken. Jesus Christus selbst bildet die Gemeinschaft mit uns und zeigt uns in Brot und Wein seine irdische Verbundenheit mit uns. Das ist ihm über den Tod hinaus so wichtig. Seine Gemeinschaft mit uns ist keine gefährdete Gemeinschaft, sondern von seiner Seite aus eine fest zugesagte und verbindliche. Als Antwort in unserem Leben preisen wir Gott mit unserem Dankgebet. Er nimmt uns im Abendmahl in unserer eigenen Situation des Lebens an.  Er lässt uns zeichenhaft daran teilhaben, dass er uns bedingungslos liebt. Wir sind dankbar, dass Gott barmherzig mit unserer schuldhaften, zerrissenen Lebensgeschichte umgeht. Wir vertrauen auf Jesus Christus.

Mit unserer möglichen Einsamkeit und unserer Individualität sind wir mitten im Abendmahlsgeschehen und erfahren gemeinsam das Angebot zur Gemeinschaft. Uns allen sollen im Abendmahl nicht nur Augen und Ohren geöffnet werden, sondern auch Hände, Herz und Verstand für den Menschen an unserer Seite. Auch mit dem, die sich dann trotz allem vom christlichen Glauben abwendet und lieber in seiner Einsamkeit bleibt. Die Schriftstellerin Luise Rinser hat einmal gesagt:

„Den Nächsten lieben heißt: für ihn hoffen. Das bedeutet, ihn erkennen als einen Weggefährten, als einen Schicksalsgenossen, auf den ich angewiesen bin und für den ich verantwortlich bin.“

Liebe Gemeinde, Gott selbst schenkt uns die Kraft, in dieser menschlich gefährdeten, aber göttlich verbindlichen Gemeinschaft zu bleiben und zu wachsen. So gilt jedem und jeder Einzelnen von uns und zugleich gemeinsam uns allen die Aufforderung: Kommt und spürt mit Leib, Seele und Geist, wie freundlich der Herr ist.

Amen



Altbischof Klaus Wollenweber
Bonn, Deutschland
E-Mail: Klaus.Wollenweber@kkvsol.net

(zurück zum Seitenanfang)