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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 30.03.2018

Predigt zu Lukas 23:26-49(dänische Perikopenordnung), verfasst von Kræn Christensen

Um am Karfreitag in die Kirche zu kommen, geht man durch den Friedhof, wo Grabsteine und Kreuze uns erzählen, dass der Tod eine wirkliche und unumgängliche Tatsache für uns ist. Der Friedhof und die Steine sprechen zu und mit uns. Sie halten ihre eigene stumme Predigt für uns. Kirche und Friedhof sprechen miteinander, sie sind im Dialog. Und sie würden je für sich gleichsam amputiert sein, als halbe Botschaft und nicht die ganze Wahrheit, wenn der Weg zur Kirche nicht über den Friedhof führen würde. Nun sind wir in der achteckigen Kirche von Hjerting (Esbjerg), die tausende von Kilometer weg von Jerusalem und damit auch von der Grabeskirche liegt, die über dem Grab Jesus errichtet wurde. Man kann die achteckige Kirche von Hjerting eine symbolische Nachahmung eben der Grabeskirche nennen. Und die Zahl acht ist ein Zeichen für die Ewigkeit, viele Taufbecken und Taufkapellen waren eben aus diesem Grund achteckig.

   Und die Pointe und Symbolik dieser „Nachahmung“ ist in all ihrer Einfachheit und Größe: Wenn wir eine Kirche betreten, dann begeben wir uns als Getaufte in eine Gemeinschaft, denn wir sind auf den Tod – und die Auferstehung des Herrn getauft. Ob es sich nun um die Grabeskirche handelt oder die Kirche von Hjerting.

  Deshalb ist die Kirche von Hjerting, die dicht am Wattenmeer liegt, ein so schönes Ziel für Besucher, da sie wie das Wattenmeer eine „Speisekammer“ für durstende Seelen ist. Oder anders gesagt: Im tiefsten Leid können wir der Macht begegnen, die uns wieder aufrichten kann. Hier versammeln wir uns im Glauben daran, dass aus Leiden und Elend durch die Hilfe Gottes Leben erwachsen kann. Die Sache ist die, dass wir stets die Finsternis, das Leiden und den Tod des Karfreitags mit uns tragen – und die tiefe Sehnsucht nach neuem Licht und Leben.

   Das Kreuz, das wir nach der Taufe mit uns tragen, ist ein lebendiges Kreuz, das für mich der stärkste Ausdruck für das ist, was Ostern bedeutet. Ostern kommt zu dem Zeitpunkt im Jahr, wo Finsternis und Licht noch immer um die Macht kämpfen. Die Dunkelheit und das Grau des Winters hinterlassen bei uns ein Gefühl, dass nun bald etwas geschehen muss – aber ist da nicht eine Wahrheit in den Worten, die uns erzählen: Je tiefer man sich in die Nacht bewegt, umso näher kommt man dem Morgen?

   In dieser Weise vergegenwärtigt Ostern dasselbe Motiv, das wir immer wieder im Christentum und im Kirchenjahr finden. Wenn du am meisten niedergeschlagen bist, wenn du nicht ein noch aus weißt, wenn du schließlich die Hände herunterfallen lässt, dann ist endlich die Zeit gekommen, wo Gott Neues wachsen lässt. Es macht Sinn, dass das Wort vom Weizenkorn, das in die Erde gelegt wird und stirbt, damit wieder Leben wachsen kann, eines der beliebtesten Motive aus dem neuen Testament ist, weil es genau unseren Erfahrungen entspricht.

  Wir begegnen dem Motiv heute wieder am Karfreitag, wo es – verborgen – irgendwo in der Finsternis beginnt und einem neuen Tag entgegengeht. Wir hören von dem Versagen der Menschen, damit dies geschehen kann, und wir hören von der Ohnmacht der Frauen. Wir hören von angstvollen und ratlosen Menschen. An all diese Menschen – an uns richtet sich das Wort des Offiziers: „Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen“. Mit diesen Worten wollen sie und wir Mut fassen. Wenn es nicht länger möglich ist, die Augen vor dem Tod zu verschließen, da sollen wir das Haupt erheben und erkennen: Nun kann ich selbst nichts mehr tun, und ich muss alle Sorgen fahren lassen, mich dem Tod von Ostern hingeben, denn eben dort geht es um die Kräfte des Lebens.

  Manchmal muss man sich unweigerlich fragen, ob die eigene Sorge und Mutlosigkeit, ja überhaupt das ganze Gejammer in unserem Teil der Welt damit zu tun hat, dass wir diesen Gedanken nicht beherzigen wollen. Das meinte der Dichter Dostojewski, der schon im 19. Jahrhundert der westlichen Kirche vorwarf, dass sie dieses Evangelium nicht verkündige: das Wiedererstehen des Lebens aus dem Tode in der tiefsten Not, der größten Ohnmacht!

   Nun wird man zweifellos einwenden, dass das Kreuz des Karfreitags nichts anderes ist als ein allgemeinreligiöses Motiv, der ewige Kreislauf Leben-Tod-Leben in noch einer Gestalt. Und dieser Einwand ist richtig, aber mir ist das völlig egal. Denn mit dem Christentum geschieht das ganz Entscheidende, dass dies in einem historischen Ereignis verankert ist, der Inkarnation – Gott wurde uns gleich. Gott realisierte einmal, was die Religionen aller Zeiten erstrebt haben. Er tat dies, um uns nicht unseren eigenen Spekulationen zu überlassen, sondern um uns Hoffnung unter die Füße zu geben, wenn wir über den Friedhof gehen. Das ist, meine ich, die Eigenart und die Stärke des Christentums, dass Gott Mensch wurde!

  Nach der Predigt singen wir ein neues Lied des dänischen Liederdichters Sten Kaalø. Es ist ein Lied zum Karfreitag, wo es heißt: „Karfreitag ist ein Frühlingskreuz / mit Leben und Hoffnung – trotz Zweifel und Tod / selig grünt es für uns / Karfreitag ist ein Frühlingskreuz“. Das ist das blühende Kreuz, das lebendige Kreuz vor unserem Gesicht und unserer Brust, und wir singen von ihm im Glauben und in der Hoffnung auf den Ostermorgen und die Auferstehung – im Licht, zu Leben und Freude. Und dass dies jeden Morgen gilt, draußen – zwischen den Steinen im Friedhof, den Vögeln, Blumen und den Menschen, den Lebenden und den Toten – besonders aber in unseren Stuben, an unseren Küchentischen und Arbeitsplätzen – als der Morgen nach der Nacht, die Ewigkeit nach dem Tod. Als ein neuer Beginn, ein neuer Morgen, neues Leben, das jeden Tag beginnt. So ist Karfreitag ein Frühlingskreuz für den Verstand und für uns – eine Hoffnung mitten in der Hoffnungslosigkeit.

  Der dänische Dichter Jakob Knudsen meditiert in einer kleinen Skizze über die menschliche Rastlosigkeit, den Plan für die große Veränderung, die man eines Tages realisieren wird. Die Pointe ist, dass man so nie dem Leben vorauseilen kann. Veränderung ist – um einen guten alten Ausdruck zu verwenden – ein Widerfahrnis, etwas, das über uns kommt, im Grunde erst dann, wenn wir selbst aufgeben. Was können wir dann tun? Sollen wir uns bloß mit gefalteten Händen hinsetzen und warten? Oder sollen wir uns nach Schiffskatastrophen, Unglück und Leid sehnen? Sollen wir mit Jesus rufen: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Keineswegs! Wir sollen vielmehr nicht der Rastlosigkeit und der Sorge verfallen – und uns daran halten, dass Gott da etwas vorhat, wo wir nichts vermögen und wo es vielleicht geradezu ein Vorteil ist, dass wir ihm nicht im Weg stehen können.

  Ich habe mich dieses Jahr wirklich mehrere Monate auf Ostern gefreut. Die Ostertage sind nämlich auch eine Freudenzeit. Es ist also in einer Weise eine Verdopplung: Sich darauf freuen, dass man sich freuen wird … selbst an diesem Karfreitag … die Osterbotschaft sich auf die vorhergehenden Monateauswirken lassen.

   Der Mord ist aufgeklärt. Und dass er aufgeklärt ist, ist das Beste, denn nun wissen wir, dass es Gottes eigenes Werk ist, das Rätsel des Kreuzes zu erklären. Das Kreuz ist, so wie wir das in dieser Kirche sehen, ein Bild für Gott: Der leidende und sterbende Christus erscheint mit einer kleinen Neigung des Kopfes, der ihn sich senken lässt, aber es ist auch der siegende Christus, ein Wikinger-Christus, wie wir ihn  vom Stein in Jelling kennen, er steht stark und siegreich. Hier in der Kirche befindet sich also nicht ein eigentliches Kreuz, sondern Christus – der Mensch, Gottes eigener Sohn – ist unverkennbar das Kreuz! Und er ist zugleich der leidende und der siegende, der rostige Christus ist der alte Adam – nun schwebt er hier mit Gold belegt als ein Symbol für diese Geschichte, dieses Leben gilt für alle Zeit und Ewigkeit.

   Ja, vielleicht sollen wir je eben dies: Ostern für das ganze Leben gelten lassen! Im Namen des gekreuzigten und auferstandenen Christus können wir dafür danken, dass auch unser Leben und unser Tod nicht nur vom Rätsel des Kreuzes umfasst sind, sondern auch von dem blühenden Frühlingskreuz, das das Leben und die Freude vom Licht er Auferstehung ist.

  Wenn wir deshalb aus der Kirche über den Friedhof wieder in das Leben gehen, steht die Fahne nicht mehr auf Halbmast sondern oben als Zeichen für den Sieg Christi über den Tod. So können wir das Leben mit Glaube, Hoffnung und Liebe leben. Amen.



Propst Kræn Christensen
Esbjerg, Dänemark
E-Mail: pkch(at)km.dk

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