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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 01.04.2018

Hanna – wie in einem Paternoster
Predigt zu 1. Samuel 2:1-2.6-8aa, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

heute hören wir keinen Bericht vom leeren Grab, heute hören wir ein alttestamentliches Jubellied. Wir hörten es bereits in der Schriftlesung. Hanna jubelt und dankt Gott für ihre Schwangerschaft mit dem zukünftigen Propheten Samuel. Sie stiftet uns indirekt zur Osterfreude an, die ja die Auferstehung Jesu zum Anlass hat. Ihr Freudentanz und unser Osterlachen kommen aber in eins in den Taten des kommenden Retters. Ja, Gottes Hoheit zeigt sich in seinen Aktionen und unserm Jubel folgt unser Tun. - Mit der Aufzählung der zupackenden Taten Gottes will ich beginnen. Wir hören: „Gott tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf. Gott macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht. Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche.“ (V 6-8a)

 

Liebe Gemeinde,

dazu habe ich ein starkes Bild vor Augen. Mein Vater nahm mich als Kind mit ins Duisburger Rathaus und zeigte mir einen sonderbaren Aufzug. Links fuhren die Kabinen hoch, rechts kamen sie runter. Die hatten keine Türen und hielten niemals an. Es gab nur die eine Sekunde zum stufenfreien Einsteigen und eine weitere, um ohne Knochenbrüche auszusteigen. Mein Vater bemerkte meine Verwirrung und sagte: „Das ist ein Paternoster!“ Aber das war keine hilfreiche Erklärung für mich, denn mir war klar: Falls ich einsteigen würde, käme ich im Nachbarschacht kopfüber wieder runter. Kräftig zog er mich hinein, doch gottlob stiegen wir in der nächsten Etage heilfroh aus. Mein Vater war ein starker Held! - Als vor Jahren die Bigband des RIAS in Berlin abgewickelt wurde, besuchte ich das Abschlusskonzert unter der Patronage von Manfred Krug (1). Im RIAS-Gebäude gibt es auch einen Paternoster, mit dem ich gleich zweimal fuhr, und zwar angstfrei.

 

An meine erste Paternosterfahrt erinnere ich mich lebhaft, wenn ich im Lobgesang der Hanna höre: „Gott tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf.“ Seit Menschengedenken gibt es Ketteneimer-Seilzüge. Ob Wasser oder Silber, ob Kohle oder Abraum - eine geschlossene Kette zieht unaufhörlich die leeren Eimer hinunter und die Beladenen nach oben.

 

Als im 8. Jahrhundert die katholische Kirche den Rosenkranz erfand mit vielen Vater-Unsern, die ja lateinisch „pater noster“ heißen, kam dafür schnell der Name „Paternosterschnur“ auf. Und was machten die Bergleute? Sie nannten fortan ihre Becherwerke „Paternoster“! Und wie wurde 1876 der erste Umlauf-Aufzug im „General Post Office“ in London benannt? Natürlich „Paternoster“!

 

Liebe Gemeinde,

nein, Ostern ist heute kein Butterfahrt mit Kaufzwang für Rosenkränze. Sie bekommen auch keinen Freifahrschein für eine Aufzugsfahrt. Mir kommt es auf die beiden Umkehrpunkte an, die mir beim Paternoster so viele Ängste machten. Ich ging ja davon aus, dass ich aufrecht einsteige, aber kopfüber wieder herunter fahre. Ich würde dabei die Orientierung verlieren, und wenn ich ganz unten bin, dann geht der kaputt und ich werde in so einer komischen Kabine sterben.

 

Dieses Gefühl, in eine Grube abzustürzen – als Auftakt einer Höllenfahrt – ist der Vergleichspunkt zwischen meiner Paternoster-Angst und der Vorgeschichte des Lobgesangs der Hanna. Denn Hannas Mutterschoß ist „von Gott verschlossen“, wobei ihre Konkurrenzfrau Pennina ein Baby nach dem anderen bekommt, wie mit einer Eimerkette. Elkana versucht, seine Dreiecksbeziehung zu beiden Frauen zu stabilisieren. Als Hanna im Tempel bitterlich weint und schweigend und schlotternd ein Gelübde ablegt, bezichtigt sie der diensthabende Priester Eli der Volltrunkenheit und befiehlt ihr, sich zu übergeben. Sie aber kontert: „So bete ich als willensstarke (2) Frau und so habe ich meine Seele vor Gott ausgeschüttet!“ Da entlässt sie der Priester mit der Zusage einer Gebetserhörung, und Hanna geht aufrecht ihren Weg mit einem „Gesicht, wie nie zuvor“. In jedem Jahr, das folgt, näht Hanna ein kleines T-Shirt für ihr Kind Samuel und bringt es zu ihm in den Tempel, und zwischendurch gebiert sie weitere Kinder. So berichtet die Bibel von Hannas tiefer Krise und von Gottes rettendem Handeln an ihrem seelischen Totpunkt.

 

Liebe Gemeinde,

aber nun singt und tanzt und jubelt Hanna mit den Worten: „Mein Herz ist fröhlich in Gott, dem HERRN, mein Haupt ist erhöht in dem HERRN. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils. Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner!“ (V 1f) So nimmt uns Hanna mit in den Osterjubel hinein, mitsamt Maria, die als Schwangere dieses Lied für ihr Kind Jesus weitersingt: „Meine Seele jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut!“ Und als Sozialprognose singt sie schon vor der Entbindung: „Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Er erinnert sich an sein Erbarmen, das er unseren Erzvätern und Erzmüttern verheißen hat - auf ewig!“

 

Liebe Gemeinde,

Hanna und Maria singen beide vom Messias Jesus Christus. Er durchlitt den unteren Totpunkt und wurde am Ostermorgen mit aller Macht zutage gefördert. Und mit ihm das neue Leben, die neue Schöpfung, ein neuer Himmel und eine neue Erde. Er ist aufgefahren in den Himmel, aber das ist kein oberer Totpunkt für ihn, sondern ein Wendepunkt. Von dort wird er kommen, um unser Gebet „Dein Reich komme“ mit neuen Fakten zu beantworten. Das wird keine endlose Verkettung des „immer weiter so“ sein, sondern eine machtvolle Umrahmung unserer Weltlage und eine heilsame Umkrempelung unserer Seelenlage.

 

In diesem Sinn ist es für mich unverzichtbar, dass Jesus aufrecht in den Tod ging und aufrecht auferstand. Denn seine Art zu sterben und aufzuerstehen nimmt mir meine Paternoster-Ängste. Meine Ängste waren ja, dass ich im Umlauf-Aufzug im Höhenflug abstürze und kopfüber in die Grube fahre, und der Paternoster nicht mehr repariert wird an meinem unteren Totpunkt. Das wird ja nicht nur mir passieren, sondern der ganzen Welt. Aber dann zieht Jesus das Ding durch mit mir und allen andern Grubenarbeitern und bleibt senkrecht. Und dann gibt er sich die Ehre und bleibt bei uns als Liftboy und stellt uns vom Kopf auf die Füße. Beim Paternoster haben die Kabinen ja keine Türen. Das gilt auch für die Art und Weise, wie Jesus uns entsendet. Er gibt uns in der richtigen Sekunde den kleinen Schubs, damit wir heil und stufenlos hinaustreten. Hinaustreten in eine Welt, die kopfüber auf ihren unteren Totpunkt zuzustürzen scheint und sich danach sehnt, dass sich nicht alles wie in einem Hamsterrad wiederholt.

 

An Ostern spüre ich, wie das Lied der Hanna in mir widerhallt. Ja, mein Gott, die Welt sehnt sich danach, dass „Du den Dürftigen aus dem Staub hebst und den Armen aus der Asche erhöhst“. Ja, mein Gott, lass auch mich viele Jahre vor meiner Himmelfahrt auferstehen lassen zu einem Leben in Fülle. Solange will ich üben, mitzusingen beim Lied: „Mein Herz ist fröhlich in Gott, denn meinen Scheitelpunkt (3) hält er hoch! Jenseits von Gott hält mich nichts. Aber mit ihm wage ich mein Leben!“ Amen

 

(1) am 24.2.2001

(2) „willensstark“ statt „betrübt“ lt Artikel „Hanna“ in „Bibelwissenschaft.de“ der DBG

(3) Martin Buber übersetzt: „Mein Scheitel hebt sich an DIR“



Pfr. Manfred Mielke
Reichshof, Deutschland
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

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