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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 06.05.2018

Predigt zu Johannes 17:1-11 (+ Römer 8,24-28) – dänische Perikopenordnung, verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

Es geht darum, für die Ewigkeit zu leben und doch die Stubenuhr schlagen zu hören (Entweder-Oder II, SKS III, 137, GW 2-3, 147).

Herrlichkeit, verherrlichen, das hat mit Licht zu tun – strahlendem Licht, das alles überwältigt und erhellt, wie es die Sonne im Frühling tut und alles verwandelt, worauf ihr Licht fällt

Mitten in den Worten Jesu stehen wir wie in einer Kathedrale mit hohen Glasmosaikfenstern. Das Licht kommt von außen herein und wird durch die Bilder in tausend Farben gebrochen. Wir stehen und sehen alles, was ist, in leuchtend klaren Farben und verstehen die schöne Ganzheit der Bilder – und das Licht von ihnen fällt auch auf uns, das klare grüne, das golden gelbe, das insistierende blaue Licht. Eine herrliche Welt in Licht und Farben.

Von außen sehen die Glasmosaike matt aus, fast schwarz, ohne Glanz oder verständliche Ganzheit. Zwei Welten begegnen sich.

 

Am „Grenen“, wenige Kilometer nördlich von Skagen, kann man mit einem Bein in jeweils einem Meer stehen. Hier an der nördlichsten Spitze Jütlands begegnen sich nämlich Skagerak und Kattegat.

Wenn jemand glaubt, dass da nur Wasser zusammenfließt und dass dies keinen Unterschied macht, so können die, die dort waren, erzählen, wie die Wellen zusammenschlagen, wenn sich zwei Meeresströme aus je ihrer Richtung begegnen und einander daran hindern, so weiterzufließen wie zuvor.

In Greenwich in England kann man auf dem Nullmeridian stehen, populär die „Zeitlinie“ genannt, mit einem Fuß auf jeder Seite und behaupten, das es 12 und 1 Uhr zugleich ist, und zugleich im Osten und Westen stehen.

Das ist natürlich sowohl ein Spiel als auch Ernst, so an zwei Orten zugleich zu sein.

Die meisten von uns versuchen täglich, mindesten an zwei Stellen gleichzeitig zu sein – oder wünschen zumindest, es zu können.

Vor einigen Jahren war ich in Berlin und ging an der Mauer spazieren, die nicht mehr ist, aber doch immer ein Ort der Erinnerung und des Gedächtnisses sein wird. Zugleich ist dieser Ort im Leben und Schicksal vieler Menschen eine Spur, eine Narbe, ein Markstein. Zusammen mit anderen ging ich hin und her über die Linie, mit der vor wenigen Jahren nicht zu spaßen war, weil das sehr ernst und sehr gefährlich war. Auf einer Bank saß eine ältere Frau in brauner und grauer Kleidung mit einer etwas bunten Schürze und einem genauso buntem Stock, alles andere als unsichtbar, wie sie da zufällig (?) auf einer Bank in der Sonne saß. Am nächsten Tage kehrte ich durch ein Versehen wieder zu der Stelle zurück, ich hatte mich mit der Straßenbahn vertan, und ich sah die Frau wieder. Es war deutlich, dass sie für immer in dieser Geschichte gefangen war. Die Zeit war für sie in einer Weise ganz stehen geblieben, eben da am Ende ihrer Geschichte und dort an der Linie, die man nun frei überschreiten konnte.

In zwei Zuständen, zwei Zeiten, zwei Orten leben! Jeder, der einen Verlust erlitten hat, ist gezwungen, das zu tun, das lässt sich nicht vermeiden – nur so kann man mit dem Verlust leben. Jeder, der etwas erwartet, sei es ein Kind oder ein großes Ereignis, das kommen soll, muss ja in zwei Zuständen oder Zeiten leben, denn nur so können wir uns auf große Veränderungen vorbereiten. Das, was wir uns erwarten, prägt auch die Gegenwart, obwohl er noch gar nicht eingetroffen ist. Die Zukunft hält ihren Einzug – so wie die Vergangenheit zu uns kommt, wenn wir trauern.

Was ist die Hoffnung auf die Zukunft – die Herrlichkeit, die kommen wird? Was ist deine nahe Hoffnung? Vielleicht so nahe wir die Hoffnung des Tages auf ein gutes Essen mit der Familie. Was ist deine Hoffnung für den morgigen Tag und die kommende Woche? Was mit der Hoffnung, die sich auf die fernere Zukunft bezieht – den Rest deines Lebens? Was mit der Zukunft der Menschheit und der Erde?

Die Hoffnung kann uns weit bringen, und die souveräne Hoffnung hat eine wunderbare Eigenschaft in sich. Auch wenn da nichts zu hoffen ist, wenn keine Erwartung da ist, kein Wunsch, dessen Erfüllung realistisch wäre – so kann sich die souveräne Hoffnung dennoch durchsetzen und uns tragen. Tatsächlich sieht es so aus, dass es eben dies ist, was Menschen durch schwere Krankheiten, lange Gefangenschaften und dunkle Krisen kommen lässt.

Die souveräne Hoffnung ist ein Vertrauen darauf, dass die Zukunft etwas Gutes bringt, das schon auf dem Wege zu uns ist. Und die leuchtende Zukunft darf auch das prägen, was schon ist. Wir handeln und leben, als würde es jeden Augenblick geschehen, ja als sei es schon geschehen. Unsere Hoffnung auf die Zukunft können alle formulieren in schönen Worten über gute Gesundheit und Freude für die, die uns nahestehen, und für Frieden unter den Völkern. Aber wenn die schönen Worte und halten können sollen und uns tragen können sollen, dann müssen wir so tun, als geschehe es jetzt. Und dann gehört auch die Vergangenheit dazu, auch das, was wir nicht in Ordnung bringen können, weil es schon verloren ist, untergegangen und zerstört. Wir sollen handeln in Übereinstimmung mit der Hoffnung, die wir kennen. Die Hoffnung der Herrlichkeit leuchtet durch Bilder vom Paradies, und wir stehen mitten in einer größeren Wirklichkeit. Die Zeit und der Alltag werden durch die Hoffnung entscheidend verändert. Wenn wir das annehmen und leben. Lasst uns denn aufstehen von der Bank und der Linie, die die Welt und die Wirklichkeit in zwei Teile teilt, und lasst uns bewusst sein, dass wir schon jetzt in der Hoffnung der Herrlichkeit leben, obwohl wir die Erfüllung noch nicht sehen. Amen.



Pfarrerin Anne-Marie Nybo Mehlsen
Vigersted, Ringsted, Dänemark
E-Mail: amnm(a)km.dk

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