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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 06.05.2018

Ausdauer im Gebet
Predigt zu Kolosser 4:2-4, verfasst von Christoph Meyns

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde!

Wenn ich Sachen zu erledigen habe und sie nicht vergessen will, schreibe ich mir dazu ein paar Stichworte auf einen Notizzettel und lege ihn an eine Stelle, wo er nicht zu übersehen ist, damit er mich später daran erinnert. Der Predigttext des heutigen Sonntags ist so eine Art Stichwortzettel, auf dem Paulus festgehalten hat, was ihm am Beten wichtig ist. Dazu heißt es im Kolosserbrief im 4. Kapitel:

Kol. 4,2 Betet mit aller Ausdauer, voll Dankbarkeit gegenüber Gott und ohne in eurer Wachsamkeit nachzulassen. 3 Tretet auch für uns ein, wenn ihr betet! Bittet Gott, uns eine Tür für seine Botschaft zu öffnen. Dann können wir das Geheimnis weitergeben, das Christus uns enthüllt hat und für das ich im Gefängnis bin. 4 Betet, dass ich meinen Auftrag erfüllen und dieses Geheimnis klar und verständlich verkünden kann. (NGÜ)

Ausdauer, Dankbarkeit, Wachsamkeit, Fürbitte, Tür, Botschaft, Geheimnis, Gefängnis, Auftrag, mit diesen Stichworten fasst Paulus zusammen, was ihm am Beten wichtig ist.

„Betet mit aller Ausdauer.“ Die frühchristlichen Mönche haben diesen Satz wörtlich genommen. Sie beteten einmal am Tag alle 150 Psalmen durch. Im Mittelalter sangen Mönche und Nonnen nach der Regel Benedikts von Nursia den Psalter einmal pro Woche, aufgeteilt auf acht Gebetszeiten am Tag, angefangen mit der Vigil um 2.00 Uhr in der Nacht bis zur Komplet um 20.00 Uhr. Danach legten sie sich in voller Bekleidung auf ihre Betten zur Nachtruhe, um auf diese Weise ihre Wachsamkeit im Gebet zu bezeugen.

Im ältesten bestehenden Kloster im deutschsprachigen Raum, der Benediktinerabtei St. Peter in Salzburg, ist auf diese Weise seit 696 seit nunmehr 1322 Jahren ununterbrochen jeden Tag gebetet worden. Das nenne ich Ausdauer. Das seine Worte einmal eine solche Wirkung haben würden, hätte sich Paulus wohl nicht träumen lassen. Sein Anliegen war bescheidener. Er wollte, dass das Gebet im Sonntagsgottesdienst und im Tagesablauf seiner Gemeindeglieder einen festen Platz erhält.

Das wiederum hängt damit zusammen, worum es Paulus inhaltlich ging und was er mit den Stichworten Dankbarkeit und Wachsamkeit zusammenfasst. Wach wird man am Morgen. Den Christen ist in Jesus Christus ein neuer Morgen geschenkt. Sie dürfen auf das ewige Leben hoffen. Sie haben die Nacht der Sünde und des Todes hinter sich gelassen. Paulus wollte, dass sich Menschen im Gebet regelmäßig daran erinnern, was ihnen von Gott zugesprochen ist: Nichts kann dich scheiden von ihm, weder deine Herkunft, noch dein sozialer Stand, weder dein Geldbeutel noch dein Geschlecht, weder deine Nationalität noch deine Vergangenheit, weder Krankheit oder Leid, nicht einmal der Tod. Gott liebt dich, wie ein Vater sein Kind liebt.

Das Einzige, was bleibt ist, ihm dafür zu danken. Im Gebet begeben wir uns weg von dem, was wir aus der Perspektive der Welt betrachtet sind und stellen uns in das hinein, was der Himmel über uns sagt. Paulus versteht das Gebet also nicht als Ort, an dem wir Gott für uns selbst um etwas bitten. Denn mit dem Evangelium ist aus seiner Sicht im Grunde schon alles geschenkt, was wir brauchen. Er versteht es als den Ort, an dem wir Gott für das danken, was er uns bereits gegeben hat. Deshalb ist ihm so wichtig, dass das Beten mit Ausdauer, also regelmäßig geschieht: Wir vertiefen auf diese Weise unser Vertrauen in das Evangelium.

Nun leben wir in einer Zeit, in der unser Blick nicht so sehr auf den Himmel, sondern stark auf das Diesseits ausgerichtet ist. Naturwissenschaft, Technik, Politik, Recht und Wirtschaft schauen auf das, was hier und jetzt notwendig und machbar ist. Das ist paradoxerweise eine geschichtliche Folge des christlichen Glaubens. In der Antike war das Verhältnis zu den Göttern durch Unsicherheit charakterisiert. Sie galten als launisch und mit sich selbst beschäftigt. Ob sie einem wohl gesonnen waren oder nicht, wusste man nicht. Man musste immer wieder versuchen, sie durch Opfer gnädig zu stimmen. Insofern schauten die Menschen ständig mit bangem Blick auf den Himmel. Wenn der Tod Jesu am Kreuz als Opfer verstanden wird, durch das Gott sich ein für alle Mal mit uns Menschen versöhnt hat und damit alle weiteren Opfer überflüssig macht, wird der Blick frei für das Hier und Jetzt und das, was dort nötig ist. So ist es kein Zufall, dass die Klöster nicht nur Orte des Gebetes waren, sondern zugleich Keimzellen für Bildung, Kultur und Wissenschaft. Glaube und Vernunft sind aufeinander bezogen.

Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Wissenschaft von ihren Wurzeln emanzipiert und bildet heute einen eigenen, von Kirche und Religion getrennten gesellschaftlichen Bereich. Zugleich lebt manches aus dem klösterlichen Erbe weiter, z. B. die strengen Maßstäbe im Blick auf Wahrheit und Lüge, die asketische Konzentration auf das wissenschaftliche Arbeiten oder der Anspruch, dass Wissenschaft kein Selbstzweck sei, sondern dazu diene, der Menschheit zu helfen.

Eben um diese Verknüpfung von Dankbarkeit und Wachheit mit der Mitmenschlichkeit ging es Paulus. Wer sich regelmäßig im Gebet verankert und sich immer wieder als erlöst, befreit, froh und dankbar erlebt, in dem wächst die Fähigkeit, nicht nur an sich selbst, sondern auch an andere zu denken: Aus der Dankbarkeit ergibt sich die Fürbitte. Paulus wollte, dass seine Gemeinden für ihn beten und für die Ausbreitung des Evangeliums. Er saß in Untersuchungshaft, weil seine Predigten öffentliche Proteste ausgelöst hatten. Die Gefängnistüren hatten sich hinter ihm geschlossen. Wie es für ihn weitergeht, war ungewiss.

Für andere Menschen zu beten, gehört zu den Grundvollzügen des christlichen Glaubens. Wir bitten in jedem Gottesdienst für unsere Familien, für die Menschen in unseren Städten und Dörfern, für diejenigen, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortung tragen, für die Kranken und Sterbenden, für die Opfer von Krieg und Gewalt, für Flüchtlinge, für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung.

Und wir beten für die Kirche, für alle, die in ihr mitarbeiten und dafür, dass Menschen den Zuspruch des Evangeliums annehmen und danach leben. Denn das ist die Erfahrung der letzten 2.000 Jahre: Ob Menschen verstehen, was ihnen gepredigt wird, ob sie annehmen können, erlöst und befreit zu sein, ob sie begreifen, was dieser Halt für ihre Lebenshaltung und ihr Verhalten bedeutet und was sich dann daraus langfristig an kulturellen Wirkungen ergibt, liegt nicht in unserer Hand.

Wir können viel dafür tun, dass unsere Botschaft bis zu den Ohren kommt. Aber da endet unser Einfluss, und es beginnt das Wirken des Heiligen Geistes. Der aber weht bekanntlich, wo er will und hält sich dabei weder an Kirchenmauern noch an Konfessionsgrenzen. Vieles daran ist unscheinbar, geschieht im Verborgenen und wirkt untergründig an Orten, an denen wir es nie vermuten würden. Deshalb braucht es die Fürbitte darum, dass Gott seinen Segen auf unser Tun und Lassen legen möge.

Unternehmen richten ihre Arbeit nach dem aus, was sie bewirken wollen. Sie setzen sich Ziele im Blick auf Umsatz und Gewinn und planen dann von da aus ihre Aktivitäten. Und über die Politik hat Helmuth Kohl einmal gesagt: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ In der Kirche ist es jedoch umgekehrt. Entscheidend ist, womit Christen anfangen, nämlich damit, sich im Gebet darauf zu besinnen, was ihnen Gott zugesprochen hat, ihm dafür zu danken und für andere Menschen zu bitten. Was daraus wächst oder nicht wächst, welche Türen sich öffnen und welche nicht, das legen sie vertrauensvoll in Gottes Hände.

Insofern bedeutet zu beten nicht nur zu reden, sondern zugleich darauf zu hören, was Gott uns zu sagen hat. Wie es Søren Kierkegaard formuliert hat.

Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde,

da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen.

Zuletzt wurde ich ganz still.

Ich wurde,

was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist,

ich wurde ein Hörer.

Ich meinte erst, Beten sei Reden.

Ich lernte aber, daß Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern hören.

So ist es: Beten heißt nicht sich selbst reden hören.

Beten heißt: Still werden und warten, bis der Betende Gott hört.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

Amen.



Landesbischof Dr. Christoph Meyns
Wolfenbüttel, Deutschland
E-Mail: landesbischof@lk-bs.de

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