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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 06.05.2018

Tag und Nacht beten?
Predigt zu Kolosser 4:2-4, verfasst von Anita Christians-Albrecht

Predigttext

2 Lasst nicht nach im Beten; seid dabei wachsam und dankbar!

3 Betet auch für uns, damit Gott uns eine Tür öffnet für das Wort und wir das Geheimnis Christi predigen können, für das ich im Gefängnis bin;

4 betet, dass ich es wieder offenbaren und verkündigen kann, wie es meine Pflicht ist. (Einheitsübersetzung)

 

Predigt

Night and day we pray- wir beten Tag und Nacht … Eine etwa 18jährige junge Frau sitzt mir im Zug gegenüber und trinkt aus einer Kunststoffflasche mit dieser Aufschrift.

 

Night and day we pray? Ist Beten nicht eher out? Gerade bei jungen Leuten? Nur unter verlegenem Gekicher erzählen Konfirmanden von dem ein oder anderen Hilferuf zu Gott vor einer schwierigen Klassenarbeit - oder wenn sie vergessen hatten zu lernen.

 

Und wir? Fallen uns nicht allenfalls noch ein paar Formeln ein, die wir schon längst nicht mehr mit Inhalt füllen?

 

Dabei gäbe es Themen genug für ein Gespräch mit Gott: Manche von uns tragen schwere Lasten, von denen andere nichts ahnen. An anderen nagt eine unerklärliche Unzufriedenheit, obwohl sie alles Nötige haben. Bei vielen herrscht Ratlosigkeit und Angst im Hinblick auf die gegenwärtige Situation in der Welt.

 

Night and day we pray... Was hat es auf sich mit diesen Trinkflaschen? Kann man sie irgendwo kaufen? - Man kann. Auch Notizbücher und Armbänder gibt es mit diesem Slogan, verrät mit google.

 

Ich werde neugierig. Und erfahre viel. Über ein Gebetshaus in Augsburg. Night and day we pray. Der Name ist Programm. Es gibt dort im Südwesten von Bayern einen Gebetsraum, in dem seit 2011 Christen verschiedener Konfessionen 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr beten. Auf eine moderne Art und Weise, kreativ und mit viel Musik. Mal laut und fetzig, man ganz ruhig und besinnlich. Mal mit sehr vielen, mal mit nur wenigen - in einem freundlichen, holzverkleideten Raum mit einem schlichten goldenen Kreuz. Das Augsburger Gebetshaus ist in Europa das größte seiner Art - und boomt.

 

Beten ist anscheinend doch nicht out. Und der Predigttext für den heutigen Sonntag Rogate - was nichts anderes heißt als Betet! - vielleicht doch ganz interessant. Lasst nicht nach im Beten; seid dabei wachsam und dankbar!

 

Auch einige Prominente und Top-Sportler sind mittlerweile selbstbewusst genug, über ihre Gebete zu sprechen. Jürgen Klopp zum Beispiel, der Fußballer und Fußballtrainer. Auf alle Fälle, sagt er einmal einem Reporter, beende ich jeden Tag mit einem Gebet. Grundsätzlich gibt es in meinem Leben unglaublich viele Gründe, mich im Minutentakt bei Gott zu bedanken.[1]

 

Oder Thomas Gottschalk, der seinen Glauben nie aufgegeben und verleugnet hat. Als sein Kandidat Samuel Koch 2010 in seiner Sendung einen schweren Unfall erleidet und danach querschnittsgelähmt bleibt, betet er mit der Familie ein Vaterunser. Das hat uns eine gemeinsame Ebene gegeben‘, sagt Gottschalk, ihnen in ihrer Verzweiflung, mir in meiner Ratlosigkeit. Da war plötzlich eine Nähe da, auch eine Form von Geborgenheit.[2]

 

Dankbarkeit kann im Gebet ihren Platz haben, sagt Jürgen Klopp. Verzweiflung und Ratlosigkeit finden einen Adressaten, davon ist Thomas Gottschalk überzeugt.

 

Türen gehen auf, wenn wir beten. Das sagt Paulus.

 

Betet auch für uns, damit Gott uns eine Tür öffnet für das Wort und wir das Geheimnis Christi predigen können, für das ich im Gefängnis bin; betet, dass ich es wieder offenbaren und verkündigen kann, wie es meine Pflicht ist.

 

Paulus sitzt im Gefängnis in Rom, als er diese Sätze an die Gemeinde in Kolossä schreibt. Ohne die Fürbitte der Gemeinde kann er nicht leben.

 

Und auch die Gemeinde hat einen schweren Stand in der heidnischen Umwelt. Täglich sind sie Anfeindungen ausgesetzt. Auch ihnen soll das Gebet helfen, dass sie nicht den Mut verlieren und sich weiter auf Gott und Jesus verlassen.

 

Türen sollen sich öffnen, wenn sie, wenn wir beten. Wie soll man sich das vorstellen?

Ich mache versuchsweise einmal ein paar Türen auf und schaue nach. Und ich lasse mich dabei von meinen Konfirmanden lenken. Denn als ich mit ihnen über das Thema Gebet sprach, hatten sie den sogenannten „Knackpunkt“ bald herausgefunden: Ob ich beten kann, sagten sie, hängt davon ab, wie ich mir Gott vorstelle und ob ich überhaupt eine Beziehung zu ihm habe.

 

Ein Schauspieler - gläubiger Katholik - pflegte bei Tisch regelmäßig zu beten. Einmal - er war müde und ein wenig zerstreut - setzte er sich hin, faltete die Hände und sagte nach einem Augenblick der Stille: Hier Ginsberg. Wer dort?[3] Auch er hatte die entscheidende Frage nach dem Adressaten unserer Gebete gestellt: Wer dort? Lassen Sie uns einmal nachschauen - hinter verschiedenen Türen.

 

Ich öffne zunächst die Tür eines Schlosses. Sie ist schwer. Ich muss mich anstrengen, damit ich hineintreten kann. Finde ich dort Gott? Ist er der König, der mir hin und wieder eine Audienz gewährt? In einem Raum, in dem ich mich klein und unbedeutend fühle und mir das Reden schwer fällt?

 

Vor einiger Zeit, so erzählt mir ein Kollege vom Besuch eines afrikanischen Freundes in seiner Kirche. Warum macht ihr die Augen zu, wenn ihr betet?, habe dieser nach dem Gottesdienst gefragt. Warum bückt ihr euch? Traut ihr euch nicht, Jesus in die Augen zu schauen? Ja,er hat Recht, dieser afrikanische Freund. Wir beten oft genug in der Haltung eines Untertans vor einem König oder Fürsten und wundern uns, wenn wir innerlich unbeteiligt bleiben.

 

Ich versuche es an einer anderen Tür. Ich sehe eine Küche vor mir. Der Tisch ist gedeckt, es duftet nach Nudeln mit Tomatensoße. Mutter oder Vater sitzen da und warten. Das Kind kommt von der Schule. An diesem Tag ist viel passiert, eine schwere Klassenarbeit und ein Streit mit dem besten Freund. Das Kind ist müde und irgendwie bedrückt. Iss erst, hört es, als es in der Tür steht. Dann können wir reden.

 

Mit Gott reden wie ein Kind mit seinen Eltern! Jesus hat uns diese Möglichkeit eröffnet. Er hat uns gelehrt, zu Gott abba zu sagen, ihn mit diesem zärtlichen Wort des Kleinkindes anzusprechen. Für die Zeitgenossen Jesu war das revolutionär, dass Gott einem so nahe sein kann.

 

Ich öffne noch eine dritte Tür. Ein Wohnzimmer. Dort sitzt mein Partner und wartet mit einer Flasche Rotwein. Ich setze mich dazu, und wir erzählen und schweigen bis spät in die Nacht.

Mit Gott reden wie mit einem vertrauten Lebenspartner, der mich kennt und der es gut mit mir meint. Das gefällt mir.

 

Und schließlich klingele ich bei Freunden an der Haustür. Sie geht auf, und man hört gleich fröhliches Stimmengewirr und Gelächter. Ganz viele der Menschen, die mir wichtig sind, sitzen um einen Tisch herum. Sie erzählen, denken gemeinsam an die Freundin, die im Krankenhaus liegt, diskutieren miteinander über die Probleme unserer Welt. Als ich das Zimmer betrete, rücken sie zur Seite und machen mir Platz.

 

Mit Gott reden wie mit einem Freund oder einer Freundin, die Maske absetzen, miteinander das in den Blick nehmen, was verkehrt läuft, ins Gespräch kommen über eine bessere Welt, sich ermutigen lassen zur Veränderung - auch diese Vorstellung hilft mir. Denn sie schließt das ein, was auch Paulus besonders wichtig und worauf er angewiesen ist, dort im Gefängnis: Die Fürbitte, die das Leid des anderen sieht und es vor Gott bringt.

 

'Bete für mich!', bat mich ein Freund, der an Lungenkrebs erkrankt ist. Und ich weiß nicht genau, für wen diese Fürbitte bedeutsamer ist. Für ihn, der mit dieser schlimmen Diagnose umgehen muss, oder für mich, die ich mich so schrecklich traurig und hilflos fühle.

 

Mit Gott reden wie ein Kind mit seinen Eltern, wie mit einem Partner, wie mit Freunden, ihm sagen, was mich bedrückt und ihm Menschen, deren Schicksal mich  anrühren, ans Herz legen - ja, ich glaube, dass das Gebet ein Türöffner sein kann - zu Gott, zu meinen Mitmenschen und zu mir selbst.

 

Night and day we pray - Es ist wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass wir jederzeit, Tag und Nacht, mit Gott sprechen können. Und dass wir es ja oft genug zwischendurch auch unbewusst tun: Das erleichterte 'Gott sei Dank', das beglückte 'Mein Gott, ist das schön!, das mitleidige 'Ach du meine Güte!' - für ein Gebet sind kunstvoll durchdeklinierter und theologisch perfekt durchdachte Formulierungen nicht immer nötig.

 

Für Martin Luther war das ganze Leben ein Gebet: Wir seien, wo wir wollen, meint er, in der Kirche, im Haus, im Keller, in der Küche, auf dem Felde, in der Werkstatt, so wir anders Christen sind und Christus liebhaben, das wir mit dem Herzen vor Gott in den Himmel treten, mit ihm reden können um allerlei, was uns anliegt.[4] Auch er betont also, dass wir immer und überall die Gelegenheit haben, uns an Gott zu wenden, auch am Computer oder im Auto oder an der roten Ampel. Was wir aussprechen, verliert an Druck. Das gilt für das Gespräch mit einer guten Freundin genauso wie für das Gebet. 

 

Gebete sind so etwas wie eine unsichtbare Nabelschnur zwischen uns und Gott, hat mal jemand gesagt. Damit nehmen wir unsere tägliche Ration an Geborgenheit und Zuspruch auf. Ein schönes Bild. Amen.  

 

Gebet[5]

Lass uns beten – nicht, als ob es in den Wind geredet sei.

Lass uns hören – nicht, als ob wir schon alles wüssten.

Lass uns singen und loben – nicht so, als ob es eine Zumutung wäre.

Lass uns aus dem Gottesdienst herausgehen – nicht so, als ob wir gar nicht hier gewesen wären. Hilf uns, dass wir empfänglich sind für das, was du geben und sagen willst.

 

[1]Vgl. http://www.life.de/magazin/people/214133-ich_beende_jeden_tag_mit_einem_gebet.html

[2]vgl. http://www.livenet.de/themen/people/202891-thomas_gottschalk_vom_glauben_lass_ich_nicht_ab.html

[3]zit. nach R. Bohren, Texte zum Weiterbeten, 1976, S. 9

[4]Hauspostille aus dem Jahr 1544, S. 578

[5]Fundort, durch den dieses Gebet angeregt wurde, ist leider nicht mehr zu ermitteln …

 

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Anita Christians-Albrecht, geb. 1959, Pastorin, seit Dezember 2016 Beauftragte für Altenseelsorge in der ev.-luth. Landeskirche Hannovers (Zentrum für Seelsorge), davor Gemeindepastorin im Kirchenkreis Celle und Plattdeutschbeauftragte ihrer Landeskirche.



Pastorin Anita Christians-Albrecht
Hannover, Deutschland
E-Mail: Anita.Christians-Albrecht@evlka.de

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