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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Himmelfahrt, 10.05.2018

Predigt zu Lukas 24:46-53 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Anders Kjærsig

So wie Christus die Erde durchbrach am Ostermorgen, so durchdringt er den Himmel bei der Himmelfahrt Christi. Das liegt in der Bezeichnung Himmelfahrt. Die Erzählung des Evangeliums von Christus verbindet Erde und Himmel in einer neuen Weise. Hier berühren der Tod und das ewige Leben einander, das Tiefste und Höchste in ein und derselben Person.

 

Der dänische Kirchenliederdichter Brorson sagt es so:

 

An diesem Tag wir seh’n den Sohn Gottes

in den Himmel fahren,

und danken Gott mit Herzensbitten,

er wolle doch bewahren

sein armes Volk auf dieser Erd‘,

das in so viel Gefahren wohnt,

dass wir im Glauben bleiben.[1]

 

Brorson ist Pietist und sucht sehnsuchtsvoll nach dem Himmlischen und weiß, dass der Weg, der dorthin führt, eng ist und voller Versuchungen. Aber man merkt an der Sprache, wie die innere Welt sich im Konflikt mit der äußeren befindet und wie er nach Worten sucht, die über die vergängliche und leibliche Wirklichkeit hinausführen.

Søren Kierkegaard hat ein Pseudonym, das heißt Johannes Climacus. Der ist auch ein Himmelstürmer, der mit der Kraft des Gedankens in das himmlische Reich einzubrechen und seine Einrichtung zu verstehen versucht. Selbst befindet sich Johannes auf der Erde mit der Schwere in Leib und Seele, die das bedeutet. Das ist paradoxal. Große Gedanken in kleinen Schuhen machen dennoch die Füße wund.

Der Mensch ist auf der Erde, aber will gerne hinauf in den Himmel. Deshalb gibt es viele, die wünschen, dass man fliegen kann. Der deutsche Philosoph Ludwig Feuerbach schreibt an einer Stelle, dass alles Reden von Gott und Himmel nur Projektionen der eigenen Träume des Menschen von Größe und Macht ist. Der Himmel ist ein Bild für all das, wonach wir suchen, eine Mischung aus Minderwertigkeitskomplexen und Größenwahnsinn. Der Himmel ist das Grenzenlose und Erhabene, das einerseits unser Leben klein macht, andererseits uns ein Bild von Größe vermittelt.

Klein und groß auf dieser Erde.

Das ist ein Wort des dänischen Dichters Tom Kristensen, und das Zitat lautet weiter:

Ich bin nur ein kleiner Dichter,

halb ein Denker, halb ein Narr,

liebe sehr die großen Kleider,

große Hüte, große Zigarre.[2]

Wenn man klein ist, liebt man all das Große, große Hüte, große Mäntel und den großen Himmel über uns. Der Himmel ist ein Bild für das, was mehr ist als wir, all das Unfassbare außerhalb von uns und über uns.

Dieser Gedanke steht hinter dem Vaterunser. Hier bitten wir darum, dass das Irdische ein Abglanz des Himmlischen sein möge, dass das Reich, das Gott im Himmel errichtet hat, uns ein Gefühl dafür vermittelt, wie wir unser irdisches Dasein leben sollen.

Vater unser, der du bist im Himmel,

geheiligt werde dein Name,

dein Reich komme,

dein Wille geschehe

wie im Himmel, so auf Erden.

Das ist nicht: Wie im Himmel und auf Erden, sondern wie im Himmel so auf Erden. Die Erde soll wie Himmel werden – einmal, wenn Gott sein Werk vollendet. Da sind eine Hoffnung und ein Traum in diesen Worten, die den Menschen in Bewegung halten können. Die Erde soll einmal die Kopie des himmlischen Reichs werden. Deshalb ist das Vaterunser ein Gebet. Wir können Gott bitten, dass er das irdische Reich nach dem himmlischen einrichten möge, aber wir können nicht nach unserem eigenen Bild das himmlische Reich auf Erden realisieren, ohne dass dies in Chaos und Katastrophe endet.

Vor einiger Zeit las ich George Orwells satirischen Roman Kamerad Napoleon (Animal Farm). Er handelt vom Wesen der Macht und Korruption und ist über einer Erzählung von einer Schar von Tieren in einem Hof aufgebaut, die sich nach einer längeren Zeit der Unterdrückung eines Tages gegen den tyrannischen und versoffenen Bauern auflehnen, ihn vor die Tür setzen und selbst die Macht übernehmen. Nun soll Gerechtigkeit herrschen, und die Schweine übernehmen die Aufgabe, die Gesellschaft der Tiere auf dem Weg in das tausendjährige Reich zu führen. Der Himmel soll auf die Erde kommen. Alle sind gleich, Pferde, Ziegen und Schafe, und alle arbeiten sie für die gemeinsame Sache. Aber nur für eine Zeit. Allmählich zeigt sich, dass da einige Tiere sind, die mehr gleich sind als andere, und bald verschiebt sich die Macht, und die Schweine mit Kamerad Napoleon an die Spitze und beherrschen den Hof und verändern die Utopie in ein eisernes autoritäres Regime.

Die Moral in dem Buch ist deutlich: Utopia gibt es nur als Utopie, als einen Ort, der nicht existiert und nicht realisiert werden kann. Die Utopie ist ein Traum, aber in dem Augenblick, wo man den Traum in Wirklichkeit verwandeln will, ohne an die Konsequenzen zu denken, die das mit sich bringt, verwandelt sich nicht nur der Traum sondern auch die Wirklichkeit in das Gegenteil, wird zu Unterdrückung und Dystopie, dem Gegenteil von Utopie.

Deshalb beginnt das Vaterunser mit … der du bist im Himmel! Es ist der Himmel Gottes und nicht der Menschen. Dein Reich komme, dein Wille geschehe, Gott ist die Hauptperson in dem kosmischen Drama. Geheiligt werde dein Name und nicht alle möglichen anderen Namen – Könige und Kaiser, Machthaber und Ideologien. Himmel und Erde – aber als Himmel.

Im Lichte der Himmelfahrt Christi löst sich die menschliche Vorstellung von oben und unten auf. Hier verbinden sich Leben und Tod, Himmel und Erde, Licht und Finsternis, alle die Begriffspaare, die das menschliche Dasein in Bewegung halten. Hier wird uns eine Hoffnung verkündigt, die alle Grenzen und alle Rahmen sprengt: Der Vorhang zum Allerhöchsten wird in zwei Teile zerrissen, der Stein vor dem Grab weggewälzt, der Himmel öffnet sich, und alle beginnen von den Ereignissen zu reden, die geschehen sind, jeder in seiner Sprache, so dass das Evangelium vom Sohn Gottes bis in die äußersten Ecken der Welt gelangt.

Gott hat sich zu einem Menschen gemacht, weil er uns liebt. Deshalb sind wir verpflichtet, einander zu lieben – wie im, Himmel, so auch auf Erden.

Deshalb feiern wir Himmelfahrt, und deshalb kommt bald Pfingsten.

Amen

 

[1]  Dänisch, Nr. 256 im dänischen Gesangbuch:

På denne dag vi ser Guds søn

til Himlen op at fare,

og takker Gud med hjertens bøn,

han ville dog bevare

sit arme folk på denne jord,

som blandt så mange farer bor,

så vi i troen blive.

 

 

[2] Dänisch:

Jeg er kun en lille digter,

halv en tænker, halv en nar,

elsker meget store frakker,

store hatte, stor cigar

 



Pastor Anders Kjærsig
Odense, Dänemark
E-Mail: anderskjaersig(at)hotmail.com

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