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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 24.06.2018

Predigt zu Matthäus 5:43-48 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Christiane Gammeltoft-Hansen

Einige Worte fallen mir ein, wenn ich die Rede Jesu über Feindesliebe und Vollkommenheit gelesen haben. Die Worte sind nicht von schlagkräftiger Art, als seien sie in Stein gemeißelt. Die Worte sind vielmehr suchend und als ein Gedicht formuliert, verfasst von der dänischen Lyrikerin Inger Christensen. Die Worte lauten:

Ich habe versucht von einer Welt zu erzählen, die sich nirgendwo findet, damit man sie findet.

 

Feindesliebe und Vollkommenheit – handelt das nicht von einer Welt, die es nicht gibt? Ich weigere mich, von Vollkommenheit zu reden, denn was weiß ich davon? Und Feindesliebe. Es war zwar ein König, der die Dänen zu Christen machte, aber sind wir deshalb weniger feindselig geworden? Grüßten wir freundlich von Nation zu Nation, Volk zu Volk, Mensch zu Mensch – oder sahen wir andere als eine Bedrohung? Es gab Zeiten, wo wir letzteres taten. Da sind Zeiten, wo wir das tun. Sogar in einem solchen Maße, dass es zuweilen ist, als wäre es dies, das uns vereint: der Widerwille gegen alle de anderen, die Fremden, die anders Denkenden, die mit anderem Glauben.

 

Wir erkennen einen Feind, wenn wir einen sehen. Es ist noch nicht einmal nötig, dass wir einen Feind physisch vor uns stehen haben. Es geht faktisch am besten, wenn der Feind weit weg ist. Dann wird das Bild am schärfsten. Kommt der Feind uns zu nahe, wird das Bild oft unscharf. Dann steht da nur dieser Mensch, und dann ist es nicht immer leicht, genau zu sehen, was es ist oder war, das in uns einen solchen Widerwillen geweckt hat.

 

Nähe und Feindschaft passen nicht gut zusammen. Es muss Abstand her, wenn das Bild eines Gegen-Menschen entstehen soll. Abstand, das liegt auch im Wesen der Feindschaft selbst. Wir werden unsere Feinde wohl nicht los. Sie beherrschen unser Denken und unsere Gefühle. Aber wir können auch nicht mit ihnen zusammen sein. Da ist der Feind – und da bin dann ich, der Feind meines Feindes. Wir kennen unseren Platz im Verhältnis zueinander, auf jeder Seite der mentalen oder physischen Mauer, die zwischen uns ist.

 

Ich erlaube mir nun, einen Sprung vorzunehmen, denn wie sicher deutlich geworden ist, müssen mehr Leute in das Gespräch einbezogen werden, wenn wir uns der Feindesliebe nähern sollen. Ich lade einen Mann ein, der wie kein anderer den Sprung liebte. Es ist Søren Kierkegaard.

 

Über Kierkegaard wird erzählt, dass er eine merkwürdige Gangart hatte. Spazierend und gestikulierend bewegte er sich umher. Je mehr in das interessierte, worüber er mit seinen Begleitern redete, desto mehr hüpfend wurde sein Gang, und dann konnte es plötzlich geschehen, dass er seinem Gang noch eine Besonderheit hinzufügte: Er schlug sich selbst ans Bein mit seinem Stock. Einer seiner Begleiter erlebte dies so, als wolle der hagere Gelehrte bis zum Leben vordringen, aber er konnte es nicht. Es war als klopfe er an, um zum Leben hineingelassen zu werden oder eine Öffnung zu schaffen, durch die er gelangen konnte.

 

Die Welt ist da, aber man kann das so erleben, als sei man draußen vor. Und dann muss man ja versuchen, ein Loch zu ihr zu einzuschlagen. Dasselbe kann sich in dem Verhältnis zu unseren Mitmenschen bemerkbar machen. Der Mitmensch ist da, aber Feindschaft schafft Abstand. Da schlägt das Evangelium auf unseren Verstand und unser Herz, um mitten in Feindesland eine Öffnung zu schaffen.

 

Einen Menschen kann man nie zu einem abstrakten Begriff machen, hat Kierkegaard gesagt – sicher auch, als er umherging und sich selbst mit seinem Stock ans Bein schlug. Aber eben das tun wir, wenn wir unsere Feindbilder pflegen. Wir machen den Feind zu einer abstrakten Größe, einer Idee, die wir unseren Vorstellungen von dem anpassen können, was ein Feind ist. Aber hier protestiert also Kierkegaard und schafft eine Öffnung für die evangelische Erkenntnis, dass ein Mensch immer konkret ist und niemals eine Idee.

 

Aus dem Konkreten folgt das Verschiedene. Das ist ganz grundlegend: Wir sind nicht gleich. Da sind die, die entgegenkommend sind, da sind die, die eifrig sind, da sind die, die sich selbst ans Bein schlagen. Und u.a. weil wir verschieden sind, können wir nicht sagen, dass einer von uns mehr Mensch ist als andere. Wir sind alle in gleichem Maße Menschen. Das gilt auch für den Feind.

 

Dank der öffnenden Hilfe Kierkegaards sehen wir im Gebot der Feindesliebe, dass wir den Feind nicht auf Distanz halten, so dass wir ungestört Feindbilder nach eigenem Geschmack kultivieren können. Wir verhalten uns zueinander als bestimmte Menschen mit jeweils ihren Eigenschaften, aber mit demselben Wert.

 

Ist das zu einfach, so über Feindesliebe zu reden? Heißt das, dass wir die Feindesliebe darauf reduzieren, dass wir nun auch die Süßigkeiten teilen und einander zum Klassenfest einladen? Es geht ja um Konflikte und Uneinigkeiten. Da wird immer Bedarf sein für Protest und Widerstand gegen Ungerechtigkeit und festgefahrene Vorstellungen. Wir brauchen immer Menschen, die Vorurteile entlarven und nicht alles mit repressiver Toleranz durchgehen lassen. Jesus, der und gebietet, unsere Feinde zu lieben, war selbst ein Revolutionär, der vor Streit nicht zurückschreckte. Aber so wie die Feindschaft da ist, ist der Mitmensch auch da, und es handelt sich um ein und dieselbe Person.

 

Er ging, und schlug sich selbst ans Bein, dieser Kierkegaard, und hin und wieder schuf er ein Loch, nicht ins Bein, sonders in das Leben. Wenn er vom Sprung sprach, meinte er jedenfalls einen Sprung in ein höheres Maß an Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, wo etwas ist, was sich durchgesetzt hat. Wo nicht etwas ist, was draußen ist und was drinnen ist, keine Mauern und keine Distanz, sondern stattdessen Nähe. Eine göttliche Nähe, die ansteckend wirken kann auf die zwischenmenschliche Nähe.

 

Ich habe versucht von einer Welt zu erzählen, die sich nirgends findet, damit man sie findet. Das sind Worte, die in einer Hoffnung darauf gründen, dass Worte das schaffen können, von dem sie reden. In dem Gedicht geht es darum, dass die höhere Wirklichkeit nicht in sich selbst da ist, aber dass die Worte sie vielleicht herbeireden können. Die Schläge mit dem Stock gründen in mehr als dem. Sie gründen darin, dass es die höhere Wirklichkeit tatsächlich gibt. Aber man muss manchmal ein Loch aufschlagen, um zu ihr zu gelangen. Wir können uns dem Leben und dem Mitmenschen entfremden, aber das Leben und der Mitmensch sind da, und hin und wieder entsteht eine Öffnung, wo der Abstand fort ist und wir uns in einer höheren Wirklichkeit befinden – Gottes Wirklichkeit.

 

Was geschieht, wenn wir nicht an das Vollkommene glauben und danach streben? Was geschieht, wenn eine Gemeinschaft nicht danach strebt, Unterschiede zu ertragen und Uneinigkeiten zu überwinden? Da geschieht dies, dass wir uns mit weniger zufrieden geben und nicht mehr wollen.

 

Wir klopfen also an bei einer größeren Wirklichkeit und danken dafür, dass das Evangelium uns den Weg dazu von innen öffnet, nicht nur als eine Korrektur daran, wie wir uns eingerichtet haben. Nicht nur als eine Utopie. Sondern als etwas Eigentliches und Mögliches.

 

Und damit kommen neue Worte. Die Worte gründen im Evangelium, und sie lauten so:

Ich habe versucht von einer Welt zu erzählen, die sich nirgends findet, damit man sie findet.

Amen.

 



Pastorin Christiane Gammeltoft-Hansen
Frederiksberg, Dänemark
E-Mail: cgh(at)km.dk

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