Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3.Sonntag nach Trinitatis, 17.06.2018

Fundstelle
Predigt zu Lukas :15,1-3.11-32, verfasst von Luise Stribrny de Estrada

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Eine Erinnerung zu Beginn:

Nach langer Zeit kehre ich zurück nach Hause. Acht Jahre war ich im Ausland. Jetzt bin wieder in meinem Elternhaus. Das fühlt sich merkwürdig an. Es ist schön, wieder zuhause zu sein, in dem, was mir vertraut ist. Es ist schön, meine Eltern wieder zu erleben, mit ihnen zu reden und zu lachen und ihre Eigenarten wieder zu erkennen. Alles so wie früher. Ja, diesen Geruch des Hauses kenne ich, jetzt habe ich ihn wieder in der Nase. Dieses Bild an der Wand hängt da, wo es immer hing. Und die alte Tür, die sich immer von selbst öffnete, hat immer noch dieselbe Marotte.

 

Aber es ist auch merkwürdig, wieder hier zu sein. So viel habe ich inzwischen erlebt, Vieles hat sich in meinem Leben geändert – und hier scheint es, als sei die Zeit stehen geblieben. Jahrelang ging alles seinen gewohnten Gang, meine Eltern sind die gleichen geblieben, nur älter geworden - aber ich habe einen prallvollen Sack mit Erinnerungen an mein anderes Leben dort im Ausland mitgebracht. Passt das noch zusammen? Finden wir wieder zueinander? Wie lange halte ich es hier aus?

 

Auch in unserem heutigen Predigttext kehrt einer nach Hause zurück: Der verlorene Sohn. Ich stelle mir vor, dass es ihm ähnlich ging wie mir, nachdem sich die erste Aufregung um seine Rückkehr gelegt hatte. Einerseits freute er sich, wieder zuhause zu sein und im Haus seiner Eltern leben zu dürfen, andererseits fühlte er sich fremd und wollte nicht einfach so weiterleben, als sei nichts passiert.

 

Aber bevor wir so weit denken, lassen Sie uns hinschauen auf den Augenblick, als er und sein Vater sich wiedertreffen. Der Sohn kommt als Gescheiterter zurück. Abgerissen, in alten Kleidern, unangenehm riechend, weil er sich lange nicht waschen konnte. Er kriecht zu Kreuze. Er weiß, dass er so viel falsch gemacht hat: „Vater, ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden, ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu sein“, bringt er heraus. Der Vater lässt ihn kaum ausreden, er überhäuft ihn mit Küssen. So froh ist er, ihn wieder zu haben! Alles andere zählt nicht. Seine Freude überwältigt ihn und steckt alle anderen an. Schon laufen Knechte und Mägde umher, um alles für das Fest vorzubereiten, schon hat er seinen Sohn neu eingekleidet und ihn neben sich auf den Stuhl gezogen. Er überhäuft ihn mit Fragen, sie erzählen sich, was in der langen Zeit passiert ist, als sie sich nicht gesehen haben. Essen wird aufgetragen, alles, was zur Verfügung steht, kommt auf den Tisch. Dem Sohn gehen die Augen über – so lange hat ihm jeden Tag der Magen geknurrt, dass er schon vergessen hatte, wie es sich anfühlt, satt zu werden – und dazu noch von lauter Leckereien.

 

In der Nacht liegt er noch lange wach: Diese Rückkehr ist so anders, als er sie sich ausgemalt hat. Er hatte damit gerechnet, dass der Vater ihn, wenn überhaupt, als Arbeiter aufnehmen würde, dass er bei den Knechten schlafen und von ihnen ausgelacht würde als Herrensöhnchen. Er hatte sich darauf eingestellt, hart zu arbeiten und nur einen kleinen Lohn zu bekommen. Und vor allem hatte er sich vorgestellt, dass sein Vater unendlich enttäuscht von ihm wäre und ihn deshalb kühl und distanziert behandeln würde. Und stattdessen dieses: Der Vater so glücklich, wie er ihn noch nie gesehen hatte, ein Fest vom Feinsten und er wieder aufgenommen als Sohn, nicht als Knecht! Warum? Die einzige Antwort, die er findet, ist: „Vater liebt mich. Er liebt mich trotz allem, was ich falsch gemacht habe. Ich habe ihn enttäuscht, ich habe sein Geld durchgebracht, ich habe nichts von dem erreicht, was ich mir vorgenommen hatte, er hat keinen Grund, auf mich stolz zu sein – und all das hindert ihn nicht daran, mich zu lieben. Wahnsinn. Er nimmt mich so, wie ich bin. Er hat mir keine Vorwürfe gemacht. Stattdessen gibt er mir eine neue Chance: Ich kann noch einmal von vorne beginnen. Er unterstützt mich. Seine Liebe trägt mich.“

 

Während der Sohn so grübelt, fängt er an, das, was er erlebt hat, in einem anderen Licht zu sehen. Vielleicht war doch nicht alles, was er gemacht hat, falsch: „Immerhin habe ich es gewagt, mein sicheres Zuhause zu verlassen und mich auf eigene Füße zu stellen. Ich habe es geschafft, mich in einem anderen Land zurecht zu finden, mir eine neue Sprache anzueignen und neue Leute kennenzulernen. Ich habe gelernt, mit meinen eigenen Händen zu arbeiten und war mir auch für die geringsten Arbeiten nicht zu gut. Ich bin nicht mehr der feine Pinkel, der sich am liebsten bedienen lässt. Ich bin lange ganz alleine zurecht gekommen, ohne die Hilfe meiner Familie. Es war nicht alles schlecht, was ich erlebt habe. Das Gute ist nicht verloren.“

 

Und der ältere Sohn? Der große Bruder? Was ist mit ihm? Er schäumt vor Wut: „Das ist ja wohl das Allerletzte! Da kommt mein kleiner Bruder nach Hause, ein Loser auf der ganzen Linie, und Vater empfängt ihn mit einem Riesenfest! So eins hat er für mich noch nie gegeben. Dabei war ich immer da, wenn der Alte mich brauchte. Ich hab‘ funktioniert, tagaus, tagein. Ich hab‘ getan, was er wollte. Für mich hab‘ keine Ansprüche gestellt. Und was hab‘ ich nun davon? Nichts, nichts und wieder nichts! Und was mir als Erbe zusteht, dieser ganze Hof und das, was wir erwirtschaften, wird jetzt dem anderen hinterhergeworfen. Nee, Freunde, so geht ihr mit mir nicht um. Das lass‘ ich mir nicht gefallen. Mich verkauft ihr nicht für dumm!“ [1]

 

Als der Vater hört, dass sein älterer Sohn wütend vor dem Haus hin- und herläuft und sich weigert hineinzukommen, geht er zu ihm heraus. Er hört ihm zu und lässt sich Vorwürfe machen. Er würgt ihn nicht ab, sondern lässt ihn sich den Zorn von der Seele reden. Er kann ihn verstehen. Von seinem Standpunkt aus gesehen hat sein Ältester Recht. Aber trotzdem weiß der Vater sicher, dass er das Richtige getan hat. Nachdem sein Sohn ihm seinen ganzen Zorn, seine Enttäuschung und seine Eifersucht vor die Füße geworfen hat, holt der Vater tief Atem und antwortet ihm: „Du und ich, wir gehören zusammen. Wir haben diesen Hof jahrelang zusammen geführt. Ich weiß genau, dass ich mich auf dich unbedingt verlassen kann. Ich schätze deine Zuverlässigkeit und deine Genauigkeit. Alles, was ich habe, gehört auch dir. Du bist mein Sohn, den ich liebe. Ich liebe dich nicht, weil du so tüchtig bist, sondern weil du mein Kind bist. An meiner Liebe zu dir ändert sich nichts, egal, ob dein Bruder hier ist oder nicht. Aber begreife doch, was heute passiert ist: Er war für uns tot, wir hatten nichts mehr von ihm gehört, hatten keine Ahnung, was aus ihm geworden war. Ich dachte, ich würde ihn in meinem Leben nie wieder sehen. Und jetzt ist er da, ich kann ihn mit eigenen Augen sehen und mit meinen Händen anfassen. Er lebt! Ich hatte ihn verloren, und nun habe ich ihn wiedergefunden. Aber dadurch wird meine Liebe zu dir nicht weniger. Sie reicht für euch beide. Ich bitte dich: Komm herein und feiere mit uns dieses Fest!“

 

So wirbt der Vater um seinen älteren Sohn. Ob er mit hineingegangen ist? Wir erfahren es nicht. Aber selbst wenn er sich hat überreden lassen, bleibt seine Beziehung zu dem jüngeren Bruder angespannt. Zorn und Eifersucht lassen sich nicht so schnell zähmen, und wer weiß, ob sie nicht tiefe Wurzeln haben, die bis in die Kindheit der beiden reichen.

 

Wie ist es weitergegangen mit den beiden Brüdern in den Wochen nach dem großen Fest? Vielleicht hat der Ältere den Jüngeren tyrannisiert und ihn spüren lassen, dass er nicht erwünscht ist. Oder der Jüngere hat es geschafft, vernünftig mit ihm zu reden und sich über das auszusprechen, was zwischen ihnen stand. Vielleicht merkte der Jüngere nach einigen Wochen, dass er zuhause nicht mehr hineinpasste, dass ihm alles zu eng geworden war, und hat sich wieder auf den Weg gemacht. Diesmal ohne dass er alle Brücken hinter sich abbrach, sondern die Verbindung zu seinem Vater und seiner Familie hielt. Viele Fortsetzungen der Geschichte sind möglich…

 

Was uns von dieser Geschichte bleibt, ist die Liebe des Vaters. Seine Liebe ist bedingungslos. Er liebt seine beiden Kinder. Nicht ihre Taten zählen für ihn, sondern dass sie seine Söhne sind. Er bemüht sich um beide. Keiner von ihnen fällt aus seiner Liebe heraus. Jesus erzählt dieses Gleichnis den Pharisäern, die ihn angehen, weil er sich mit Zöllnern und Sündern umgibt. Ihnen will er zeigen, wie Gott ist: Er freut sich über jeden, der nach Umwegen zu ihm zurückkehrt und nimmt ihn auf, ohne Bedingungen zu stellen. Er feiert ein Fest und lädt alle ein, sich mit ihm zu freuen. Gottes Liebe umfasst die Frommen, die wie der ältere Sohn immer bei ihm sind, aber auch die Gescheiterten, die ihn von neuem suchen. Gott macht zwischen ihnen keine Unterschiede.

 

Für mich bleibt von dieser Geschichte ein Bild: Der Vater, der seinem Sohn mit ausgebreiteten Armen entgegen läuft und ihn an sein Herz drückt. So ist Gott. Gott freut sich über jeden und jede, die sich auf seine Liebe verlässt und zu ihm zurückkehrt.

 

Wer wollte leben ohne den Trost dieser Geschichte?

 

Amen.

 

 

Lieder: EG 209: Ich möcht, dass einer mit mir geht

           EG 324: Ich singe dir mit Herz und Mund

 

[1]Angeregt durch W. Gräb, (Hg.), Predigtstudien 2014/15, Perikopenreihe I, 2. Halbband, S. 57

 

-

Luise Stribrny de Estrada (geb. 1965) war acht Jahre lang Auslandspfarrerin der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Mexiko und ist seit 2009 Gemeindepastorin in St. Philippus, Lübeck.



Pastorin Luise Stribrny de Estrada
Lübeck, Deutschland
E-Mail: pastorin.stribrny@gmx.de

(zurück zum Seitenanfang)