Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9.Sonntag nach Trinitatis, 29.07.2018

Predigt zu Lukas 18:1-8 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Poul Joachim Stender

Michael war mein Freund am Gymnasium. Er kriegte immer die Mädchen rum. Er respektierte kein Nein, er machte weiter, bis sie nachgaben. Das war vor den Zeiten von Metoo, und es würd mich nicht wundern, wenn Bettina von der Parallelklasse ihn demnächst verklagen würde, dass er sie zu oft zum Tanzen aufgefordert hat. Ich akzeptierte sofort, wenn die Mädchen nichts mit mir zu tun haben wollten. Das bedeutete, dass ich bei Mädchen nur wenig Erfolg hatte. Damals kannte ich auch noch nicht die Geschichte von der Witwe, die dem ungerechten Richter zusetzte, bis sie ihr Recht bekam. Das Quengeln lohnt sich also. Die kanaanäische Frau, die Jesus begegnet und möchte, dass ihre Tochter geheilt wird, gibt nicht auf, weil Jesus sie zurückweist. Sie macht immer weiter, und schließlich heilt Jesus ihr krankes Mädchen. Auch an anderen Stellen in der Bibel werden wir dazu aufgefordert, weiterzumachen, auch wenn es so aussieht, als seien keine Möglichkeiten mehr. Als die Jünger eine ganze Nacht gefischt und nichts gefangen hatten und total aufgegeben hatten, etwas zu fangen, forderte Jesus sie auf, die Netze erneut auszuwerfen. Und auch wenn sie davon nicht sehr begeistert waren, taten sie es, und sie fingen so viel Fisch, dass die Boote fast gesungen wären. Ich hätte beim den Gymnasiasten-Bällen das Netz viel mehr nach den Mädchen auswerfen sollen statt den letzten Bus nachhause zu nehmen mit einem tiefen Seufzer. Mein Bruder Morten war 1½ Jahr lang ernsthaft krank. Ich habe Gott angefleht, ihn zu heilen. Ich habe gebetet und gebettelt um Barmherzigkeit für einen Bruder, den ich sehr geliebt habe. Letzte Woche ist er gestorben - der lebendigste, geistvollste und mutigste und herrlichste Mensch, den ich gekannt habe. Wir kommen nicht immer durch mit unserm Quengeln. Der Sohn Gottes, Jesus Christus, ist Herr über das, was geschehen wird. Seine Pläne sind nicht unsere Pläne. Er ist der Experte. Auch für die Zukunft. Und wir müssen uns davor beugen, dass seine Einsicht größer ist als unsere. Zurzeit ist es, als wollten wir nicht anerkennen, dass es Experten gibt, die mehr wissen als wir. Das sehen wir in den US A, wo die Äußerungen der Experten über Klima für viele Politiker Fake News sind von dem Argument her: Sie widersprechen sich gegenseitig. Unser eigener Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen sagte in seiner Neujahrsansprache vor einigen Jahren: „Wir brauchen keine Experten, die uns erzählen, was richtig ist und was falsch“. Doch, Herr Ministerpräsident, das tun wir! Aber wohlgemerkt mit der gesunden Vernunft, mit der jede Äußerung eines Experten aufgenommen werden muss. Die Witwe in der Erzählung ist nicht über dem Gesetz erhaben. Ein Expert, ein Richter hat die Gesetze und Regeln des Landes ausgelegt. Nun handelt es sich zufälligerweise um einen korrupten Experten, und deshalb ist es völlig in Ordnung, dass sie für ihr Recht kämpft. Diese Möglichkeit haben wir auch in unserem Rechtssystem, wo man ein Urteil anfechten kann in einer höheren Instanz. Aber weil man der Meinung ist, dass man Recht hat, bedeutet das nicht, dass man Recht bekommt. Dänische Ärzte erleben, dass Patienten zu ihnen kommen mit verschiedenen Symptomen, bei denen die Ärzte, die Experten für die Behandlung von Krankheiten sind, wissen, wie man sie mit erprobten Präparaten heilen kann. Aber viele Patienten wollen lieber grünen Tee trinken und sich mir Krystallen einreiben und sich mit Mohrrüben-Saft einschmieren, ohne zu wissen, ob das hilft. Ihnen ist egal, was die medizinischen Experten meinen – jedenfalls bis die Symptome zu schlimm werden. Noch schlimmer ist das mit Eltern, die den Experten trotzen und ihre Kinder nicht impfen lassen. In meinem Sommerhausgebiet war ein Mann, der sein eigenes Haus baute. Ein Handwerker, Experte im Hausbau, riet ihm, Dachpappe zwischen dem Fundament und dem Haus selbst zu legen, damit die Feuchtigkeit nicht eindringen konnte. Das wollte der Heimwerker nicht. Er wusste es besser. Heute steht das Haus da und sieht aus als würde es verfaulen. Warum sind wir so skeptisch gegen Experten? Warum mögen wir die Klugscheißer nicht? Warum ist Besserwisserei ein negatives Wort? Experten haben die Flugzeuge geschaffen, mit denen wir fliegen, Experten haben die Telefone geschaffen, mit denen in der Hand wir ständig herumlaufen. Und trotzdem besteht eine tiefe Skepsis gegenüber den Meinungen der Experten. Wir wissen nämlich selbst, was wahr ist und was falsch, und brauchen das nicht mit exaktem Wissen zu untermauern. Ich bin Expert im Luthertum. Ich bin ausgebildeter Universitätstheologe und kenne den Inhalt des Luthertums. Dasselbe gilt für meine Pastorenkollegen. Zwar sind alle Menschen, wie Luther sagt, Priester vor Gott. Wir haben alle Zugang zu Gott. Aber das bedeutet nicht, dass wir all gleich viel darüber wissen, was Luthertum bedeutet. Die Leute sagen mir, ihr Gefühl sage ihnen, das Wichtigste am Glauben an Gott sei, dass man ein besseres Verhältnis zu sich selbst bekommt. So ein Unsinn! Wenn eine Witwe mich damit belämmern würde, ihr darin Recht zu geben, dass das Christentum bedeutet, dass es mir mit mir selber besser geht, würde ich ihr keinen Deut Recht geben! Mein Wissen beruht auf der Bibel und den Bekenntnisschriften unserer Kirche und nicht auf meinem Bauchgefühl. Im Luthertum geht es darum, ein besseres Verhältnis zu Jesus Christus und zu unseren Mitmenschen zu bekommen. Der Nebengewinn besteht darin, dass man dadurch auch ein besseres Verhältnis zu sich selbst gewinnt. Andere kommen und sagen, dass sie das Gefühl haben: Wenn sie den Müll sortieren und auf die Umwelt achten und alle Flüchtlinge in Dänemark aufnehmen, tun sie Gott einen Gefallen und sichern sich einen Freifahrtsschein in die Ewigkeit. Ich sage nicht, dass solche Leute nicht in das Reich Gottes kommen. Das liegt in Gottes Hand. Aber im Luthertum glauben wir nicht daran, dass wir uns selbst durch gute Werke und politisch korrekte Meinungen erlösen können. Nur einer kann uns erlösen. Und das ist unser Herr Jesus Christus. Das ist deshalb unsere Situation. Und wir sollen und dürfen durch Gebet und Kirchgang unseren Herrn Jesus Christus um Glück und Segen anflehen, so wie die Witwe den ungerechten Richter um ihr Recht anflehte. Wenn wir das tun, zeigen wir, dass die Macht bei Christus und nicht bei uns liegt. Und die Bibel ist voll von Beispielen dafür, dass es Dispensation von den harten Realitäten des Lebens gibt. Tote steht auf, Kranke werden geheilt, Unglück verwandelt sich in Glück. Bei Gott ist alles möglich. Aber zugleich müssen wir auch erkennen, dass Gott der Experte ist. Er weiß besser Bescheid als wir. Er ist ein Besserwisser. Er ist der göttliche Klugscheißer. Aber wie in aller Welt soll es uns gelingen, eine Botschaft an uns darüber anzunehmen, dass Jesus Christus allwissend ist, wenn wir selbst wahr und falsch definieren wollen? Mein Vorschlag ist, dass wir wieder beginnen, auf die Experten des Alltags zu hören. Aber mit der gesunden Skepsis, mit der man immer zuhören muss. Hört u.a. auf die Pastoren, die Experten im Christentum sind und zeigen können, was das Wesentliche im Glauben ist. Und das Wesentliche in Bezug auf den Glauben ist, dass Gott besser Bescheid weiß als wir Menschen. Er hat gute Pläne für uns. Oder mit den Worten des Propheten Jeremias: „Ich weiß, was für Pläne ich für euch habe, sagt der Herr, Pläne vom Glück, nicht vom Unglück, dass ich Euch gebe Zukunft und Hoffnung“ (Jer. 29,11, nach der dänischen Übersetzung). Gott befohlen. Amen.



Pastor Poul Joachim Stender
Kirke Saaby, Dänemark
E-Mail: pjs(at)km.dk

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