Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 09.09.2018

Predigt zu Lukas 10:38-42 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Rasmus Nøjgaard

Der gute Teil

 

Das ist eine gute Geschichte, die Lukas hier erzählt. Vor allem weil wir uns selbst in ihr wiedererkennen können. Wenn wir einen Augenblick aufhören zu arbeiten, schweigen und das Leben um uns herum entdecken. Die Augenblicke, wo die Welt plötzlich größer wird, mehr bedeutungsvoll, und wo das Leben einen Sinn bekommt. Wenn wir ein seltenes Mal erleben, dass wir den innersten Sinn des Lebens nahe sind, ohne dass wir es in Worte fassen können, und wenn wir uns dann dem demütig und aufmerksam beugen.

Gerade Demut und Aufmerksamkeit sind etwas, was bei uns nicht hoch im Kurs steht. Den meisten von uns geht es wie Martha. Wir wollen gerne arbeiten, etwas beitragen, etwas leisten. Wie oft wundern wir uns nicht darüber, dass andere nicht mitmachen, während wir selbst als dienende Geister voll beschäftigt sind. In den meisten von uns wohnt eine Martha. Aber wohl kaum immer eine Maria. Sie findet sich seltener ein, wenn wir ihr überhaupt Raum geben.

Wer zuhört, der soll hören, und wer die Augen aufmacht, der soll sehen.

Aber es ist nicht sicher, dass wir bereit sind zu hören. Es kann leichter sein, nur zu handeln, das Radio spielen lassen, das Fernsehen laufen lassen, ein Mikrofon fest an unser Ohr befestigt haben, wenn wir staubsaugen, die Hecke beschneiden, spazieren gehen, Fahrrad fahren oder zusammen joggen. Wir sind eine große Bewegung von Marta’s, Wandermäuse in einer großen Bewegung, eine große Schar von Staren, die sich wie eine schwarze Sonne bewegen.

Für Menschen ist es schwer, den Drang der Bewegung zu brechen, und noch schwerer ist es, sich dem Strom zu entziehen. Wir haben alle die Angst von Teenagern, an den Pranger gestellt zu werden. Das ist paradox in einer Selfie-Kultur, aber von außen betrachtet ist das Selfie auch nur noch eine Massenbewegung, die dazu beiträgt, dass wir all den anderen gleichen. Wir mögen es nicht, anders zu sein, wir wollen vielmehr in den sozialen Medien präsent sein, so dass wir nicht plötzlich ganz allein dastehen.

Allein so wie sich Maria damals Jesu zu Füßen setzte. Einzige Frau unter Männern, eine Art verfrühte Feministin vor 2000 Jahren und zweifellos 2000 Mal provozierender als wenn eine Frau heute sich die Freiheit nehmen würde, die häuslichen Pflichten zu verlassen, um sich dem Klang der Stimme eines anderen hinzugeben und sich in aller Stille und körperlicher Unbewegtheit durch eine physische und geistliche Zusammengehörigkeit bereichert zu fühlen.

Wenn wir den Bericht über Martha und Maria hören, verstehen wir gut Martha, und wir sollen uns wohl mit ihr identifizieren. Aber wir verstehen auch Maria, die sich Jesus hingibt, weil dies im Augenblick das einzig Richtige zu sein scheint. Sie kann an all den anderen Tagen arbeiten, aber eben jetzt ist sie zu ihren Gästen gerufen und will hören, was die zu sagen haben. Sie wählt den guten Teil. Ich denke, sie wählt so, ohne zu wissen, wem sie gegenübersitzt, dem Sohn Gottes, Christus. Aber sie hört dennoch aufmerksam auf, das, was geschieht. Ist offen für das, was ihr begegnet.

Umgekehrt wird Martha oft als die hervorgehoben, die nichts verstanden hat und die Maria bedrängt, die sich stattdessen dem Augenblick hingibt. Aber so erscheint Martha nicht in dem Zusammenhang des Lukas.

Jesus hat kurz zuvor erzählt, dass man das ewige Leben ererbt, indem man Gott liebt und seinen Nächsten wie sich selbst. Die Demut Gott gegenüber scheint in Maria zum Ausdruck zu kommen, die vor Jesus zur Ruhe kommt. Sie öffnet sich und hört zu. Martha aber tut eigentlich nichts anderes als dem Gleichnis Jesu vom barmherzigen Samariter zu folgen. Dieses Gleichnis zeigt uns den richtigen Sinn für Gemeinschaft, wenn der Samariter dem Manne hilft, der unter die Räuber gefallen war. Er hält an und macht sich wirklich die Mühe, den Halbtoten aus dem Straßengraben herauszuholen, er nimmt ihn mit zu einem Ort, wo er dann andere dafür bezahlt, dass sie sich um den sonst Verlorenen kümmern. Und während die Heiligen vorbeigingen und sich nicht um den Verletzten kümmerten, war es der Samariter, der anhielt und half, weil der Fremde ganz offensichtlich Hilfe brauchte – und deshalb sein Nächster wurde. Es besteht mit anderen Worten eine feste Beziehung zu der Geschichte von Martha, die auch den fremden Gästen bedingungslos dient, die zu Besuch kommen. Ja, vielleicht hat sie sogar ein Gefühl dafür, dass sie den vornehmsten Gast zu Besuch hatten, und bemüht sich deshalb besonders darum, eine gute Wirtin zu sein.

Martha ist eine starke Gestalt. Im Johannesevangelium wird Jesus hier im Hause der beiden Schwestern gesalbt, und diese beiden Frauen folgen Jesus unermüdlich und suchen ihn auch auf, als ihr Bruder Lazarus gestorben ist. Sie glauben daran, dass Jesus ihn auferwecken kann. Sie ist die aktive und tatkräftige Person, und sie wundert sich über die plötzliche Stille und Passivität ihrer Schwester. Warum tut Maria nichts? Sag ihr doch etwas, Jesus!

Die Worte Jesu zu Martha sind fürsorglich, nicht verurteilend: Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe. Ich glaube, dass sich dieser Satz bei uns einprägt, wenn wir ihn hören, und wir erkennen jeder für sich, wie die kleinen Allerweltsorgen unsere Aufmerksam von dem ablenken, was wesentlich ist: Die Worte, die wir zueinander sagen, die bloße Erfahrung, dass wir zusammen sind, sich Zeit nehmen, die Geschichte des anderen zu hören.

Es ist, als wäre da eine Bewegung im Lukasevangelium von dem tatkräftigen Samariter weiter zu der Hingabe Marias bis zum Gebet des Vaterunsers, das unmittelbar nach dem Besuch bei Marta und Maria folgt. Der sichere Grund der Handlung ist Selbstläuterung, Demut, Aufmerksamkeit: Die Praxis des Gebets. Denn kaum haben wir erfahren, dass Maria den rechten Weg gewählt hat, lehrt Jesus seinen Jüngern das Vaterunser. Die Aufmerksamkeit, die Maria in der Situation zeigte, wird mit anderen Worten als eine Praxis emporgehoben für alle die, die Jesus folgen wollen. Der rechte Weg scheint eine innere Frömmigkeit zu sein und eine äußere Nächstenliebe.

Der Samariter handelt wie Martha aus einem guten H erzen. Sie sind ein Vorbild des Tuns, aber unser Handeln braucht immer einen festen Grund, um nicht eigennützig zu werden und nur unserer eigenen Freude zu dienen. Maria wird ein Bild dafür, dass wir unsere Stärke aus dem Ursprung des Glaubens holen können, wenn wir uns Jesus zuwenden. Das ist der Gute Teil, der ist alles, was wir brauchen. Vielleicht weil das innere Gespräch mit Gott uns unsere Berufung zeigen kann, so dass wir wissen, was wir tun sollen, wenn auch wir Menschen begegnen, die unsere Hilfe brauchen.

Hier sind wir heute wieder versammelt, um das Wort Gottes zu hören und um gemeinsam am leben und Tun Jesu teilzuhaben. Hier ist Vergebung, wenn wir versagen, Ermunterung, eine helfende Hand zu reichen. Jeder müssen wir uns selbst ansehen und fragen, ob wir zu wenig Martha sind und zu viel Maria – oder umgekehrt. Es muss darum gehen, dass wir beide Frauen mit uns haben, die Demut und die Aufmerksamkeit, aber auch den Mut zum Handeln und mit einander zu rechten. Und ich glaube, dass Jesus eine Pointe darin hatte, dass alles damit beginnen muss, dass wir das rechte Verhältnis zur Welt erkennen, dass wir Gottes Kinder sind.

Gott ist unser Vater, Jesus unser Erlöser, und im Geist sind wir alle seine Brüder und Schwestern. Eine Familie, ein Geschlecht, ein Haus. Als Geschwister in einer Schar von überraschenden verschiedenen und willensstarken Menschen – und mit einem Hang zum Streit und Eigensinn. Und doch mit einer göttlichen Fähigkeit zu schweigen und zu hören. Amen.



Pastor Rasmus Nøjgaard
Kopenhagen, Dänemark
E-Mail: rn(at)km.dk

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