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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 21.10.2018

Predigt zu Lukas 13:6-9 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Elof Westergaard

Es wird nicht direkt gesagt, aber wenn wir das Gleichnis Jesu vom unfruchtbaren Feigenbaum hören, den Dialog zwischen dem Weinbergbesitzer und seinem Weingärtner, dann dürfen wir wohl annehmen, dass der Feigenbaum nicht gefällt wird. Der Baum bekommt noch ein Jahr, um zu zeigen, ob er Frucht bringen kann.

Das Gleichnis Jesu ist somit die Geschichte von einem Baum, der die Axt an seinem Stamm nicht spüren muss. Da wir Menschen dem Feigenbaum gleichen, ist das eine Erzählung darüber, wie Gott Gnade vor Recht ergehen lässt. Gott beschützt das Leben, das er selbst gesät, gepflanzt und geschaffen hat.

 

Der Gärtner und der Weinbergbesitzer

Der Gärtner in dem Gleichnis spielt eine zentrale Rolle. Er kommt mit dem befreienden Wort. Mit seiner Bitte an den Weinbergbesitzer, den Baum noch ein Jahr pflegen und warten zu dürfen, ist er es, der die Forderung des Weinbergbesitzers ändert, den unfruchtbaren Baum sogleich zu fällen. Der Gärtner ist derjenige, der den Baum verteidigt und beschützt.

Damit gleicht der Gärtner dem Sohn Gottes selbst. Seine Liebe und Fürsorge, seine Barmherzigkeit und Nachsicht sind unendlich groß. Der Weinbergbesitzer kann entsprechend als ein Bild für Gott Vater gedeutet werden, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und wir Menschen gleichen dem Feigenbaum.

Das Gleichnis vom Feigenbaum regt uns also an zu solchen Vergleichen und Assoziationen zu Gott Vater, Gottes Sohn und uns Menschen an. Das liegt im Wesen der Gleichnisse, wir sollten und aber mit allzu engen, starren und direkten „Übersetzungen“ der Gleichnisse Jesu sozusagen Wort für Wort vorsichtig sein.

   Das könnte dazu führen, dass wir vergessen, nach den Brüchen in der Erzählung zu fragen, dass wir die vielen kleinen und reichen Details in der Geschichte übersehen und es uns dann mit dem Gleichnis zu leicht machen. In dem Gleichnis vom Feigenbaum liegen z.B. diese Fragen: Warum wird nicht direkt gesagt, dass der Feigenbaum noch eine Chance erhält? Und warum währt die Geduld des Weinbergbesitzers gerade mal drei Jahre? Sind solche Fragen nur unbedeutende Details, oder werden sich uns durch solche Fragen neue Aspekte für das Verständnis des Gleichnisses eröffnen?

 

Der Feigenbaum

Das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum zielt wie schon erwähnt darauf ab, dass der Baum nicht gefällt wird. Aber warum wird das nicht direkt gesagt?

Vielleicht will Jesus unser Bewusstsein dafür schärfen, dass dieses Gleichnis nicht nur eine Geschichte von einem Baum ist, der nicht gefällt wird. Der unfruchtbare Feigenbaum darf weiter mit seinen Blättern stehen und soll nicht nur im Herbstwind schwanken, sondern es wird auch vom Baum gefordert, dass er im nächsten Jahr Frucht trägt. Wenn nicht, entgeht er schwerlich der scharfen Axt.

Und da der Baum ein Jahr Aufschub erhält, hat such der Gärtner viel zu tun. Er hat dem Besitzer versprochen, dass er den Baum pflegen und ihn begießen und düngen will. Aber genügt das? Das Wetter spielt auch eine Rolle. Ein Regen, der kommt oder ausbleibt. Eine Sonne, die alles wachsen lässt, die aber auch die Pflanzen verdorren lassen kann. Ein Wind, der nähren kann, aber auch alles ausreißen kann. Ein Bestäuber und eine notwendige Gegenwart von Wespen und Insekten. Das Wetter, die Bodenverhältnisse und die Tiere, all das kann Zweifel schaffen, ob es dem Feigenbaum gelingt, im kommenden Jahr Frucht zu tragen.

Der Feigenbaum steht, ganz gleich ob er eine neue Chance bekommt oder nicht, noch immer auf unsicherem Boden. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob er stehen bleiben darf, aber wir wissen überhaupt nicht, ob er im nächsten Jahr überhaupt Frucht bringen kann.

Der Feigenbaum sieht unter allen Umständen einem Gericht entgegen. Er steht wie wir, jeder einzelne Mensch, unter dem Gericht des Todes, mit den Jahresringen an der Stirn gemalt, die von dem zeugen, was wir wissen, dass alles hier auf Erden seine Zeit hat, eine Zeit zum Geboren werden, eine Zeit zum Sterben.

Der Feigenbaum steht zugleich mit seinem ungewissen Schicksal als ein Bild für all die Unsicherheit, die das Leben von uns Menschen und das Leben miteinander prägen kann. All die Forderungen, die wir erfüllen zu sollen meinen, die Angst vor den Leistungsansprüchen, die Enttäuschung über das, was wir nicht vermocht haben und all die Male, wo wir versagt haben, all das, was uns quälen kann und daran zweifeln lässt, ob wir nun auch gut genug sind und gebraucht werden.

Das Gleichnis vom Feigenbaum ist somit zwar eine Erzählung über eine Errettung, die Fürsorge und Hilfe Gottes, es ist aber auch ein herbstliches dunkles Gleichnis, das hingeht und die Lage des Menschen beschreibt – wir gleichen dem Feigenbaum, wie dieser wissen wir nicht, ob wir Frucht bringen können, und wir wissen auch nicht, wann wir gefällt werden.

 

Fruchtboten

Ein anderes Detail, das unmittelbar bedeutungslos erscheinen kann, ist die Frage, warum der Weinbergbesitzer mit seiner Geduld genau nach drei Jahren am Ende ist.

Ich kenne das Wachstum der Feigenbäume nicht, wann man erwarten darf, dass sie Frucht bringen. Aber in einer der biblischen Schriften, dem dritten Buch Mose aus dem Alten Testament, das Jesus und die Evangelisten wohl gekannt haben, findet man folgende Vorschriften über Feigenbäume:

„Wenn ihr in das Land kommt und allerlei Bäume pflanzt, von denen man isst, so lasst ihre ersten Früchte stehen … Drei Jahre lang sollen die Früchte wie unbeschnitten gelten, sie dürfen nicht gegessen werden, im vierten Jahre sollen alle ihre Früchte unter Jubel dem HERRN geweiht werden, erst im fünften Jahr sollt ihr ihre Früchte essen, auf dass sie euch weiter ihren Ertrag geben; ich bin der HERR, euer Gott!“ (Drittes Buch Mose 19,23-25).

Wenn die Israeliten nach dem Gesetz des Mose in den ersten drei Jahren eines Fruchtbaumes überhaupt nichts von den Früchten des Baumes nehmen durften, kann man fragen, ob der Besitzer des Feigenbaumes in dem Gleichnis sich nicht eigentlich mit größerer Geduld wappnen müsste. Er kann nach den ersten drei Jahren gar nichts erwarten, es sollte ihm also leicht fallen, das Urteil über den Baum aufzuschieben. Der Besitzer des Weinberges darf streng genommen nicht vor dem fünften Jahr von den Früchten des Baumes essen. Es ist also Zeit genug.

Der Weinbergbesitzer und der Gärtner im Gleichnis Jesu machen sich dennoch Sorgen um ihren Weinberg. Das gehört zu ihrer Arbeit, und sie machen sich natürlich darüber Sorgen, dass dieser Feigenbaum noch gar nicht Frucht getragen hat.

Wir lassen diese Frage auf sich beruhen, aber wir wollen uns noch ein wenig mit den Vorschriften über die Fruchtbäume im dritten Buch Mose beschäftigen. Auch wenn dies als ein künstlicher Umweg zu dem Verständnis des Gleichnisses vom Feigenbaum erscheinen mag, liegt hier vielleicht eine Pointe verborgen. Die Früchte der ersten drei Jahre darf man nicht essen. Die Frucht des vierten Jahres soll man Gott geben. Und dann im fünften Jahr darf die Frucht von Menschen gegessen werden.

Warum diese Einteilung im Gesetz, und was bedeutet sie? Vielleicht gab es einen praktischen Grund für die Vorschriften, den ich nicht kenne. Aber man kann jedenfalls sagen: Wenn der Mensch nicht von Anfang an die Früchte des Baumes ernten darf und Gott die Ernte des vierten Jahres zusteht, wird im alte Israel deutlich, dass der Baum einen selbständigen Wert hat, dass die Fruchtbäume im Grunde nicht den Menschen und dem irdischen Besitzer des Baumes gehören. Weder der Gutsbesitzer, der Gärtner noch irgendein Mensch haben das alleinige Recht auf die Früchte des Baumes, so wie wir auch nicht die Macht haben über die Welt mit allem, was sie enthält.

Was so durch die Vorschriften des alten mosaischen Gesetzes hervorgehoben wird, ist die Wahrheit, dass nicht nur wir Menschen selbst das Zentrum der Welt sind, um das sich alles dreht. Die Welt ist nicht nur uns und unseren Regeln und unserem Eigentumsrecht anheimgestellt. Wir äußern uns zwar über alles in der Welt, geben ihm Namen und versuchen alles mit unserer Technik zu beherrschen, aber wir stehen nicht über der Welt. Wir leben vielmehr in der Welt, sind selbst ein Teil von ihr und ähneln auch den Fruchtbäumen mehr als wir wahrhaben wollen.

In diesen scheinbar so einfachen und recht handfesten Vorschriften über Fruchtbäume ist somit, wenn auch nur indirekt, eine Besinnung darauf verborgen, was es heißt, ein Mensch in der Welt zu sein.

Diese Vorschriften werfen zudem ein direktes Licht auf das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum. Das geschieht mit dem Gebot, dass die Frucht im vierten Jahr Gott gehören soll.

Bedenken wir das Gespräch zwischen dem Weinbergbesitzer und dem Gärtner, und wagen wir es, diesen Dialog im Gleichnis Jesu über den Feigenbaum so zu deuten, dass der Baum noch eine Chance erhält, dass dem Baum noch ein Jahr gegeben ist, um Frucht zu tragen. Dann bedeutet dieser Aufschub ja, dass dies eben das vierte Jahr sein wird, wo die Bestimmung über das weitere Schicksal des Baumes fallen wird. Das vierte Jahr, wo alle Frucht nach den alten Vorschriften Gott zufällt. Das ist und bleibt ein Trost für alle uns Menschen, die wir dem Feigenbaum gleichen.

Gott ist zwar der, der alles von uns verlangt, unser ganzes Leben, und er will, dass wir ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt, so wie wir unseren Nächsten lieben sollen wie uns selbst. Aber wie viel oder wie wenig Frucht wir mit unserem Leben bringen können, da ist Gott ein gnädiger Richter. Er wiegt und misst mit anderen Maßen als wir. Vor ihm stehen wir ganz nackt, auch wenn wir viel Frucht tragen, aber zu hoffen wagen: Gottes Güte und Barmherzigkeit reichen aus.

So stehen wir wie der Feigenbaum und warten auf das vierte Jahr, dann liegt darin mehr als ein Gericht, darin liegt auch eine Verheißung, dass wir Gott gehören. Er schenke uns, dass wir in dieser Hoffnung leben. Amen.



Bischof Elof Westergaard
Ribe, Dänemark
E-Mail: eve(at)km.dk

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